75 Jahre Parlament in Rheinland-Pfalz– eine Erfolgsgeschichte

Landesparlament erinnert in Koblenz an Ursprung und Entwicklung der Demokratie im Land 

Der rheinland-pfälzische Landtag hat 75 Jahre nach der konstituierenden Sitzung der Beratenden Landesversammlung am 22. November 1946 im Theater Koblenz an eben diesem historischen Ort eine Bilanz der Parlaments- und Demokratiegeschichte gezogen und einen Blick in Gegenwart und Zukunft der Demokratie geworfen. Landtagsabgeordnete, Mitglieder der Landesregierung und Ehrengäste kamen hierfür zu einer Festveranstaltung in kleinem Rahmen im Koblenzer Theater zusammen. Landtagspräsident Hendrik Hering und Justizminister Herbert Mertin, der Ministerpräsidentin Malu Dreyer vertrat, würdigten dabei die Entwicklung des Landes und der Verfassung als einzigartige Erfolgsgeschichte. Festrednerin war die Journalistin und Fernsehmoderatorin Dunja Hayali.

Am 22. November 1946 trat die Beratende Landesversammlung zu ihrer konstituierenden Sitzung im Theater Koblenz zusammen. Ziel dieses ersten Landtags war es, eine Verfassung für das neu gegründete Land zu erarbeiten als Grundlage einer neuen demokratischen Ordnung, die bis heute Gültigkeit hat. Damals nahmen 120 Männer und sieben Frauen Platz im Theatersaal, einer der wenigen noch halbwegs intakten Versammlungsstätten der Stadt. Das Deutschhaus in Mainz war durch den Krieg stark zerstört.

Landtagspräsident Hendrik Hering bezeichnete die rheinland-pfälzische Verfassung und die parlamentarische Demokratie als „Erfolgsgeschichte“. Mit kluger Voraussicht sei die Verfassung vor 75 Jahren so formuliert worden, wie sie im Wesentlichen noch heute gelte. Dies sei keine Selbstverständlichkeit, gab es doch in der direkten Nachkriegszeit einige Vorbehalte gegen die parlamentarische Demokratie und andere Sorgen in der Bevölkerung. Einer der Väter der Verfassung habe die damalige Stimmung im Land folgendermaßen zusammengefasst: „Was nützt uns eine Verfassung? Das ist ja doch nur ein Fetzen Papier, wir wollen Brot!“. Bei der Volksabstimmung habe dann auch nur eine knappe Mehrheit von 53 Prozent für die Landesverfassung gestimmt.

Umfrage 1959: Vorbehalte gegen parlamentarische Demokratie 

Hendrik Hering verwies auf eine Umfrage aus dem Jahr 1959. Darin hätten 28 Prozent auf die Frage, wann es Deutschland am besten ging, geantwortet: im Kaiserreich. Und 21 Prozent waren sogar der Ansicht, dass die Nazi-Herrschaft zwischen 1933 und 1939 die beste Zeit gewesen sei. Nur vier Jahre später habe sich jedoch das Meinungsbild grundlegend verändert und 62 Prozent der Westdeutschen sahen in der Bundesrepublik die beste Zeit in der deutschen Geschichte. „Damit ein demokratischer Staat erfolgreich sein kann, bedarf es nicht nur eines gelungenen Verfassungstextes, sondern wirtschaftlicher und diplomatischer Erfolge sowie insbesondere der Erfahrung demokratischer Konfliktbewältigung“, so Hendrik Hering. Anfang der 60er Jahre habe eine Mehrheit der Deutschen erfahren, wie demokratische Auseinandersetzungen abliefen. Protestbewegungen wie die 68er, Umwelt- und Friedensbewegungen hätten die politische Auseinandersetzung belebt.

Hendrik Hering warb dafür, Orte und Persönlichkeiten der Demokratiegeschichte mehr in das öffentliche Bewusstsein zu rücken und die Errungenschaften der Demokratie deutlicher herauszustellen. Demokratie müsse gelebt werden, „sonst bleibt der beste Verfassungstext nur ein Stück Papier“, betonte der Landtagspräsident. Dazu brauche es eine starke Zivilgesellschaft.

