Bernd Alois Zimmermann

– Komponist aus Bliesheim

Als der 52-jährige Komponist Bernd Alois Zimmermann 1970 starb, galt er bereits als einer der wegweisenden Persönlichkeiten der musikalischen Avantgarde. Diese Einschätzung seines hohen Rangs innerhalb der Musik des 20. Jahrhunderts hat sich seither erhalten und gefestigt. Nur ein Jahr vor Zimmermanns Tod war in der Tonhalle Düsseldorf (damals: „Rheinhalle“) sein „Requiem für einen jungen Dichter“ uraufgeführt worden, eine Totenmesse, wie man sie bis dahin auch nicht annähernd gehört hatte. Der renommierte Musikkritiker Dr. Wolfram Schwinger (1928-2011) sprach in einem Nachruf in der „ZEIT“ von einem „Kolossalwerk“. In diesem Musikwerk, das mit dem Untertitel „Lingual“ den Anspruch auf eine neue Werkgattung erhob, hatte Zimmermann in Klang- und Geräuschmontagen unterschiedlichster Elemente eine Totenfeier geschaffen, die von den Zuhören als apokalyptisch und monströs zugleich empfunden wurde – aber auch als so genial, dass der Dirigent Michael Gielen meinte, Zimmermann sei vielleicht „der letzte große Komponist, der alles kann“. Im „SPIEGEL“ war die Rede von einer „gewaltigen symphonischen Wort-Collage“, bei der Zimmermann Zitate unterschiedlichster historischer Figuren – von Augustinus über russische Lyriker bis zu Goebbels und Mao – verwendete. Hier kann natürlich nur zu einem winzigen Bruchteil die Komplexität dieses Werkes angedeutet werden, die allenfalls erahnen lässt, welche musikalische und philosophische Kreativität in Zimmermanns Werk steckt.

Dass aus dem 1918 in Bliesheim (jetzt Erftstadt) geborenen Sohn einer katholischen Eisenbahner- und Kleinbauernfamilie später ein Großer der klassischen Musik des 20. Jahrhunderts werden sollte, war lange Zeit nicht absehbar. Als Schüler besuchte Zimmermann das Salvatorianer-Internat in Steinfeld/Eifel, bevor er 1937 in Köln Abitur machte. Nach dem damals obligatorischen Arbeitsdienst entschied er sich bei der Studienwahl zunächst für den Brotberuf eines Volksschullehrers, ehe er sich 1938 an der Hochschule für Musik in Köln für Schulmusik, Musiktheorie und Komposition einschrieb. Wenig später machte die aggressive NS-Politik einen drastischen Strich durch alle Berufspläne. Wie Millionen seiner Altersgenossen musste der hochbegabte Musikstudent Zimmermann als Wehrmachtssoldat in den Weltkrieg ziehen.

Die Fronterlebnisse setzen Zimmermann aufs Äußerste zu. Krankheitsbedingt durfte er 1943 in die Heimat zurückkehren, wo er dann nach Kriegsende seine Hochschulausbildung mit dem Schulmusikexamen abschloss. Mit Kursen bei renommierten Kompositionslehrern und durch Selbststudium erwarb sich Zimmermann eine exzellente Kenntnis nicht nur der neuen Entwicklungen in der Musik, sondern auch der Geistesgeschichte. Sein kompositorisches Schaffen galt zunehmend als intellektuell besonders anspruchsvoll und anspielungsreich – mit anderen Worten: als schwierig.

Verstärkt wurde dieser Eindruck durch das musikalische Feld, dem sich Zimmermann verschrieb: die Avantgarde, also jene Fortentwicklung der klassischen Musik, die nach dem Zweiten Weltkrieg für viele zum Inbegriff revolutionär neuer Musik schlechthin wurde. Eine Musik, die gerade auch zu Zimmermanns Zeit nicht populär und kommerziell einträglich war, sondern den Ruf einer exklusiven Musik für eine elitäre Minderheit hatte. Zimmermanns Werke wurden aufgeführt und beachtet, aber über viele Jahre hinweg musste er seinen Lebensunterhalt primär mit künstlerisch anspruchsloseren, dafür aber populäreren Gebrauchskompositionen für den Rundfunk verdienen. Obwohl er ab 1957 als gefragter Professor für Komposition an der Kölner Musikhochschule tätig war und bedeutende Schüler hatte, war Zimmermann in Köln, dem deutschen Zentrum der zeitgenössischen Musik, insgesamt recht isoliert. An der Hochschule sah er sich Anfeindungen der konservativen Schulmusikabteilung ausgesetzt; schwierig war auch das Verhältnis zu dem berühmten Komponistenkollegen Karlheinz Stockhausen (1928-2007). Wegen interner Zwistigkeiten gab Zimmermann sein 1956 übernommenes Ehrenamt als Präsident der Deutschen Sektion der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (IGNM) bald wieder auf.

Der verheiratete Familienvater Zimmermann bezeichnete sich selbst einmal als „eine sehr rheinische Mischung von Mönch und Dionysos“. Diese Mischung aus katholischer Spiritualität und Lebensfreude verband sich bei ihm mit ausgeklügelten Theorie-Konzepten, bei denen das Phänomen Zeit ihn besonders faszinierte. Neben dem eingangs erwähnten Requiem war die gigantische und zunächst für unaufführbar gehaltene Oper „Die Soldaten“ eine Hauptfrucht seines revolutionären Kompositionswerkes. Tiefe Selbstzweifel, Depressionen, längere Schaffenskrisen und bedrohliche finanzielle Nöte waren dem mit einigen Preisen geehrten Komponisten Zimmermann nie fremd gewesen. Zu all dem kam schließlich noch ein schweres Augenleiden hinzu. Der geniale Komponist, der sein Werk unter das Motto stellte „Alles zur größeren Ehre Gottes“, beendete sein Leben durch Suizid in seinem Haus in Großkönigsdorf (Frechen).
Verfasser: Gregor Brand

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