Heinz Flohe aus Euskirchen

Fußballweltmeister

flohe_32_13„Wir verlieren eine Ikone, einen genialen Fußballer, eine Integrationsfigur und ein Vorbild.“ Mit diesen Worten würdigte Harald „Toni“ Schumacher, Vize-Präsident des 1. FC Köln, den am 15. Juni 2013 verstorbenen Heinz „Flocke“ Flohe. Obwohl der ehemalige Weltklassetorwart Schumacher als gebürtiger Dürener selbst Eifler ist, hat sein Respekt vor  Heinz Flohes Lebensleistung nichts mit Eifler Lokalpatriotismus zu tun. Im Urteil über  die überragenden fußballerischen Qualitäten Flohes besteht Einigkeit. So sagte beispielsweise Franz Beckenbauer über den Euskirchener: „Damals war Heinz Flohe der beste Fußballspieler Deutschlands.“
Damals – das war zu Flohes Glanzzeit in der zweiten Hälfte der Siebziger Jahre. In der Saison 1977/78, als Flohes Verein, der 1. FC Köln, unter dem Eifler Trainer Hennes Weisweiler triumphal Meister und Pokalsieger wurde, war Flohe nicht nur Kapitän dieser grandiosen Mannschaft, sondern als brillanter Mittelfeldregisseur auch die herausragende Spielerpersönlichkeit. So war es keine Überraschung, dass die Leser des Kölner „EXPRESS“ Flohe zum „Sportler des Jahres“ wählten. Der im Januar 1948 geborene Heinz Flohe war ohnehin in Köln, wo er von 1966 bis 1979 beim Geißbockverein gespielt hatte, ungemein beliebt. Das lag neben seiner Spielweise maßgeblich auch an seiner Art: „Er war ein feiner, anständiger und sauberer Kerl“, lautete die Einschätzung von Wolfgang Overath, der lange mit ihm das Spiel des 1. FC geprägt hatte und sich trotz mancher Konkurrenzsituation in Köln und im Nationalteam ausgezeichnet mit dem Individualisten aus Euskirchen verstand. Flohe war ein sehr bodenständiger Mensch, dessen Leben sich ganz überwiegend – von wenigen Monaten in der Hinrunde der Saison 1979/80 beim TSV 1860 München abgesehen – zwischen Nordeifel und Köln abgespielt hatte. Obwohl er im Kölner Universitätsklinikum zur Welt gekommen war, war er ein echter Sohn Euskirchens. Dort wuchs er mit Großvater und Eltern auf, dort entdeckte sein Vater früh die fantastische Ballbegabung von seinem „meng Hein“ und meldete den Sechsjährigen beim TSV Euskirchen an. Rund zehn Jahre später machte Flohe eine Lehre zum Autoschlosser, aber der Fußball stand weiterhin im Mittelpunkt, zumal Fachleute wie der legendäre Dettmar Cramer überregional auf den Nordeifler aufmerksam wurden. 17-jährig debütierte Flocke im November 1965 in der DFB-Juniorenauswahl, ab der Saison 1966/67 spielte er für den 1. FC Köln. Im Mai 1967 absolvierte Flohe –  an  der Seite von Jupp Heynckes und Günter Netzer – sein erstes Spiel in der U-23. Ein Jahr später wurde er mit dem 1. FC erstmals Pokalsieger; insgesamt standen schließlich drei Pokalsiege und drei weitere Pokalfinalteilnahmen sowie zahlreiche Europacupspiele auf seinem Konto. In der Nationalmannschaft kam Flohe auf 39 Länderspiele und erzielte acht Treffer, darunter mit einem Seitfallschuss das tausendste Tor des DFB-Teams. Bei der WM 1974 setzte ihn Bundestrainer Schön, dem Flohe bisweilen zu eigensinnig spielte, in drei Partien ein; zu Recht gilt der Eifler als Fußballweltmeister, auch wenn er beim Finale gegen die Niederlande nur auf der Bank saß. Dass Heinz Flohe trotz seiner fußballtechnischen Extraklasse nicht die Bekanntheit anderer Fußballstars wie Overath oder Netzer erreichte, lag nicht zuletzt an seiner öffentlichkeitsscheuen Art. Der heimatverbundene „begnadete Techniker“ (Pit Gottschalk) Flohe zog die Gesellschaft seiner rheinischen Freunde Auftritten im Fernsehen allemal vor. Hinzu kam, dass Flohe immer wieder durch Verletzungen zurückgeworfen wurde. Gegenspieler konnten den ungemein schnellen, wendigen und dribbelstarken Fußballkünstler oft nur durch Fouls stoppen. So musste Flohe auch die Fußball-WM 1978 in Argentinien nach vier Spielen verletzungsbedingt verlassen; gut möglich, dass die nachfolgende Niederlage gegen Österreich („Schmach von Córdoba“) für das deutsche Team bei einem längeren Verbleib Flohes ausgeblieben wäre. Auch sein vorzeitiges Karriere-Ende ging auf eine brutale Verletzung zurück: Im Dezember 1979 verursachte Paul Steiner vom MSV Duisburg mit einem brachialen Foul einen komplizierten Waden- und Schienbeinbruch, an dessen Folgen Flohe noch jahrelang litt. Dem geliebten Fußball blieb er daraufhin als geschätzter Trainer in Köln, Euskirchen und Zülpich treu. Aber auch diese Lebensstation geriet bald in den Schatten gesundheitlicher Probleme. Der 44-jährige Flohe musste 1992 erstmals am Herzen operiert werden, 2004 wurde ihm eine neue Herzklappe eingesetzt. Noch schlimmer traf das Schicksal ihn, seine Frau Ursula und seinen Sohn Nino, als er im Mai 2010 bei einem Spaziergang zusammenbrach und schließlich in ein künstliches Koma versetzt wurde. Nach dreijährigem Wachkoma starb der einst so lebensfrohe Ballkünstler Heinz Flohe 65-jährig als Erster der Weltmeistermannschaft von 1974, nur einen Tag vor dem 89-jährigen Ottmar Walter, Fußballweltmeister von 1954. Verfasser: Gregor Brand

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