Ernst Loeb

Germanist aus Andernach

Ernst Loeb
Ernst Loeb

Der vom Löwen, dem biblischen Symbol des Stammes Juda, abgeleitete jüdische Familienname Loeb gehörte einst zum gewohnten Familienbild der Osteifel. Brillante Köpfe wie die Mayener Biologen Jacques und Leo Loeb oder Harvard-Professor Arthur L. Loeb (1923-2002), der in den USA zum führenden Design-Wissenschaftler wurde und dessen Vorfahren aus Niederzissen stammten, tragen zum Ruhm der Eifler Loebs bei. In den Kreis dieser jüdischen Familien reiht sich auch der 1914 in Andernach geborene Germanist Ernst Loeb ein. Ernst Loebs Leben ist keine typische Professorenbiographie. Der später als Goethe-Experte gerühmte Gelehrte, einer von drei Söhnen des Ehepaares Julius Loeb und Selma Minkel,  hatte nicht einmal Abitur. Das Kurfürst-Salentin-Gymnasium im Heimatort verließ er im Frühjahr 1933, als man ihm die Versetzung in die Oberprima verweigerte. Der Historiker Dr. W. P. Fischer, unermüdlicher Erforscher Andernacher Geschichte, vermutete, dass der gymnasiale Ärger Loebs primär mit dessen politischen Aktivitäten zu tun hatte. Schon als Jugendlicher war Loeb leidenschaftlich an Politik interessiert. Anfang der Dreißiger Jahre, als nationalsozialistische Studenten die Vorherrschaft im Deutschen Studentenbund errangen, war Gymnasiast Loeb Mitglied der Sozialistischen Arbeiterjugend und trat öffentlich bei Veranstaltungen der SPD auf. Im Lehrerkollegium verschaffte er sich damit keine Freunde; provokative Beiträge des Unterprimaners Loeb im „Skandal Anzeiger Karneval 33“ machten anscheinend für beide Seiten die Situation unerträglich. In den folgenden drei Jahren blieb Andernach Wohnsitz des Schulabbrechers Loeb, der sich nun in der Hilfe für auswanderungsbereite jüdische Mitbürger engagierte. 1936 emigrierte der als Jude und Sozialist gefährdete Loeb in das Britische Mandatsgebiet Palästina, zwei Jahre später nach Philadelphia. Für die Entscheidung zugunsten der USA dürften familiäre Gründe maßgeblich gewesen sein: Wie weitere Verwandte, so suchten auch Loebs Eltern in den USA Zuflucht vor dem NS-Terror. Für den mittellosen und ohne Berufsausbildung eintreffenden Eifler war der Amerika-Start nicht einfach. Loeb arbeitete in körperlich harten Jobs, ehe er eine weniger belastende Bürotätigkeit fand. Nach der Heirat mit der ebenfalls aus Deutschland emigrierten Margot Sonnenberg konnte Loeb dank der Unterstützung seiner berufstätigen Frau seinen Wunsch nach einem Literaturstudium verwirklichen. Dass dies zu einer Professur führen würde, war lange Zeit eine weit entfernte und unsichere Aussicht. Überhaupt scheint das mit zwei Kindern gesegnete Paar Loeb-Sonnenberg noch lange geschwankt zu haben, wo und wie es weitergehen soll. Ernst Loeb hing nach wie vor an seinem Geburtsort. Trotz der bedrückenden Erfahrungen der NS-Zeit besuchte er 1951 erstmals wieder seine Osteifler Heimat und erkundigte sich nach Möglichkeiten, als Lehrer an einem deutschen Gymnasium arbeiten zu können – eine angesichts seines Wissens und intellektuellen Fähigkeiten keineswegs vermessene Überlegung, die er jedoch wegen Fehlens der laufbahnmäßigen Voraussetzungen ad acta legen musste.

Erst 15 Jahre später besuchte Ernst Loeb erneut die Bundesrepublik. In der Zwischenzeit waren in seinem Leben grundlegende Veränderungen eingetreten. Loeb hatte sein Studium erfolgreich abgeschlossen und 1961 an der Washington University in St. Louis mit einer umfangreichen Untersuchung über „Die Symbolik des Wasserzyklus bei Goethe“ den Doktortitel (Ph.D.) erworben. Anschließend wurde er Professor in St. Louis, dann wechselte er an die Universität in Seattle. Als Germanistik-Professor der dortigen University of Washington traf Ernst Loeb 1966 zusammen mit einer Gruppe seiner Studenten zum zweiten Deutschland-Besuch nach seiner Emigration ein. Professor Loeb nutzte den mehrmonatigen Aufenthalt zu einer intensiven Kontaktaufnahme mit seinem Heimatort. Er nahm an einem eigens für ihn vorverlegten Klassentreffen teil und trat der „Vereinigung ehemaliger Salentiner“ bei. Erleichtert wurde ihm die neue Verbindung mit Andernach, die nicht mehr abbrach und durch weitere Reisen vertieft wurde, durch die freundliche Aufnahme seitens vieler Andernacher. Die Stadt veranstaltete 1966 zu Ehren des Ehepaars Loeb einen repräsentativen Empfang. Für Loeb stand fest: „Das Bekenntnis zur Heimat und zur Muttersprache ist ein Bekenntnis zu uns selbst und zu unserem besseren Ich.“ Seinen rebellischen Geist bewahrte Loeb auch als Hochschullehrer. In den USA gehörte der herausragende Goethe-Forscher zu den scharfen Kritikern des Vietnam-Krieges. Seine  Empörung über die US-Politik wurde für ihn zu einem Hauptgrund, 1970 einen Ruf der kanadischen Queen’s University anzunehmen, wo er fortan als menschlich und fachlich hoch geschätzter Experte für deutsche Literatur lehrte. Zum bleibenden geistigen Ausdruck des mit dem Bundesverdienstkreuz Geehrten gehören zwei schmale Gedichtbände, die Ernst Loeb in einem Andernacher Verlag veröffentlichte, darunter zwei Jahre vor seinem Tod (1987) gleichsam als Vermächtnis: „Hoffen darf die Erde“.
Verfasser: Gregor Brand

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