Johann Wagner

Großuhrmacher aus Pfalzel

172_wagner_uhr_04_14Niemand weiß, was um 1790 den Pfalzeler Uhrmacher J. Bernard-Henri Wagner bewegte, kurz nach Ausbruch der Französischen Revolution ausgerechnet in deren Pariser Metropole eine Uhrenmanufaktur zu errichten. Vielleicht dachte er sich: Mögen auch die Franzosen eine neue Epoche in der Geschichte der Menschheit eröffnen  – auch diese Zeit muss gemessen werden. In den folgenden Jahren gelang Wagner jedenfalls der Nachweis, dass die von ihm fabrizierten Zeitmesser dazu besser als die der meisten Konkurrenten geeignet waren. Nicht zuletzt aufgrund von J. Bernard-Henri Wagner selbst entwickelter technischer Verbesserungen und Erfindungen erregten seine Uhren schon auf der Pariser Ausstellung von 1802 bei Fachleuten Aufsehen. Fortan zählte der Name „Wagner“ in Paris und weit darüber hinaus zu den Glanzlichtern der Großuhrmacherkunst. Dazu trugen zwei weitere Mitglieder dieser hoch begabten moselländischen Handwerkerfamilie bei: die Neffen Bernard-Henry Wagner (1790-1855) und dessen Vetter Johann Wagner, der als „Jean Wagner le neveu“ (Johann Wagner der Neffe) in die Geschichte des Uhrenbaus eingegangen ist. Beide Neffen führten im 19. Jahrhundert in Paris berühmte Großuhrenbetriebe. Wegen der Übereinstimmung der Familiennamen, der Tätigkeiten und des zeitlichen Rahmens gibt es manchmal Verwirrung darüber, welcher der drei Wagner gemeint ist, wenn etwa ein bestimmtes Werk des Uhrmachers „Monsieur Wagner“ gerühmt wird.

Johann Wagner kam 1800 in Pfalzel zur Welt, wenige Jahre später arbeitete der Südeifler als Lehrling in der Pariser Großuhrenwerkstatt seines Onkels. Nach Abschluss seiner Ausbildung war Jean zunächst einige Jahre weiter für seinen Onkel tätig, ehe er sich im Alter von etwa 30 Jahren in Paris selbständig machte. Wie das Unternehmen seines Cousins Bernard-Henry entwickelte sich auch der Betrieb Jean Wagners zu einem der berühmtesten des Kontinents. Monumentale Turmuhren, aber auch andere meisterliche Großuhren von Jean Wagner wurden von Schottland bis Nordafrika gebaut – und in seinem Heimatort Pfalzel: 1868 schenkte Jean Wagner der Kirche seiner Heimatgemeinde eine Turmuhr, auf deren Zifferblättern sein Name zu lesen ist. Diese Uhr wurde vor einigen Jahren restauriert und ist nun zur Freude der Pfalzeler wieder voll funktionsfähig.

Zum damaligen Zeitpunkt war Jean Wagner bereits etliche Jahre Hofuhrmacher für Kaiser Napoleon III, ausgezeichnet mit dem Kreuz der französischen Ehrenlegion und Träger zahlreicher Goldmedaillen für die Produkte aus seiner Uhrenwerkstatt. Typisch für diese Pfalzeler Uhrmacherfamilie war die bemerkenswerte theoretische Durchdringung der Großuhrenfabrikation. Auf Johann Wagner gehen neben wichtigen Veröffentlichungen zum Uhrenbau etliche patentierte technische Neuerungen zurück, darunter „Präzisions-Meßinstrumente mit epochemachenden Verbesserungen“ (Wolfgang Meter).

Der Herstellungsspektrum von „J. Wagner“ – so steht sein Name stolz auf den Uhren – war breit und anspruchsvoll. Für die Pariser Ausstellung 1861 ließ er eine bis heute bewunderte Skelettuhr – so genannt, weil sie einen Einblick in das Innere des Uhrenwerks ermöglicht – anfertigen, für Liverpool eine höchst kunstvolle Musikturmuhr. Für die Festungsbauten der französischen Armee von Paris bis Nordafrika lieferten die Wagner-Cousins die ersten elektrischen Uhren. Vor wenigen Jahren wurde die französische Öffentlichkeit auf überraschende Weise erneut auf den Meisteruhrmacher Jean Wagner aufmerksam. Aktivisten der Gruppe „Untergunther“, die sich als Art Kulturguerilla versteht, hatten sich 2005 Zugang zum Pariser Panthéon verschafft. In diesem französischen Nationalheiligtum, in dessen Mausoleum Titanen der französischen Zivilisation wie Rousseau, Zola oder Victor Hugo bestattet sind, setzen sie heimlich mit Hilfe des Uhrmachers Viol die von Jean Wagner 1850 errichtete Uhr wieder in Gang. Wagners Panthéon-Uhr hatte jahrzehntelang in diesem Tempel irdischer Unsterblichkeit die Zeit verkündet, war aber nach einer Beschädigung nicht repariert worden. Die Untergunther-Aktion erhellte schlaglichtartig die historische Bedeutung des Eifler Uhrmachers, dem man einst in Frankreich die Zeitmessung einer nationalen Kultstätte anvertraut hatte.

Trotz aller Ehrungen und materiellen Erfolge schlug das Herz des großen Uhrenbauers bis zuletzt vor allem für seine Heimat am Moselufer. Jean Wagner unterstützte Verwandte und andere Bürger in Pfalzel, ließ dort für seine Schwester ein Haus errichten, in dem er eigentlich sogar seinen Lebensabend verbringen wollte.  Dazu kam es aber aufgrund einer schweren Erkrankung nicht mehr. Am 15. Februar 1875 war die Erdenzeit Wagners abgelaufen. Er starb in der Nähe von Paris, für die Bestattung seines Herzens hatte er aber – wie einst Kardinal Nikolaus von Kues – testamentarisch seinen Heimatort an der Mosel vorgesehen. Auf dem dortigen Friedhof bewahrt ein eindrucksvolles Sandstein-Grabdenkmal die Erinnerung an diesen Großmeister des Uhrenbaus.
Verfasser: Gregor Brand

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