SPD-Mitglieder entscheiden

Wieso brauchen wir noch Bundestagswahlen?

Albert Alten aus Wernigerode sagte in einem Leserbrief im aktuellen „Spiegel“ (Nr. 49): „Wieso brauchen wir überhaupt noch Bundestagswahlen? Die schnelle und preiswertere Alternative ist doch ein SPD-Mitgliedervotum. Knapp über 470.000 Genossen entscheiden darüber, ob dieses Land eine Große Koalition bekommt und wie ein Volk von 80,5 Millionen Einwohnern regiert wird. So einfach geht das.“ Soll die SPD-Parteispitze geschützt werden?
Mag sein, dass der Mitgliederentscheid, den die SPD durchführt, ihren Zweck nicht darin hat,  Deutschland zu „ärgern“, sondern es soll vielmehr wohl „lediglich“ die SPD-Parteispitze geschützt werden. Hätte sich nämlich die SPD-Parteispitze von vornherein den Koalitionsverhandlungen mit der CDU/CSU verschlossen oder die Verhandlungen scheitern lassen, dann wäre die SPD dafür im Falle von Neuwahlen massiv von den Wählern abgestraft worden. Natürlich wäre dann die SPD-Parteispitze unter der Führung von Gabriel nicht mehr zu halten gewesen. Das, was Gabriel in den Koalitionsverhandlungen gut gemacht hat, gibt er wieder auf, indem er einen SPD-Mitgliederentscheid konstruiert hat. Das tut ihm heute schon leid, denn das kann in die falsche Richtung laufen.

Deutschland hat gewählt, aber knapp 500.000 SPD-Mitglieder entscheiden
Es darf doch nicht wahr sein – wir wiederholen dies hier in der EAZ Eifelzeitung – dass weniger als 500.000 SPD-Mitglieder darüber entscheiden, wie die Regierung nach der Wahl 2013 in Deutschland aussehen soll. Das, was die SPD da macht, hat mit Demokratie nichts mehr zu tun. Die Wähler haben entschieden, welche Partei wie viele Abgeordnete in den Bundestag sendet, und diese Abgeordneten und ihre „Anführer“ haben zu beschließen, wie die Regierung aussieht, nicht aber schlussendlich weniger als 500.000 SPD-Mitglieder. Man kann es nur noch einmal wiederholen: Das Procedere ist irre und undemokratisch. Wer dies auf den Weg gebracht hat, der gehört in den Keller geschickt. Der SPD-Mitgliederentscheid soll offensichtlich die Parteispitze schützen. Nur – vor was?

Heftige Diskussionen im „heute-journal“
Nein, es ist nicht in Ordnung, dass 474.820 SPD-Mitglieder darüber entscheiden werden, welche Regierung künftig die Geschicke von mehr als 80 Millionen Deutschen lenkt. Interessant: Darüber haben am Donnerstagabend, 28.11.2013, im „heute-journal“ SPD-Chef Sigmar Gabriel und ZDF-Moderatorin Marietta Slomka sehr heftig diskutiert.

Verfassungsrechtliche Bedenken sind für SPD-Chef Gabriel „Blödsinn“
Natürlich verteidigte Gabriel den Mitgliederentscheid, der im Übrigen eine absolute Premiere ist. Slomka trug wiederholt verfassungsrechtliche Bedenken vor. Gabriel, so ist es seine Art, nannte das alles absoluten „Blödsinn“. Die renommierte Zeitung „Die Welt“ hat Juristen um eine Einschätzung der einzelnen Argumente gebeten. Gabriel verteidigte den Mitgliederentscheid: „In der Verfassung stehen die Parteien drin. Sie sollen an der Willensbeteiligung des deutschen Volkes teilnehmen.“ Allerdings ist ganz klar, dass das Parteiengesetz es offenlässt, wie dies umgesetzt wird. Im Parteiengesetz heißt es: „Die Parteien sind ein verfassungsrechtlich notwendiger Bestandteil der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.  Sie erfüllen mit ihrer freien, dauernden Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes eine ihnen nach dem Grundgesetz obliegende und von ihm verbürgte öffentliche Aufgabe.“

Renommierte Staatsrechtler sehen in Mitgliederentscheid eine Art „Modifizierung des Wählerwillens“
Christoph Degenhart, Staatsrechtler aus Leipzig, widerspricht Gabriel gegenüber der „Welt“ bei der Interpretation des Gesetzes. Wörtlich: „Parteien wirken an der Willensbildung zwar mit, sie dürfen diese aber natürlich nicht monopolisieren.“  Christian Pestalozza, Staatsrechtler an der Freien Universität Berlin, hält es für „legitim“, dass Parteien uns bei den Wahlen beeinflussen. Das, so sagte er der „Welt“, gelte jedoch nicht für den anschließenden Prozess der Regierungsbildung. Der Mitgliederentscheid komme einer „Modifizierung des Wählerwillens“ gleich. Er habe allerdings Verständnis für diese Rückversicherung, denn den Wähler könne man ja nicht noch einmal befragen.

