Wohlfahrtsindex droht politisches Rechtfertigungsinstrument zu werden

Der jüngst von der rheinland-pfälzischen Wirtschaftsministerin Eveline Lemke vorgestellte Regionale Wohlfahrtsindex (RWI) Rheinland-Pfalz stößt bei den Industrie- und Handelskammern im Land auf Ablehnung. Robert Lippmann, Federführer Wirtschaftspolitik der IHK-Arbeitsgemeinschaft Rheinland-Pfalz, kritisiert: „Der Wohlfahrtsindex ist als neutraler Maßstab für den gesellschaftlichen Wohlstand und damit als Grundlage politischer Entscheidungen im Land nicht geeignet.“ Das Wirtschaftsministerium hatte den RWI als Ergänzung zum Bruttoinlandsprodukt (BIP)  berechnen lassen, das gemeinhin zur Einordung des Wohlstandes herangezogen wird. Das BIP reiche nicht mehr zur Beurteilung, ob es Deutschland oder Rheinland-Pfalz gut gehe, so die Argumentation des Ministeriums. „In der Tat ist das BIP ein Maß der rein wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Es ist aber selbstverständlich nicht die einzige Zielgröße politischer Entscheidungen“, kommentiert Robert Lippmann.

Das Wirtschaftsministerium hat im alternativen RWI auch immaterielle Werte wie ehrenamtliche Tätigkeiten, Umweltzustand oder den Gesundheitszustand der Bevölkerung bewertet und berücksichtigt. Was zunächst vernünftig klingen mag, erweist sich jedoch als nicht geeignet: „Die Gewichtung der einzelnen Faktoren kann nicht wertfrei erfolgen“, bemängelt Volkswirt Robert Lippmann. „Die Auswahl und Gewichtung der Wohlfahrtsindikatoren folgt im RWI deshalb zwangsläufig einer politischen Interessensentscheidung“, so Lippmann weiter. Denn damit wirkten entsprechende Weichenstellungen per se positiv – vollkommen unabhängig von ihren realwirtschaftlichen Effekten.
Die Industrie- und Handelskammern im Land sehen daher die Gefahr, dass der RWI der rot-grünen Landesregierung künftig vor allem als Bezugsgröße für politische Entscheidungen dienen wird. „In der Praxis droht der Wohlfahrtsindex zu einem politischen Rechtfertigungsinstrument zu werden“, kritisiert Robert Lippmann.

Dies geschieht bereits in der aktuellen Auswertung, in der das Ministerium beispielsweise postuliert, dass sich die Energiewende oder das geplante Klimaschutzgesetz positiv auf den Wohlfahrtsindex auswirken werden. „Hier zeigt sich ganz deutlich, wie problematisch die impliziten Bewertungen des RWI sind“, sagt Lippmann. „Mögliche Belastungen der Wirtschaft und damit verbundene Auswirkungen, etwa auf den Arbeitsmarkt, werden dabei nicht berücksichtigt.“ Wie fragwürdig eine derartige Beurteilung ist, verdeutlicht aus Sicht der IHK-Arbeitsgemeinschaft auch, dass der RWI ausgerechnet für 2009 einen Anstieg ausweist. Zur Erinnerung: Damals brach die deutsche Wirtschaftsleistung infolge der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise um rund 5 Prozent ein, die Arbeitsplatzunsicherheit der Bürger stieg trotz Kurzarbeitergeld sprunghaft an.

„Die Landesregierung täte gut daran, ihre politischen Entscheidungen an neutralen und wertfreien Messgrößen auszurichten“, fordert Robert Lippmann, „so hält man es auch auf Bundesebene.“ Das Bruttoinlandsprodukt sei weiterhin die wichtigste Kenngröße für politische Entscheidungen, denn das wirtschaftliche Wachstum schaffe erst die Grundlage für die Befriedigung vieler immaterieller Bedürfnisse. Hinzu kommt: Gerade weil das BIP keine direkten Aussagen zur Bildungsqualität, dem Gesundheitszustand der Bevölkerung oder der Umweltverschmutzung zulässt, würden Politik und Verwaltung diesen Größen noch einmal gesonderte Aufmerksamkeit schenken, so Lippmann.

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