Mein Jahr in Burkina Faso

Fünfter Rundbrief

Liebe Leserinnen, liebe Leser,
wenn ich daran denke, in welch unterschiedlichen Situationen diese ersten Zeilen meines fünften Rundbriefs gelesen werden, muss ich unwillkürlich schmunzeln. Manch einer wird, schon oder noch, erschöpft sein, ein anderer hat vielleicht bereits ausführlich ein paar Sommer-Stunden genießen können und ist schon ferienfroh– wie dem auch sein, ich jedenfalls sitze, wie immer, an meinem kleinen Tisch und lade Euch herzlich dazu ein, mithilfe dieser Zeilen einen kleinen Streifzug durch meine letzten Wochen hier, in Burkina Faso zu machen. Diese Wochen haben nicht nur das Ende des Schuljahres und somit den Abschied von all den Mädchen des Foyers mit sich gebracht, sondern auch den Beginn der Regenzeit. Also, macht es Euch gemütlich…

Das Ende des Schuljahres Ende Mai…
…brachte für mich reichlich schöne Momente mit sich. Da es für die meisten der Mädchen des Foyers in der Schule schon sehr entspannt zuging und sie viele Freistunden hatten, schenkte das die  Möglichkeit, dass wir uns in so manch milder Stunde in den Schatten setzen und den ganzen  Nachmittag Uno und Mensch-ärgere-Dich-nicht spielen, oder einfach nur unsere Zeit verquatschen konnten.

Während solch müßiges Zusammensein nämlich im Laufe des Schuljahres manchmal etwas zu kurz gekommen zu sein schien, hatten wir nun endlich ausführlich Zeit dazu und ich genoss es umso mehr. An einem besonders sonnigen Sonntag machten wir auch einen Ausflug zu den ‘Pics de Sindou’.  Dazu wurde nicht nur der große Mini-Bus des Foyers vollbesetzt, sondern gleich auch noch die Ladefläche des Allrads. So durchflogen wir die mittlerweile wieder regengrünen Weiten und verbrachten einen sehr schönen Tag bei den uralten, auffällig spitz geformten Felsformationen.

Rasch verstrichen also die letzten Tage des Mais und brachten unweigerlich den großen Abschied von den Mädchen mit sich. Den zelebrierten wir hier im Foyer ganz besonders, nämlich mit einem ‘bunten Abend’: Nach einer Abschlussmesse und dem darauf folgenden gemeinsamen Festschmaus ging es los: Eröffnet wurde der Abend durch einen der Tänze der jüngeren Mädchen. Lächelnd bestaunte ich ihre Schrittfolge, das anmutige Kreisen ihrer Arme – ja, diese 11- und 12-Jährigen wissen, wie sie sich zu ihrer Musik zu bewegen haben. Von Mariam, der Moderatorin des Abends, weiter durch das Programm geleitet, durften wir danach nicht nur weitere Tänze und Theater-Sketche bewundern, sondern auch die Mädchen selbst mit einem kleinen Foyer-Quizz auf die Probe stellen und schließlich sehr herzlich lachen, als an der kleinen Modenschau neben einer weißen Frau sogar eine der Schwestern teilnahm!

Ganz spontan gab auch ein kleiner Chor etwas zum Besten: Hatte es zwar bis zum besagten Tag aus den zahlreichsten Gründen noch keine einzige vernünftige Probe gegeben, so hatten wir uns doch just vor Beginn des Abends rasch zusammenfinden, und unser kleines Liedchen ein- zweimal durchsingen können. Ich glaube, ich brauche kaum zu erwähnen, was für eine Riesenfreude es mir bereitet hat, mit einem Keyboard zwischen den sieben, acht Mädchen zu stehen und zu musizieren, ja, fast könnte man sagen, zu schwelgen…

Als schließlich alle Vorträge glücklich über die ‘Bühne’ gebracht worden waren, blieben wir noch bis tief in die Nacht. Da es dabei drinnen schnell so heiß wurde, dass selbst die Luft anfing zu tanzen, verschlug es mich, gemeinsam mit ein paar der Mädchen nach draußen, wo die Musik immer noch laut genug war. So tanzten wir draußen weiter – barfuß, mit Sand unter den nackten Füßen und einem Sternenmeer am Himmel. Die Luft aber schmeckte schon nach Abschied, bitter und süß, denn über das Jahr sind sie mir alle ans Herz gewachsen. Wann, wo und ob man sich aber wiedersehen wird, steht nun in den Sternen, da es für manche der Mädchen bereits feststeht, dass sie in den nächsten Jahren nicht ins Foyer zurückkehren werden…

