Hubert Knackfuß

Bauforscher und Archäologe aus Dahlem

Unter den im ersten vorchristlichen Jahrtausend von Griechen bewohnten Städten an der Ostküste des Mittelmeeres nahm Milet eine herausragende Stellung ein. Wirtschaft und Kultur dieser in der heutigen Westtürkei gelegenen antiken hubert_knackfuss_01_14Metropole prägten den Mittelmeerraum nachhaltig. Mit dem Philosophen Thales (ca. 625-550 v. Chr.) gebührt Milet der Ruhm, den Urvater der europäischen Philosophie zu stellen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war allerdings über das antike Milet und andere ruhmvolle Stätten in seiner Umgebung im wahrsten Sinn des Wortes Gras gewachsen. Niemand wusste, was an den alten Beschreibungen Wahrheit oder Erfindung war. Der Eifler Archäologe Hubert Knackfuß gehört zu denjenigen, die das Wissen um dieses Erbe der Weltkultur grundlegend wiederbelebten.

Hubert Knackfuß wurde am 25. Juni 1866 im Nordeifelort Dahlem geboren – rund eine Woche vor der Schlacht von Königgrätz, die mit dem Sieg der Preußen über die Österreicher den Gang der deutschen Geschichte entscheidend beeinflusste.  Dieses militärische Ereignis dürfte im Hause Knackfuß auf besondere Beachtung gestoßen sein – immerhin war Huberts Großvater Friedrich Knackfuß (1772–1842) preußischer Generalmajor gewesen. Man kann sich gut vorstellen, dass der erneute Triumph der preußischen Fahnen auch Huberts Eltern, den Rentmeister Eduard Knackfuß und seine Gattin Bernhardine Freifrau von Martial, mit dem zeittypischen Stolz erfüllte. Neben der soldatischen Tradition gab es in der Familie allerdings noch ein anderes, stärkeres Erbe. Hinter dem durchaus drollig anmutenden Namen Knackfuß verbirgt sich eine höchst eindrucksvolle künstlerische und hochkulturelle Familientradition, die hier nur angedeutet werden kann. Huberts Großmutter Walpurgis Settegast, Ehefrau des erwähnten Generals Friedrich Knackfuß, gehörte zur namhaften Koblenzer Medizinerfamilie Settegast; mütterlicherseits war sie eine Kusine des berühmten Publizisten Joseph Görres sowie eine Nichte des Koblenzer Oberbürgermeisters Johann Josef Mazza. Ihre  Schwester Caroline Settegast, Huberts Großtante, war eine im Rheinland außerordentlich angesehene Wohltäterin.

Im Gegensatz zu seinen wesentlich älteren Brüdern Hermann und Eduard, die sich als Maler und Kunsthistoriker einen Namen machten, zeigten sich die künstlerisch-historischen Neigungen bei Hubert Knackfuß eher auf Umwegen. Auf das Architekturstudium an der TH Aachen ließ er eine vierjährige Ausbildung als Regierungsbauführer in Kassel folgen; 1899 wurde er preußischer Regierungsbaumeister.  Zu dieser Zeit bot Knackfuß, der schon lange die Ausgrabung und Erforschung antiker Stätten mit brennendem Interesse verfolgt hatte, dem Archäologen Theodor Wiegand seine Mitarbeit bei dem international Aufsehen erregenden Projekt der Ausgrabung Milets an. Wiegand, ein Bendorfer Arztsohn und mit Knackfuß gut bekannt, gewann mit dem Eifler Baubeamten einen Mitarbeiter, der in der Archäologie neue Maßstäbe setzte. Knackfuß war dafür bekannt, mit höchster Genauigkeit und vorbildlicher Sorgfalt zu Werke zu gehen. Unter seiner technischen Führung wurden auf dem schwer zugänglichen Gelände Milets Theater, Rathaus und Teile des Markts mit bis dahin nicht gekannter Präzision freigelegt und dokumentiert. Mit der millimetergenauen Vermessung von Wandstärken, Farbschichten, Treppenhöhen usw. versuchte Knackfuß den Geheimnissen antiker Bautechnik auf die Spur zu kommen und wurde so zum Hauptbegründer der historischen Bauforschung als wissenschaftlich fundiertem Teil der Archäologie. Er selbst bevorzugte für sein Forschungsgebiet den Ausdruck „Antike Baukunst“, was seine ehrfürchtige  Bewunderung für die Bauleistungen der Antike deutlich macht. Als der preußische Baurat Knackfuß 1919 ordentlicher Professor für Antike Baukunst an der TH München wurde, hatte er eine zwei Jahrzehnte dauernde ergiebige archäologische Tätigkeit hinter sich. Auf die Ausgrabungen in Milet war die unter der technischen Leitung von Knackfuß erfolgte Freilegung des legendären Apollon-Tempels von Didyma erfolgt, einer der größten Tempelanlagen der Antike. Die von Knackfuß 1941 nach langer, sorgfältigster Arbeit veröffentlichte Dokumentation dieses religiösen Zentrums war die bis dahin umfassendste Darstellung eines antiken Baudenkmals überhaupt. Neben der Entdeckung und Erforschung der antiken Bauwerke galt das Hauptinteresse von Knackfuß ihrer detailgenauen Rekonstruktion. Besonders eng mit seinem Namen verknüpft ist das Markttor von Milet, dessen Fassade ebenso wie andere Ausgrabungsstücke im Pergamonmuseum in Berlin zu bewundern sind.

Professor Knackfuß, der 1920 in erster Ehe eine 25-jährige Griechin geheiratet hatte, wurde 1934 emeritiert und musste zusehen, wie sein Lehrstuhl mit dem NS-Architekturtheoretiker Alexander von Senger besetzt wurde. Als Knackfuß nach Kriegsende seine Lehrtätigkeit wieder aufnehmen durfte, versuchte er als fast 79-Jähriger einen Neuanfang. Hubert Knackfuß, bis heute international anerkannt als Pionier der antiken Bauforschung, starb  im Frühjahr 1948 in München.

Verfasser: Gregor Brand

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