Joseph Feiner

Als sich der fünfzehnjährige Wittlicher Joseph Feiner 1878 entschloss, Lehrer zu werden und nach Münster zog, um sich dort einer bis 1884 dauernden Ausbildung zum Lehrer zu unterziehen, entschied er sich für einen Beruf, der bei relativ geringem Einkommen mit hohen Belastungen verbunden war. Zugleich wählte er aber auch eine Tätigkeit, die im Judentum, dem Feiner entstammte, seit jeher hoch geschätzt wurde. Lehren und Lernen bilden seit der Antike „ein Grundelement jüdisch-religiöser Existenz“ (E. Blum). Nicht zufällig heißt im Jiddischen die Synagoge „Schul“. Zwar war dieses Lernen ursprünglich auf die Religion bezogen, aber seine Wertschätzung strahlte vor allem seit dem 19. Jahrhundert auch auf das weltliche Lernen aus. Joseph Feiner, 1863 als Sohn des Wittlicher Metzgers und Kaufmanns Simon Feiner und dessen Ehefrau, der Osanner Rabbinertochter Karoline Baum, geboren, hatte zunächst die neue jüdische Privatschule seiner Heimatstadt und danach die Wittlicher Höhere Stadtschule besucht. An dieser Schule, wo christliche und jüdische Kinder zusammen unterrichtet wurden, legte man neben der eigentlichen Ausbildung großen Wert auf vaterländische Erziehung. Das Bekenntnis zum Deutschtum blieb auch auf dem weiteren Lebensweg Feiners ein Hauptelement seines Denkens – verbunden mit einer liberalen Auffassung vom Judentum, wie sie ihm auf dem jüdischen Lehrerseminar in Münster vermittelt worden war. Der Rabbinerenkel gehörte zu denjenigen, die zwischen Deutschtum und reformiertem Judentum keinen Gegensatz sahen, sondern beides im Geist von Aufklärung, Toleranz und Emanzipation verbinden wollten. Während seiner langjährigen Lehrertätigkeit, die 1887 auf einer jüdischen Privatschule am Niederrhein begann und ihn nach einer kurzen Lausitzer Zwischenstation 1892 nach Hamburg führte, verfasste der Wittlicher unter anderem Bücher, die jüdischen Vorkämpfern religiöser Aufklärung und politischer Gleichberechtigung galten: G. Riesser, L. Philippson und A. Rée. Mit Riesser und Rée widmete sich Feiner zwei prominenten Hamburgern, wobei er dem Pädagogen und Politiker Anton Rée (1815–1891) innerlich besonders verbunden war. Joseph Feiner unterrichtete nämlich an der Hamburger Stiftungsschule, an der Rée 50 Jahre lang als bedeutender Reformpädagoge gewirkt hatte; nach dem 1. Weltkrieg wurde diese Schule, an der Feiner bis zur Pensionierung 1929 Deutsch, Geschichte, Geographie und jüdische Religion lehrte, in Anton-Rée-Oberrealschule umbenannt.

Etwa ab 1900 entwickelte sich ein weiterer Bereich zu einem Haupttätigkeitsfeld des Freimaurers und Antizionisten: Er engagierte sich in jüdischen Verbänden. Schwerpunkt war der „Verband der jüdischen Lehrervereine im Deutschen Reiche“. Diese Organisation verstand sich als Gesamtvertretung aller jüdischen Lehrer und umfasste neben regionalen Lehrervereinen weit über 1000 Einzelmitglieder. Mit Joseph Feiner war von 1908 bis 1922 ein Eifler als Vorsitzender dieses Verbandes führender Repräsentant der deutsch-jüdischen Lehrer. Feiner erwarb sich bei dieser aufreibenden Tätigkeit hohe Anerkennung und wurde 1922 Ehrenvorsitzender.

Zunehmend düster verlief dagegen sein privates Leben, wie man der jüngst (2011) erschienenen sehr informativen Feiner-Biographie von Franz-Josef Schmit entnehmen kann. Feiner war zweimal verheiratet: Seine erste Frau Fanny Fröhlich, mit der er drei Kinder hatte, starb 1918 durch Suizid. Ebenfalls durch Suizid starben sein Sohn Hermann und seine Tochter Bertha. Kann man den Selbstmord Fannys noch mit einem Depressionsleiden erklären, so hängt der Tod der beiden Kinder zweifellos mit der Naziherrschaft zusammen. Dr. Hermann Feiner, angesehener Jurist und Pianist, nahm sich 1935 das Leben, die Tochter Bertha tötete sich 1943 im Zug nach Auschwitz. Auf der Flucht vor dem NS-Terror emigrierte Feiners zweite Frau 1937 nach Südafrika. Feiner blieb in Hamburg, wo er ohnmächtiger Zeuge des Zusammenbruchs seines Lebenswerks wurde: Seine Schule wurde 1933 geschlossen, was er als „verheerenden Kulturabbau“ ansah, und ein harmonisches deutsch-jüdisches Zusammenleben erschien nun als naive Utopie. Als dem Vereinsamten nach einer Denunziation auch noch Verhaftung drohte, nahm sich Joseph Feiner im März 1938 das Leben. Sein Sohn Erich ebenso wie seine Enkelkinder überlebten den Holocaust im Ausland. In Hamburg erinnern inzwischen „Stolpersteine“ an den idealistischen Pädagogen aus der Eifel.
 
 Verfasser: Gregor Brand
 

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