So war ich sehr dankbar, dass jene Mädchen, die in der Schule eine Prüfung abzulegen hatten, mir noch eine weitere Zeit erhalten bleiben sollten. Da waren zunächst die 13 Mädchen, für die das ‘BEPC’ anstand, das in etwa vergleichbar mit einem Hauptschulabschluss ist; und zwei weitere, die sich auf ihr Abitur vorbereiteten. In diesen Tagen bemühte ich mich also noch mal besonders, beim gemeinsamen Üben für die mündliche Prüfung in Englisch oder Deutsch alle Wörter ganz besonders deutlich auszusprechen und an den Prüfungstagen selbst, zitterte ich mit ihnen mit.

Wie neues Leben klingt
Während dieser Tage des Abschiedes und der nahenden Prüfungen traf uns (die Schwestern und mich) ein großes, außergewöhnliches Alltagsglück: Ein Kind wurde auf die Welt gebracht, der Bruder von Soeur Elise wurde ein zweites Mal Vater. Da Mutter und Neugeborenes beide wohlauf waren, durften sie bereits am selben Tag nach Hause gehen, wo wir sie am nächsten Tag besuchten. Als mir dort die kleine Clémence in die Arme gelegt wurde, war ich irgendwie total überwältigt: Ich hatte das Gefühl, in den Armen einen ganzen Kosmos zu halten, eine Heiligkeit, eine Schönheit, von der eine Kraft ausging, die mit Worten nicht zu ermessen ist. Kaum kann ich sagen, wie mich dieser Nachmittag so sehr im Innersten berührt hat.

Vielleicht ist es der Tod, von dem es mir vorkommt, dass er hier irgendwie näher an den Menschen wohnt; während meiner Zeit hier gab es in der Familie einer jeden Schwester mindestens einen Sterbefall. So hatte ich in diesen Minuten mit dem Frischgeborenen das Gefühl, nach etwas tasten zu dürfen, dass der selben Wahrheit wie der Tod angehört, aber die andere Seite ist. Geboren werden und sterben, es sind die großen, die schönsten Geheimnisse des Lebens. Da, wo ich sie in ihrer Größe nicht erfassen kann, da will ich meine Seele weiten, um sie von ihrem Licht durchflutet zu wissen.

Mitte Juni wurde uns hier eben jenes Glück gleich noch einmal zuteil, dieses Mal aber brachte es zuvor aber noch schlaflose Nächte mit sich. Es ist die leibliche Schwester eine der Schwestern, die zur gleichen Zeit einen Ausbruch ihrer chronischen Krankheit erlitt und, per Kaiserschnitt, ihre Zwillinge auf die Welt brachte: Nachdem sie bereits zwei Nächte im Krankenhaus der nächst größeren Stadt (in Bobo-Dioulasso) verbracht hatte, erreichte uns an einem Montagmorgen endlich der erlösende Anruf: Es ist ein Mädchen und ein Junge, Kinder und Mutter sind zwar noch sehr schwach, werden sich aber erholen… Die Kinder sind, da einen Monat zu früh geboren, wirklich winzig und ihre Mutter erholt sich nur sehr langsam, trotzdem waren und sind wir alle so unendlich froh, dass das Gröbste der Krise überstanden ist.

Nordwind
In den letzten Wochen gab es hier im Foyer nicht nur eine Weiße, sondern gleich zwei. Zu Besuch waren, eine nach der anderen, meine Vorgängerinnen – also jene, die in vorhergehenden Jahren hier an meiner Stelle mit den Schwestern und Mädchen in den weitläufigen Mauern des Foyers lebten. Mit ihnen zusammen konnte ich mich nicht nur sehr gut austauschen, was den Alltag, die Fragen, die Probleme und die Freuden eines Jahres hier bedeuten, sondern auch die ein oder andere Ferienstunde nutzen, um einen schönen Ausflug zu unternehmen. Davon einer der schönsten war sicherlich die abendliche Fahrt zu einem See…

Während das Umland des Sees, von der Regenzeit bereits getränkt, wieder grün leuchten durfte; der Abendhimmel nur von wenigen, weiten Wolken verschleiert wurde, und kleine Schwärme weißer Vögel in Richtung der untergehenden Sonne aufstoben, glitten wir in einer alten Holzbarke über den See. Dort hatten wir das Glück, sogar die Köpfe ein paar badender Flusspferde erspähen zu können.

