Karl Ferdinand Becker

Grammatik! Dieses Wort erfüllt nicht nur viele Schülerinnen und Schüler mit Furcht und Unbehagen. Auch Erwachsene haben ihre Probleme, wenn es um Grammatik geht – selbst, wenn sie Muttersprachler sind. Nur die Wenigsten wollen danach gefragt werden, wie das Plusquamperfekt Passiv eines deutschen Verbs heißt oder was in einem Satz Subjekt, Prädikat, adverbiale Bestimmung und dergleichen sind. Dabei spielt gerade die  Satzgliedanalyse in allen Schularten eine Rolle. Ob Deutsch oder Fremdsprache: Gründlicher Sprachunterricht kann auf die Kenntnis von Wortarten und Satzgliedern nicht verzichten.

Kein Weg führt daran vorbei, dass es ein Kind der Eifel war, das für den traditionellen Grammatikunterricht verantwortlich ist: der in Lieser geborene Karl Ferdinand Becker (1775–1849). Er war es, der 1827 erstmals die Analyse der Satzglieder in die Grammatik einführte. Überhaupt trug er mit seinen Schriften zur Grammatik entscheidend dazu bei, die deutsche Grammatik als verbindliches Regelsystem zu verstehen und zu formulieren. K. F. Becker verfasste die erste Schulgrammatik der deutschen Sprache. Seine Vorstellungen über Grammatikunterricht wurden weit über Deutschland hinaus vorbildlich.

Beckers Schriften, zum Teil von seinem Sohn Bernhard ins Englische übersetzt, veränderten den Sprachunterricht in den USA, wo seine Ideen bereits Mitte des 19. Jahrhunderts propagiert wurden. Dabei beschränkten sich Beckers Forschungen keineswegs auf Aspekte der Grammatik. So versuchte er, sämtliche germanischen Wurzelverben zusammenzustellen, ja sogar die Wurzeln des „indisch-germanischen Sprachstammes“ zu ermitteln. Fragen der Wortherkunft waren ihm genauso wichtig wie der deutsche Stil. Bei allen Spezialproblemen hatte Becker jedoch immer die Sprache als Ganzes im Blick.

Für ihn war die Sprache ein Organismus, der sich nach gleichsam biologischen Grundsätzen organisch entwickelt und untersuchen lässt. „Der Standpunkt Beckers ist der des Naturforschers“, schrieb 1835 der Pädagoge Sigismund Stern, Großvater des IQ-Erfinders William Stern. Beckers wissenschaftliche Sprachanalyse fand die Beachtung des seinerzeit führenden Psychologen Wilhelm Wundt – der übrigens auch Südeifler Vorfahren hatte – und sie ist bis heute aktuell geblieben. Gerade in jüngerer Zeit wird verstärkt auf die Verwandtschaft mit Konzepten berühmter Linguisten des 20. Jahrhunderts (z. B. Noam Chomsky) hingewiesen.

Man könnte den Lieserer als Quereinsteiger bezeichnen: Becker war jedenfalls kein gelernter Sprachforscher. Nach einigen Semestern hatte der Katholik das Theologiestudium abgebrochen und mehrere Jahre als Lehrer gearbeitet. Mit 24 Jahren begann er ein Medizinstudium in Göttingen. Er wurde Arzt und veröffentlichte naturwissenschaftliche Studien. Später leitete er Militärhospitäler in Frankfurt und betrieb ab 1815 eine Arztpraxis in Offenbach. Sein pädagogisches Interesse verstärkte sich mit dem Anwachsen seiner Familie. Mit seiner Frau Amalia (geb. Schmincke) hatte er fünf Söhne und drei Töchter, die er ab 1823 zusammen mit anderen Kindern in einer Art Privatschule unterrichtete. Gleichzeitig vertiefte er sich in die Werke von Sprachforschern wie den Brüdern Grimm oder Wilhelm von Humboldt. Vor diesem naturwissenschaftlich-pädagogischen Hintergrund formierte sich sein eigenständiges Sprachdenken.

Begonnen hatte diese Denkerbiographie in Lieser, wo sein Vater Franz Anton Becker als kurfürstlicher Bergmeister tätig war. Wie der Vater, so stammte auch die Mutter Anna Maria Sartorius aus dem Sauerland. Als Karl Ferdinand etwa fünf Jahre alt war, zog die Familie zurück nach Westfalen. Trotz der relativ kurzen Zeit in Lieser sollte man die Bedeutung der frühen Südeifler Kinderjahre für die Entwicklung Beckers nicht unterschätzen. Der Kontakt mit der moselfränkisch sprechenden Dorfbevölkerung machte den Sohn der zugezogenen Beamtenfamilie nachhaltig prägend auf das Phänomen Sprache aufmerksam. Dem Verhältnis von Dialekt zur Hochsprache widmete Becker später besondere Aufmerksamkeit.

Bemerkenswert ist die Fülle herausragender Persönlichkeiten unter Beckers Nachkommen. Zwei seiner Söhne taten sich als Pädagogen hervor; sein Enkel, der Orientalist Carl Heinrich Becker, war preußischer Kultusminister. Die Tochter Ferdinande heiratete den namhaften Philosophen F. A. Trendelenburg; mehrere ihrer Nachkommen erwarben sich als Wissenschaftler internationales Ansehen.

Verfasser: Gregor Brand

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