Zwei belgische „Pannen- Reaktoren“ in Grenznähe sollen wieder ans Netz

Atomkraftwerke (AKW) Tihange 2 bei Lüttich Quelle:wikipedia/Hullie
Atomkraftwerke (AKW) Tihange 2 bei Lüttich Quelle:wikipedia/Hullie

Lüttich/Antwerpen. Medienberichten zufolge dürfen die beiden im März 2014 stillgelegten belgischen Atomkraftwerke (AKW) Tihange 2 und Doel 3 wieder ans Netz. Die zwei über 30 Jahre alten Reaktorblöcke sollen am 15.12.2015 wieder angefahren werden. So hat es die belgische Atomaufsichtsbehörde FANC (Federal Agency for Nuclear Control) am 17.11.2015 entschieden. Das AKW Tihange steht bei Lüttich (ca. 130 km bis zur Eifel-Mosel-Region). Das AKW Doel steht bei Antwerpen (ca. 250 km bis zur Eifel-Mosel-Region).

Laut Betreiber „Electrabel“ hätten die vielen Tausend Risse in den Reaktorblöcken keinen „inakzeptablen Einfluss“ auf die Sicherheit, teilte die FANC anlässlich einer Pressekonferenz in Brüssel mit. Von „Russisch-Roulette“ spricht der Dürener Bundestagsabgeordnete Oliver Krischer. Die zwei Reaktoren sollen viele Tausend Risse haben, teilweise bis zu 18 cm Länge. Versuche im belgischen Kernforschungszentrum Mol sollen zu einem „unerwarteten Resultat“ geführt haben. Ein mit Rissen vorbelasteter Stahl versprödet bei radioaktiver Bestrahlung um ein Vielfaches schneller als ein Material ohne Defekte. Es sollen bei den Versuchen die vom Betreiber einkalkulierten Sicherheitsmargen gravierend überschritten worden sein.
Aus dem SPD-geführten Bundesumweltministerium (Ministerin Barbara Hendricks (SPD)) heißt es nur, man habe die Entscheidung der FANC zur Kenntnis genommen und man hätte sich im Hinblick auf ein gemeinsam hohes nukleares Sicherheitsniveau an die belgischen Behörden gewandt.

Fakt ist, Energiepolitik liegt allein in nationaler Hand. Auch die aus Aachen stammende Europaabgeordnete Sabine Verheyen (CDU) bestätigt, dass keine Möglichkeit für ein Verbot besteht. Was würde umgekehrt Deutschland sagen, wenn sich Belgien in die deutsche Energiepolitik einmischen würde. Verheyen bezeichnet die Entscheidung als kritisch und meinte, dass man in diesem Fall nur auf die Expertise der Wissenschaftler vertrauen könne.

Der Superintendent Hans-Peter Bruckhoff  des Evangelischen Kirchenkreis Aachen, sowie die verantwortlichen des Solarenergie-Förderverein Deutschland e.V. (SFV) – Alfons Schulte, Dr. Bernd Brinkmeier, Wolf von Fabeck wenden sich nun mit einem Brandbrief an die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, Frau Dr. Angela Merkel:

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

in großer Sorge um die Sicherheit und Gesundheit der Menschen im Dreiländereck von Deutschland, Belgien und den Niederlanden wenden wir uns persönlich an Sie.

Am 17.11.2015 hat die belgische Atomaufsichtsbehörde FANC trotz vielfältiger Proteste der Bevölkerung das Wiederanfahren der seit vielen Monaten aus Sicherheitsgründen abgeschalteten Kernkraftwerksblöcke Doel 3 und Tihange 2 genehmigt, obwohl die zur Abschaltung führenden technischen Mängel nicht beseitigt werden konnten. Mit dem Hochfahren der beiden Meiler wird für Mitte Dezember gerechnet.