Und später, mit der untergegangenen Sonne, begann auch mehr und mehr die Musik des Abends, wie er außerhalb der Stadt klingt: Grillen zirpen, Fledermäuse schwirren, dann und wann wetteifern Kröten miteinander, und vor allem aber stimmt dieser Vogel (dessen Name ich nicht kenne, der mir aber auch immer so sehr aufgefallen ist, wenn ich mit der Schwester in den Dörfern geschlafen habe) sein eintöniges Lied an…

So was Ähnliches wie Alltag
Was nun meine Tage bestimmt, da die Mädchen fort sind? Nunja, das ist eine gute Frage. Wenn ich nicht gerade bei einer der Familien der Schwestern bin, um einen Säugling zu bestaunen und nicht an einem See den Abend atme, dann sind es vor allem die spontanen Dinge, die meinen Alltag bestimmen. Zurzeit mache ich jeden Abend unter der Woche einen kleinen Computer-Kurs mit der Schwester von Soeur Céline, das ist die einzige feste Aufgabe, die ich habe. Den Tag über also helfe ich vielleicht etwas in der Küche, versuche (mehr oder weniger erfolgreich) mit Soeur Eugénie einen Flyer für das Foyer zu erstellen, begleite Soeur Elise zum Zahnarzt und fahre mit Flo den Mais zu der Mühle, wo wir ihn zu Maismehl mahlen lassen. Das Maismehl wird dann (durch vor allem in den Armen recht kräftezehrende Arbeit) mit Wasser über der Feuerstelle zu einem weißgelblichen Brei verschlagen, der danach solange ruhen gelassen wird, bis der schließlich stichfest gewordene ‘Tô’ entnommen werden kann.

Tô ist die Speise, die man quasi als Nationalgericht von Burkina bezeichnen könnte. Wir hier im Foyer essen ihn dreimal in der Woche, jeweils mittags und abends, mit variierenden (Blätter-)Soßen (Blätter des Affenbrotbaumes, Blätter der Kohlpflanze, Blätter des Sauerampfers…); auf den Dörfern wird er (je nach Familie und je nach dem, was um das Dorf herum angebaut wird) bei manchen sieben Tage die Woche zu drei Mahlzeiten zu sich genommen. Anfangs hatte ich mich an Tô und seine Soßen erst einmal gewöhnen müssen, doch mittlerweile bin ich auf den Geschmack gekommen und weiß meinen Tô zu schätzen.

Über den schweren hölzernen Schlägel, mit dem der Tô zubereitet wird (und der ein bisschen ausschaut, wie ein riesiger Kochlöffel), habe ich in der letzten Woche während des Spülens übrigens Folgendes gelernt: Bei einer der Ethnien hier in Burkina, der auch die Postulantin Vito angehört (nämlich bei den ‘Mossi’) ist es untersagt, mit diesem großen Holz jemanden zu schlagen. Warum? – Schlägt ein Mann seine Frau damit, wird sie sich in einen Mann verwandeln; und umgekehrt, schlägt eine Frau ihren Mann damit, wird dieser sich in eine Frau verwandeln.

Dies erzählte sie mir mit einem verschmitzten Schmunzeln im Gesicht; und für mich sind es genau jene kleinen Geschichten, die meinen Alltag so sehr bereichern und mir mehr und mehr Einblicke in das Gefüge erlaubt, in dem ich hier lebe. Denn viele der Menschen hier sind auf einem Dorf geboren und aufgewachsen, und dann erst später in die Stadt gezogen. So auch einige der Schwestern und die beiden Postulantinnen. Nicht selten also lässt jemand den Satz ‘la vie au villageest belle’ (also ‘das Leben auf dem Dorf ist schön’) fallen und beginnt damit eine kleine Erzählung aus der Zeit auf dem Dorf.

