Johannes Müller

Der 1801 in Koblenz geborene Johannes Müller gilt als einer der größten Biologen des 19. Jahrhunderts. Ehrfurchtgebietend sind nicht nur Vielfalt und das Riesenausmaß seiner biologischen Forschungen, sondern auch die Namen seiner berühmten Schüler. Der Sohn des eifelmoselanischen Schuhmachermeisters Matthias Müller und dessen mainfränkischer Ehefrau Anna Wittmann veröffentlichte rund 15000 Druckseiten, darunter 20 Bücher und 250 wissenschaftliche Abhandlungen sowie Tausende eigenhändig gezeichneter Abbildungen. Zu den Schülern Müllers gehören legendäre Naturforscher wie Haeckel, Virchow oder Helmholtz. Sowohl mit seinen eigenen Arbeiten als auch durch seine Schüler hat der Mann „von unfaßbarer Schaffenskraft“ (so sein Biograph G. Koller) die Biologie maßgeblich beeinflusst. 

Johannes Müller war väterlicherseits ein echtes Eifelkind. Der Urgroßvater Lorenz Müller aus Hatzenport heiratete mit Marie Sevenich eine Winzerstochter aus Müden. Aus diesem uralten, auf die Kelten zurückgehenden Weinort stammten auch beide Eltern von Matthias Müller, dem Vater des Naturforschers. Geboren und aufgewachsen in Müden, zog Matthias Müller als Schuster nach Koblenz, wo er eine Tochter des kurfürstlichen Leibkutschers heiratete. Auf dem königlich preußischen Gymnasium in Koblenz glänzte ihr Erstgeborener nicht nur im naturkundlichen Unterricht, sondern auch als bester Schüler in Latein und Griechisch. Von seinen Mitschülern wurde der spätere Professor und Rektor der weltberühmten Berliner Universität anerkennend „Hannes der Große“ genannt.

Die „fast erschreckende Vielseitigkeit Müllers“ (G. Koller) machte dem Abiturienten die Studienwahl schwer: Jura, Theologie, Philologie? Müller entschied sich für Medizin. Im Nachhinein erscheint diese Wahl wenig verwunderlich. Schon in seiner Jugendzeit stellte Müller mit Spinnen ausgeklügelte Versuche an. Selbst seinem eigenen Körper brachte er besonderes naturwissenschaftliches Interesse entgegen. Exakt beobachtete er jeden Muskel seines Gesichts und brachte es durch Üben sogar dazu, die einzelnen Gesichtsmuskeln unabhängig bewegen zu können. Kein medizinisch-biologisches Gebiet war für Müllers Neugier zu abgelegen. Er erforschte die Eierstöcke von Gespenstheuschrecken, die Nasendrüse der Schlangen und die Atemorgane der Spinnen ebenso wie die Entwicklung von Säugetieren und Menschen von den Keimzellen an bis zu tödlichen Geschwülsten und Fehlbildungen. Neben seinen unglaublich vielseitigen Einzelstudien machten ihn seine Meisterwerke zur Physiologie des Menschen berühmt.

Die Gefühlswelt des südländisch aussehenden Müller war nicht weniger stark entwickelt als sein Intellekt. Zahlreiche lange Briefe belegen seine innige Liebe für die „herzigen Kinder“ Maria und Max und sein „lieb Nanneschen“ – also seine Ehefrau Nanny (geb. Zeiller). Als Müllers Mutter 77-jährig starb, schrieb seine Frau der Schwägerin: „Müller weint“. Immer wieder gab es Zeiten, in denen der weltweit gefeierte Biologe, der mit 24 Jahren außerordentlicher Professor wurde und seit 1833 an der Berliner Universität lehrte, mit schweren seelischen Krisen zu kämpfen hatte. Teilweise hing dies mit seiner extremen Arbeitsleistung zusammen, die oft kaum Schlaf kannte. Andererseits standen die Depressionen wohl auch mit seinen geistigen Kämpfen in Verbindung. Nach außen ließ Müller nur exakte Forschung gelten, aber die sich aufdrängenden philosophischen Fragen waren ihm nicht gleichgültig. Die Fülle wissenschaftlicher Entdeckungen verschärfte eine alte Streitfrage: Sind alle Lebensvorgänge rein naturwissenschaftlich erklärbar oder gibt es doch einen darüber hinausgehenden Geist und Gott? Die Schwierigkeit einer Antwort quälte Müller ebenso wie unruhige politische Zeiten. Im Revolutionsjahr 1848 war der Eifelspross als Rektor der Berliner Universität im Zentrum des Geschehens. Mit Degen bewaffnet schützte der einstige Burschenschaftler persönlich die unersetzlichen Schätze der wissenschaftlichen Sammlungen. Nachdem sich Müller von dem für ihn niederschmetternden Revolutionsgeschehen erholt hatte, wandte er sich mit beängstigender Rastlosigkeit der Meeresforschung zu. Forschungsreisen führten ihn an Nord- und Ostsee sowie zum Mittelmeer. Pausenloses Arbeiten, Schlaflosigkeit, Schmerzen, die mit Narkotika bekämpft wurden – all das zermürbte seine eiserne Konstitution. Bei der Beerdigung des 57-Jährigen sprach Alexander von Humboldt rührende Abschiedsworte. Seltsames Geschick: Müllers letzte Veröffentlichung galt den urzeitlichen Meereslebewesen der Eifel.
 
 Verfasser: Gregor Brand
 

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