Karl Christoffel

Als sich der damals schon hochbetagte Karl Christoffel im Kreisjahrbuch 1985 in einer Abhandlung zur langen Geschichte seines Heimatdorfes selbst unter die berühmten Ürziger einreihte, war dies kein Zeichen von Überheblichkeit. Der 1895 in diesem Weinort von Weltruf als Winzerspross Geborene konnte auf ein beeindruckendes Lebenswerk zurückblicken. Christoffels schriftstellerisches Lebenswerk umfasst mehr als 3000 Druckseiten und sein politisches Wirken war von 1945 an für viele Jahrzehnte wichtiger Teil der Geschichte von Südeifel und Mittelmosel sowie von Rheinland-Pfalz überhaupt.

Kindheit und Jugend Christoffels fielen noch in die wilhelminische Kaiserzeit. Auf das Abitur 1914 am Trierer Friedrich-Wilhelm-Gymnasium folgten harte Weltkriegsjahre, aus denen der Eifelmoselaner als Unteroffizier zurückkehrte. Christoffels anschließende Studienjahre könnten fast den Eindruck erwecken, als habe er damals noch nicht genau gewusst, welche seiner Begabungen er zu einem Beruf entwickeln soll. Er studierte zunächst Deutsch, Französisch und Geschichte in Münster und machte dort 1920 sein Staatsexamen. Von 1920 bis 1923 folgte ein Studium der Volks- und Betriebswirtschaft in Köln mit dem Abschluss als Diplom-Kaufmann. Zielstrebig ging der Ürziger zwei weinbaugeschichtliche Doktorarbeiten an und wurde zum später öfters so genannten „Doppeldoktor“: sowohl Dr. phil. (1922) als auch Dr. rer. pol. (1923). Nur ein Jahr später beauftragte die Reichswehr den hochqualifizierten Kriegsteilnehmer mit der Leitung einer Heeresfachschule für Verwaltung und Wirtschaft. Von 1924 bis 1945 unterrichtete er als Oberstudiendirektor an verschiedenen Standorten im Reichsgebiet, zuletzt in Berlin.

Im Zweiten Weltkrieg arbeitete Christoffel als Heeresbeamter in der Abteilung Erziehung und Unterricht im Oberkommando des Heeres. Erstaunlich ist, dass er diese Positionen behaupten konnte, ohne – soweit bekannt – Mitglied der NSDAP zu werden. Neben seiner besonderen fachlichen Qualifikation dürfte dies vor allem damit zusammenhängen, dass sich der Katholik Christoffel äußerlich den Machtverhältnissen anpasste. Dafür spricht auch die von den bisherigen Christoffel-Biographen nicht erwähnte Tatsache, dass der Heerespädagoge Christoffel 1944 das Buch „Volk, Bewegung, Reich: Grundlegung für den nationalpolitischen Unterricht“ veröffentlichen konnte. Dieses Werk, das „nur für den Gebrauch innerhalb der Wehrmacht“ vorgesehen war, wurde 1985 von dem US-Pädagogikhistoriker G. W. Blackburn in seine Untersuchung über die Erziehung im Dritten Reich einbezogen. In dem Lehrbuch finden sich Sätze, die an den Staatstheoretiker Carl Schmitt erinnern, dessen  Vorfahren teilweise denselben Südeifeldörfern entstammen wie diejenigen Christoffels.

Nach dem Weltkrieg stellte sich Karl Christoffel sofort in den Dienst des von christlichen Wertvorstellungen geprägten demokratischen Wiederaufbaus. Seine zahlreichen Tätigkeiten können hier nur ansatzweise erwähnt werden: jahrzehntelang CDU-Kreisvorsitzender und 1. Kreisdeputierter, Landtagsabgeordneter und Kulturpolitiker, Mitglied von Verfassungsgerichtshof, Oberverwaltungsgericht und Rundfunkrat, Gründer der Weinbruderschaft Mosel-Saar-Ruwer sowie Mitgründer der Cusanus-Gesellschaft.

Der Einsatz für das geistige Erbe seines weltberühmten eifelmoselanischen Landsmannes Nikolaus von Kues war für den vielfach hoch geehrten Christoffel Teil seiner lebenslangen Beschäftigung mit der Geschichte und Kultur seiner Heimat, die für ihn elementar mit dem Wein verbunden war. Es gibt kaum eine Facette der Weinkultur, zu der er sich nicht höchst kenntnisreich geäußert hätte. Ob es sich um den „Wein in Goethes Leben und Dichtung“ handelt, die „Weinlagen der Mosel und ihre Namensherkunft“ oder die „Weisheit im Wein“ von Homer bis Zuckmayer und vieles mehr: Moselwinzer – viele davon blutsverwandt mit Christoffel – können sich ebenso wie Weinfreunde allgemein auf den Ürziger Weinkenner und Weingutsbesitzer berufen. Der bis ins Greisenalter aktive Mann praktischer Politik wurde gleichsam nebenher zum Dichter des Weins und Propheten des kultivierten Weingenusses. Wie für Goethe, so war auch für Christoffel Wein weit mehr als nur das persönliche Lieblingsgetränk. Als der Ehrenbürger von Ürzig im Sommer 1986 in Bernkastel-Kues für immer die Augen schloss, endete ein von einer selten innigen Verbindung von Wein, Kultur und Politik geprägtes Leben.

 Verfasser: Gregor Brand
 

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