So zum Beispiel auch, als wir in größerer Runde die Früchte des ‘Nèèrès’ aus ihren Schalen pulten und dabei Zeit hatten für allerhand Geschichten. Das Leben auf einem burkinischen Dorf fasziniert mich insofern, da ich weiß, dass ich während meiner Zeit hier zwar allerhand Einblicke erhalten durfte und darf, aber auch, dass es für mich immer ein Stück fremde Welt bleiben wird. Die Realität des Alltages ist eine andere. Umso schöner ist es dann, wenn ich (zum Beispiel durch die beiden Postulantinnen Vito und Marco) die Möglichkeit habe, intensiv ihren Geschichten zu folgen, für eine kleine Zeit durch ihr Erzählen in einen solchen Alltag einzutauchen. Das Gefühl, welches ich durch diese Plaudereien von dem Leben auf dem Dorf habe, ist bestimmt davon, dass der Alltag zwar gewiss von körperlich schwerer Arbeit bestimmt ist (vor allem nun, in der Regenzeit, wenn das Arbeiten auf dem Feld wieder begonnen hat); aber auch, dass das Leben eine gewisse Freiheit kennt.

Marco brachte das auf den Punkt, als sie sagte: ‘Natürlich ist es hart, gerade als Frau. Aber sieh mal, wenn Du Holz brauchst, holst Du es Dir. Und wenn Du eine Frucht essen willst, gehst Du zum Baum und pflückst sie Dir. Es ist nicht wie in der Stadt, wo man Dir sagt, dass Du für alles bezahlen musst und Du Dich immer nur fragst, wo nur wieder das Geld herzukriegen. Aufm Dorf bist Du frei.’ Trotzdem verschwieg sie aber später auch nicht, dass, als sie noch in ihrem Dorf lebte, sie sich oft beklagte und wünschte, in der Stadt zu leben. Und nun hat sie die Stadt gelehrt, wie sehr sie ihr Leben auf dem Dorf liebte. Andere, mit denen ich mich unterhielt fügten außerdem hinzu, wie sehr es gerade die letzten Jahre seien, die Änderungen auf den Dörfern brächten. Mit Handys und Fernsehern bahne sich nicht nur eine Veränderung der Moral an (welche die Menschen zum Teil in die Städte locke, zum Teil bestehende Werte umstürze), sondern die auch eine Wichtigkeit des Geldes mitgebracht habe…

Viel Glück und viel Segen…
Was auf einem burkinischen Dorf meistens nicht von Wichtigkeit ist (eher in der Stadt, und mit Sicherheit bei uns, in der Communauté (Gemeinschaft), das ist das Feiern von Geburtsoder Namenstagen. Hatte der Freund meiner Vorgängerin, die zurzeit zu Besuch sind, am gleichen Tag wie Soeur Elise Geburtstag, wurde dies natürlich gleich doppelt gewürdigt. Zur Feier dieses 27. Junis gab es am Abend neben frittierten Süßkartoffeln und Kochbananen auch selbstgemachten Saft (und nicht-selbstgemachten Sangria) und, zum Nachtisch, wurde singend und tanzend ein verzierter Kuchen hereingetragen und schließlich den Geburtstagskindern überreicht. Ich mag es ganz besonders, wenn es hier etwas zu feiern gibt. Denn feiern, das heiß wirklich feiern: Die guten Teller werden aus dem Schrank geholt, es wird gesungen und vor allem die Stimmung ist gut, alle sind zufrieden. Und ja, zwei Tage drauf wurde gleich nochmal Kuchen geschmaust und gefeiert, und diesmal war ich es, der ein schöner Tag bereitet wurde!

Liebe Leserinnen, Liebe Leser,
zehn Monate vergehen anders wenn man sie im Süden von Burkina Faso verbringt. Mittlerweile hat die Regenzeit wieder begonnen und, wie zu Beginn meiner Zeit hier, sind es die gelegentlichen Schauer, die manchmal einfach die Zeit anhalten. Wenn die Tropfen auf das Dach trommeln und draußen sintflutartig das Wasser vom Himmel stürzt. An den Straßenrändern gibt es nun wieder Bananen und Orangen zu kaufen; ebenfalls so wie zu Beginn meiner Zeit hier… Doch es ist nun nicht mehr der Beginn, mittlerweile rückt das Ende meiner Zeit hier näher und näher. Noch aber ist es nicht so weit und all das, was den Abschied aus Burkina Faso betrifft – davon werde ich im nächsten Rundbrief berichten. Bis dahin wünsche ich in Deutschland frohe Sommerstunden und dass ein jeder seine Ferien genießen könne.

Es grüßt Euch sehr herzlich, auf bald,
Eure Elisa, Hillesheim

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