Hermann Graf von Neuenahr der Ältere

Das Jahr 1492, in dem Kolumbus Amerika entdeckte, wird oft als Grenzscheide zwischen Mittelalter und Neuzeit genannt. Zu den Menschen, die diese Übergangszeit prägten, gehörte auch der 1492 geborene Graf Hermann von Neuenahr, dessen genauer Geburtsort im Dunkeln liegt. Die Burg Neuenahr, nach der sich sein Geschlecht benannte, kann es nicht gewesen sein, denn diese war damals bereits zerstört. Vielleicht erblickte er das Licht der spätmittelalterlichen Welt auf Schloss Bedburg, das seiner Familie gehörte und wo er selbst später als Hausherr den gefeierten Humanisten und Philosophen Erasmus von Rotterdam gastfreundlich empfing. Als Geburtsstadt kommt auch Köln in Betracht, wo die Neuenahrer Grafenfamilie ein Hofgut besaß und wo Hermann unter der Obhut seines Verwandten Graf Simon von Spiegelberg aufwuchs und ersten Unterricht erhielt. Klarer sind dagegen die Quellen, wenn es um den familiengeschichtlichen Hintergrund dieses zeitlebens so bildungsbeflissenen Adligen geht. Sie führen tief in die Eifel: Sein Vater Graf Wilhelm I. von Neuenahr leitete seine Abstammung von dem Geschlecht von Are ab, deren Stammsitz die „Adlerburg“ Are bei Altenahr war. Hermanns Mutter Walburga war eine Tochter von Graf Kuno I. von Manderscheid, dem Begründer der Linie Manderscheid-Schleiden mit ihren eindrucksvollen Grafenpersönlichkeiten.

Dass Hermann bereits als Dreijähriger Kanoniker am Kölner Domstift wurde, war in diesem elitären Umfeld nicht ungewöhnlich, sondern entsprach der traditionellen Versorgungspolitik des Adels. Nicht mit heutigen Umständen zu vergleichen ist die Immatrikulation des Zwölfjährigen an der Kölner Universität, aber bei Hermann von Neuenahr zeigte der weitere Lebenslauf, dass ihm Bildung und Wissenserwerb essentielle Herzensangelegenheit waren und keineswegs aus bloß äußerlichen Gründen angestrebt wurden. Im Jahr 1508 ließ es sich Junggraf Hermann nicht nehmen, die beschwerliche Reise über die Alpen anzutreten, um in den italienischen Wissenszentren der Renaissance die geistige Dynamik seiner Zeit aus erster Hand zu erleben. Begleitet wurde er von seinem Lehrer und Freund, dem Jülicher Humanisten Johannes Cäsarius (ca. 1468–1550). Beide legten bei ihrem Studienaufenthalt in Bologna besonders Wert auf die Erlernung des Griechischen, dessen Kenntnis ihnen den direkten Zugang zu den verehrten Texten der antiken Denker und Dichter ermöglichte. Nach ihrer Rückkehr wurden die beiden Rheinländer zu eifrigen Fürsprechern des Griechischunterrichts an deutschen Universitäten. Nicht weniger wichtig war Graf Hermann die hebräische Sprache, die er so gut erlernte, dass er wenige Jahre später darin selbst Unterricht erteilen konnte. Dieses Sprachinteresse brachte ihn in Kontakt mit Johannes Reuchlin (1455–1522), dem wichtigsten deutschen Hebraisten seiner Zeit, um den eine höchst hitzige Kontroverse tobte: Als der zum Christentum übergetretene Jude Pfefferkorn unter dem Beifall insbesondere vieler Dominikaner die Verbrennung des Talmud forderte, war es Reuchlin, der solchen Maßnahmen mutig entgegentrat – und Hermann wurde zu Reuchlins „Hauptverteidiger“ (N. Kuropka). Der Eifeladlige bekämpfte die Forderung nach Verbot und Verbrennung jüdischer Schriften teils mit eigenen Veröffentlichungen, teils durch die von ihm unterstützte Publikation von Werken anderer Humanisten. Diese jahrelang geführte heftige Diskussion um Zensur und geistige Freiheit trug ebenso zu Graf Neuenahrs hohem Ansehen bei den großen Humanisten seiner Zeit – wie Melanchthon, Pirckheimer oder Erasmus – bei wie seine sonstigen weitgefächerten intellektuellen Aktivitäten. Graf Hermann errang Anerkennung als Poet, schrieb aber auch sachkundig zu historischen und medizinischen Themen wie etwa dem damals gefürchteten „Englischen Schweiß“. Auf Hermann von Neuenahr gehen desweiteren Erstdrucke bedeutender Werke zurück, die bis dahin nur handschriftlich vorlagen. Bei Reichstagen und anderen Missionen vertrat Graf Neuenahr als katholischer Politiker und Diplomat kurkölnische Interessen. Seine einflussreiche Position in Köln verstärkte sich noch beträchtlich, als er 1524 Domprobst und Kanzler der Universität wurde; in dieser Funktion drängte er erfolgreich auf eine Reform der Studienordnungen. Graf Hermann von Neuenahr starb, noch nicht vierzigjährig, 1530 in Augsburg. Eine Generation später setzte sein Neffe Graf Hermann von Neuenahr der Jüngere als Intellektueller und Politiker das Erbe seines verehrten Onkels ruhmvoll fort.

Verfasser: Gregor Brand

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