Das Abschalten der beiden belgischen AKW-Blöcke erfolgte, weil ihre Reaktordruckgefäße tausende von Materialfehlstellen aufweisen, deren Anzahl und Ausdehnung sich von früheren bis zur letzten Untersuchung weiter vergrößert hat.  Dem jetzigen Beschluss der FANC liegt, soweit wir informiert sind, keine von unabhängigen Institutionen erarbeitete Erkenntnis darüber zu Grunde, wie diese Risse entstanden sind und wie sich ein solcherart beeinträchtigtes Reaktordruckgefäß unter radioaktiver Strahlung im Normalbetrieb oder gar bei Störfällen oder terroristischen Angriffen verhalten wird.

Seit Monaten hat sich im Dreiländereck eine breite Protestbewegung gegen die von Doel und Tihange ausgehende massive Bedrohung entfaltet.  Viele kommunale Parlamente – unter anderem der Stadtrat von Aachen – haben sich einstimmig gegen das Wiederanfahren gewendet. Eine in diese Richtung zielende Unterschriftenliste hat deutlich über 100.000 Unterzeichner gefunden.

Die NRW-Landesregierung hat signalisiert, dass man unsere Sorgen teile, aber  gegen die Energie-Souveränität Belgiens keine Handhabe besitze. Uns ist klar, dass dies im Prinzip auch für die Bundesregierung gilt. Doch gehen wir davon aus, dass man unter befreundeten Ländern die Ratschläge und Sorgen des Nachbarn ernster nimmt, wenn sie mit der Autorität der leitenden staatlichen Organe vorgetragen werden. Deshalb appellieren wir heute an Sie persönlich, Ihr politisches Gewicht bei der belgischen Regierung dafür einzusetzen, dass die drohende Gefährdung abgewendet wird.

Im vorliegenden Fall möchten wir uns ausdrücklich nicht zu der Frage äußern, ob ein Ausstieg aus der Kernenergie die richtige Entscheidung ist. Es geht uns vielmehr um die Frage, ob eine technische Anlage mit außergewöhnlichem Gefährdungspotenzial in Betrieb genommen werden darf, obwohl die vom Konstrukteur vorgesehenen Sicherheitszuschläge durch unvorhergesehenen Verschleiß nahezu vollständig aufgezehrt sind.  Diese Frage wird im Prinzip nicht nur von Gegnern, sondern auch von Befürwortern der Kernenergie einhellig verneint.

Wir in Aachen wohnen nur gut 60 Kilometer von Tihange entfernt in der Hauptwindrichtung und würden zu den Haupt-Betroffenen eines dortigen Atom-Unfalls zählen. Die Großstädte Düsseldorf, Köln und Bonn sind nicht viel weiter entfernt.

Ganz persönlich daher noch einmal unser eindringlicher Appell an Sie: Bitte setzen Sie sich mit dem nötigen Nachdruck und auf allen Ihnen zur Verfügung stehenden Ebenen dafür ein, dass die drohende Gefährdung der Menschen im Dreiländereck durch das Wiederanfahren von Tihange 2 und Doel 3 unterbleibt!  Die Reaktoren mit den schadhaften Druckbehältern müssen vom Netz bleiben!

Mit freundlichen Grüßen,

Für den Evangelischen Kirchenkreis Aachen im Original gezeichnet: Superintendent Hans-Peter Bruckhoff.
Für den Solarenergie-Förderverein Deutschland e.V. (SFV) im Original gezeichnet: Alfons Schulte, Dr. Bernd Brinkmeier, Wolf von Fabeck.

Wie ist denn die Meinung
unserer Leser?

Die zuvor genannten Institutionen beschränken sich auf das Wohl Ihrer Bürger in NRW. Die Eifel-Mosel-Region in RLP ist zweifellos genauso betroffen. Warum steht denn hier niemand auf?  In Sachen wirtschaftlicher und touristischer Zusammenarbeit gibt es die grenzüberschreitende „Zukunftsinitiative Eifel“. In Mainz sitzt unsere Landesregierung. Man hört nichts. Oder glaubt man etwa, im Falle eines nuklearen Unglücks bleiben die Strahlen an der Staatsgrenze hängen?  Schreiben Sie uns Ihre Meinung: leserbrief@eifelzeitung.de

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