Die Parlamente seien dabei die Orte, an dem verbindliche Kompromisse gefunden und der Öffentlichkeit vermittelt würden. Damit leisteten Parlamente etwas, was kein anderes Organ, keine Volksabstimmung oder Volksversammlung leisten könne: in einer komplexen Welt kontinuierlich nach Kompromissen zu suchen.

Kampf gegen Feinde der Demokratie

Klar abzugrenzen hiervon seien die Feinde der Demokratie, Rassisten, Antisemiten und all diejenigen, die behaupteten, für das Volk zu sprechen und keinen Widerspruch duldeten. „Wer schwarz-weiß-roten Fahnen nachläuft und neben offensichtlichen Neo-Nazis marschiert, kann nicht erwarten, als Gesprächspartner von Demokraten akzeptiert zu werden“, sagte Hendrik Hering. Es gehe nicht darum, jemanden das Wort zu verbieten, sondern darum, dass der demokratische Widerspruch deutlich sei und verhindert werden müsse, dass der demokratische Diskurs durch Hass und Intoleranz beschädigt werde. Es müsse aber zugleich Menschen geben, die ihr Wissen und ihre Zeit in den Dienst der Öffentlichkeit stellten. Sehr betroffen mache den Landtagspräsidenten, dass diese Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Journalismus heftig öffentlich angefeindet und bedroht würden. „Menschen wie sie stehen für die demokratische Öffentlichkeit, ohne die eine parlamentarische Regierungsform auf Dauer nicht überleben könnte“, betonte Hendrik Hering.

Justizminister Herbert Mertin betonte die Lebendigkeit der Demokratie, die aber immer wieder neu gestaltet werden müsse, um sie auch weiterhin so lebendig zu halten. „Unsere Verfassung ist 75 Jahre alt, wie sehr hat sich die Welt in dieser Zeit verändert? Wer kann sich vorstellen, wie wir 2096 leben werden? Die Verfassung sind unsere in Worte gegossenen Werte und Spielregeln, die von Zeit zu Zeit behutsam angepasst werden müssen. Ich denke beispielsweise an die Föderalismusreformen der letzten Jahrzehnte, aber auch an die aktuellen Debatten über den Begriff der ‚Rasse‘, die Absenkung des Wahlalters oder die Ergänzung des Klimaschutzes als Staatsziel. Auch die Beteiligungsformate in der Demokratie müssen immer wieder hinterfragt und verändert werden. Der rheinland-pfälzische Landtag geht in vorbildlicher Weise damit um, etwa bei der Nutzung der neuen Möglichkeiten der sozialen Medien und des Internets“, so Justizminister Herbert Mertin. Die Corona-Pandemie bezeichnete er als besonderen Stresstest für die Demokratie, da schnell und entschieden gehandelt werden musste und dabei auch gravierende Einschnitte in Grundrechte notwendig waren. „Corona hat auch gezeigt, dass die Demokratie anpassungsfähig bleiben muss, aber auch anpassungsfähig ist“, sagte Justizminister Herbert Mertin.

Dunja Hayali ging in ihrer Festansprache der Frage nach: Wenn man mit dem Wissen von heute das Grundgesetz neu verfassen könnte: was würde sich ändern?

In einem Filmbeitrag beantworteten junge Menschen aus Rheinland-Pfalz die Frage: Was bedeutet Demokratie für mich? In einer Talkrunde tauschen sich Dunja Hayali, Landtagspräsident Hendrik Hering, Minister Herbert Mertin und der Publizist Albrecht von Lucke über die Herausforderungen und Zukunft der Demokratie aus.

Moderiert wurde die Veranstaltung von Janboris Rätz vom SWR. Das Theater Koblenz sorgte für einen szenischen Auftakt und das Landesmusikgymnasium Montabaur für den musikalischen Ausklang.

 

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