„Imperatives Mandat“
ZDF-Moderatorin Slomka argumentierte so: „In der Bundesrepublik gibt es kein imperatives Mandat, die Abgeordneten seien frei in ihrer Entscheidung, aber die SPD-Basis schreibe ihren Abgeordneten vor, wie sie entscheiden sollen.“ Gabriel konterte, das sei völlig falsch, die Basis schlage dem Parteivorstand vor, wie er sich verhalten solle. Na ja, lieber Herr Gabriel, da haben Sie sich wirklich in eine ganz schön dumme Situation reinmanövriert! Als „imperatives Mandat“ gilt ein gebundenes Mandat. Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes betrachtet Abgeordnete als Vertreter des ganzen Volkes, die nicht an Aufträge gebunden sind und lediglich ihrem Gewissen unterworfen sind. Staatsrechtler Degenhart sieht hier ein Problem. Mit dem Ergebnis des Mitgliedervotums werde ein Auftrag formuliert. Wörtlich: „Wenn die Mitglieder nein sagen, dann sollten die Abgeordneten auch nicht Frau Merkel zur Kanzlerin wählen.“ Verfassungsrechtlich sei dies im Grunde nicht legitim. Dies gehe, so Degenhart, zu stark in Richtung „imperatives Mandat“.

Bullshit
In der Bundesrepublik ist es der Normalfall, dass die Parteien und nicht die Fraktionen über einen Koalitionsvertrag entscheiden. Ulrich Battis, Staatsrechtler der Berliner Humboldt-Universität, sagte der renommierten Zeitung „Die Welt“: „Verfassungsrechtlich ist die Verknüpfung mit dem Ergebnis des Mitgliedervotums Bullshit.“ Das Ergebnis, so steht es auch in der „Welt“, sei im Grunde genauso wenig bindend wie etwa die Entscheidung eines Parteivorstands. Das gewählte Parlament werde übergangen. Wörtlich: „Wir haben uns jedoch an diesen groben Missstand gewöhnt, der eigentlich dringend korrigiert werden müsste.“ Auch, so steht es weiter in der „Welt“, Christian Pestalozza von der Freien Universität Berlin, findet, dass die Entscheidung ausschließlich ins Parlament gehört. Wörtlich: „Gegen jede Art von Koalitionsvereinbarungen, an denen nicht nur die Fraktion beteiligt ist, habe ich von Haus aus Bedenken.“

Parteimitglieder als „bessere“ Wähler!
Dagegen meint SPD-Chef Gabriel, dass die Einbindung der Basis Schule machen werde. ZDF-Moderatorin Slomka entgegnete, dass dies sehr interessant sei, für sie aber bedeute das, wenn man in eine Partei eintritt, dann ist man ein „besserer“ Wähler, weil man ein zweites Mal abstimmen darf. Christian Degenhart teilte die Bedenken der ZDF-Moderatorin Slomka. Degenhart: „Das hat Frau Slomka gut auf den Punkt gebracht. Die Demokratie geht vom Staatsbürger aus und nicht vom Parteimitglied.“ Dies erklärte Degenhart gegenüber der „Welt“. Allerdings, das Ergebnis des Mitgliederentscheides werde nicht anfechtbar sein. Denn: „Rechtlich gesehen ist die Befragung völlig unverbindlich.“ Christian Pestalozza sieht außerdem keinen Änderungswillen bei den Parteien: „Es wird als gottgegeben hingenommen, dass die politischen Parteien über Regierungsbeschlüsse entscheiden.“ ZDF-Moderatorin Slomka hat aus Expertensicht also berechtigte Bedenken vorgetragen, doch dies wird bei den Abgeordneten der SPD letztlich nicht dazu führen, dass sie ihre Entscheidung, Angela Merkel zur Kanzlerin zu wählen, unabhängig vom Mitgliederentscheid treffen.

Also, Fazit: Politik funktioniert doch irgendwie kurios anders
Was die SPD hier vorführt, ist undemokratisch. Nicht knapp 500.000 SPD-Mitglieder haben über die Regierung zu entscheiden sondern die von über 60 Millionen Wählern gewählten Abgeordneten und Fraktionen.

Basis-Abstimmungen machen letztlich
Abgeordnete und Parlamentswahlen überflüssig
Wie formuliert Prof. Dr. Johannes Michels aus Georgsmarienhütte in seinem Leserbrief an den „Spiegel“ (Ausgabe Nr. 49) zum Thema Sigmar Gabriel und SPD-Mitgliedervotum: „Die eventuell drohende Niederlage bei der Basis-Abstimmung hat Gabriel sich selbst ohne jede Notwendigkeit eingebrockt. Aber so ist er: sprunghaft! Sich zuerst äußern und nachher überlegen, so ist das, seitdem ich ihn kenne. Wenn man die Idee der Basis-Abstimmung zu Ende denkt, braucht man auch keine Abgeordneten und keine Parlamentswahlen mehr. Denn dann kann man bei jedem politischen Vorhaben immer die Parteimitglieder abstimmen lassen und anschließend womöglich im Chaos versinken!“

Gute Nacht, Sozialdemokratie!
Und auch Manfred Dolscheid, Steinfurt, im „Spiegel“ Nr. 49: „… Die SPD schaufelt sich ihr eigenes Grab. Ein Narr, der glaubt, dass das gutgeht. Gute Nacht, Sozialdemokratie.“

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