Josef Maria Neumann

– Priester und Abstinenzaktivist aus Dudeldorf

207_neumann_41_14Man könnte es eine Schnaps-Idee nennen: Fußball-Legende Max Merkel ließ einmal seine alkoholabstinenten Spieler gegen die Trinkfreudigen antreten. Als wider Erwarten die „Alkoholiker“ haushoch gewannen, grantelte der Wiener Meistertrainer: „Dann saufst halt weiter!“ Mit dieser Einstellung wäre er vermutlich kein Freund Josef Neumanns geworden. Der am Pfingstmontag 1856 in Dudeldorf geborene Priester Neumann machte den gesellschaftlichen Kampf gegen Alkoholmissbrauch zu seiner Lebensaufgabe.Von seinem Geburtsort unweit der Bierstadt Bitburg wurde Neumann kaum geprägt. Wenige Monate nach Josefs Geburt wurde sein Vater, ein Friedensgerichtsschreiber, ins rechtsrheinische Hennef versetzt und zog mit der Familie an die Sieg. In Siegburg besuchte Josef das Gymnasium, nach mehreren Schulwechseln machte er 1876 sein Abitur und studierte Theologie. Man könnte in dieser Entscheidung zum Priesteramt ein Zeichen dafür sehen, dass Neumann bereit war, sich dem Zeitgeist entgegenzustellen. Der katholischen Kirche hatte im vorangegangenen Kulturkampf ein scharfer politischer Wind ins Gesicht geweht.

Die Verkündung des päpstlichen Unfehlbarkeitsdogmas 1870 riss unter den Gläubigen Gräben auf und führte zur Abspaltung der Altkatholiken. Wie weit diese Konflikte Neumann beeinflussten, ist ungewiss; nach außen hin verlief sein Werdegang in traditionellen Bahnen. Auf das Theologiestudium folgte 1881 die Priesterweihe, danach war Neumann als Kaplan und Pfarrer in verschiedenen Gemeinden im Bonner Raum tätig. 1888 wurde er Rektor und Religionslehrer am Arbeiterinnenhospiz in Aachen. Hier sah Neumann aus nächster Nähe, wie Schnaps und Bier unzählige Arbeiterfamilien zerrütteten, die in ihren elenden Lebensbedingungen nur allzu schnell Trost im Alkohol suchten. Dass Alkoholismus auch ein Problem anderer Bevölkerungsschichten war, erlebte Neumann mit Schaudern in der engsten Verwandtschaft, als sein Bruder Alkoholiker wurde.

Vermutlich gab das Schicksal seines Bruders Neumann den letzten Anstoß, aktiv gegen den Alkoholmissbrauch vorzugehen. In Aachen gründete er 1896 den „Katholischen Verein gegen den Mißbrauch geistiger Getränke“, aus dem später der bekanntere Kreuzbund hervorging, und gab die Abstinenz-Zeitschrift „Volksfreund“ heraus. Auf seinen weiteren priesterlichen Stationen in Essen, Honnef und Titz folgte Neumann dieser Kombination von Organisieren und Publizieren; hoch engagiert gründete er zahlreiche Vereine und Zeitschriften, die dem Abstinenzgedanken verpflichtet waren. 1901 rief er den „Priesterabstinentenbund“ ins Leben. Pfarrer Neumann wusste gut, dass auch Geistliche nicht vor Trunksucht geschützt sind; zudem sah er in den Priestern effektive Helfer für seinen Nüchternheitsfeldzug.

Nach zehn Jahren hatte dieser über das Deutsche Reich ausgreifende Verein rund 750 Mitglieder – also nur ein Bruchteil der in diesen Ländern insgesamt lebenden Kleriker. Eigentlich kein Wunder: Schon aufgrund der Rolle des Weins beim Messopfer, aber auch durch eine lange Tradition der Erzeugung von Wein, Bier und anderen „geistigen“ Getränken ist die katholische Kirche nicht prinzipiell alkoholfeindlich – anders als etwa der Islam. Eingedenk dieser Tradition kam es dem Abstinenzler Neumann weniger auf ein Totalverbot von Alkohol an als vielmehr auf eine radikale Reduzierung des Konsums. Mit seinem Abstinenzengagement gestaltete Pfarrer Neumann – wie sein Eifler Landsmann Johannes Haw aus Schweich – in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg einen auf gesündere Lebensweise gerichteten Zeittrend in vorderster Linie mit.

Kritische Stimmen gegen das Trinkunwesen wurden sogar in den katholischen Studentenverbänden immer lauter, was allerdings die Mehrheit der damals fast ausschließlich männlichen Studentenschaft nicht davon abhielt, dem Trinken als Männlichkeitsritual ausgiebig zu huldigen. Außerhalb der Kirchen bekämpften Intellektuelle wie der Schweizer Mediziner Auguste Forel (1848–1931) den Alkohol als Gefahr für die Volksgesundheit. Derartige Überlegungen waren Neumann wohlbekannt, aber für ihn kam der religiöse Gedanke entscheidend hinzu: Unmaß im Trinken war Sünde, Enthaltsamkeit dagegen eine für das Seelenheil wichtige Tugend. Für ihn galt: “Die Tugend der Enthaltsamkeit übt, wer in keiner Weise von seinem Genusstriebe abhängig ist.“ Wie wichtig für Neumann dieses spirituelle Fundament bei allem äußeren kräftezehrenden Einsatz gegen das Alkoholunwesen weiterhin war, zeigte sich im Jahr 1909: Der bisherige Weltpriester Neumann wurde Dominikanermönch und nahm den Ordensnamen Anno an. Pater Anno Neumann waren danach nur noch wenige Lebensjahre vergönnt. 56-jährig starb er im Dezember 1912 an den Folgen einer Erkältung und wurde in Düsseldorf beigesetzt. 100 Jahre nach seinem Tod wurde die Josef-Neumann-Stiftung gegründet, die sich ebenso wie der Kreuzbund – mittlerweile der größte deutsche Sucht-Selbsthilfeverband – dem Herzensanliegen Neumanns verpflichtet fühlt. Verfasser: Gregor Brand

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