Nord Stream 1 ohne Gas – Wie geht es jetzt weiter?

Energiekrise
Von Tobias Hanraths und Helge Toben, dpa

Berlin (dpa) – Erst gab es eine lange Wartungspause – und dann wieder Gas aus Nord Stream 1, allen Befürchtungen zum Trotz. Dann folgten kurze Wartungsarbeiten – doch diesmal fließt danach vorerst kein Gas mehr. Angeblich wegen eines technischen Defekts bleibt der Gasfluss durch Ostseepipeline vorerst unterbrochen.

Trotzdem ist die Gasversorgung in Deutschland weiter gesichert, sagen Behörden und Regierung. Doch was heißt das? Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick:

Was ist passiert?

Am Freitagabend teilte der russische Staatskonzern Gazprom überraschend mit, dass der Gasdurchfluss durch Nord Stream 1 bis auf weiteres gestoppt bleibe – und nicht, wie geplant, nach Abschluss der dreitägigen Wartungsarbeiten wieder aufgenommen werde. Grund für den Stopp sei ein Ölaustritt in der Kompressorstation Portowaja, teilte Gazprom mit. Bis dieser gestoppt sei, könne kein Gas mehr fließen.

Stimmt das?

Die Bundesnetzagentur bezweifelt das. «Die von russischer Seite behaupteten Mängel sind nach Einschätzung der Bundesnetzagentur technisch kein Grund für die Einstellung des Betriebs», schreibt die Behörde in ihrem am Samstag veröffentlichten Lagebericht zur Gasversorgung. Ähnlich äußerte sich auch Siemens Energy als Hersteller der angeblich betroffenen Turbine. Die Abdichtung solcher Leckagen sei ein Routinevorgang im Rahmen von Wartungsarbeiten.

Könnte ein Leck den Gasfluss wirklich so ausbremsen?

Ja, sagt Russland – aus Mangel an Alternativen. Es gebe keine technischen Reserven, hatte Kremlsprecher Dmitri Peskow bereits am Freitagmittag gesagt. «Es läuft nur eine Turbine.» Auch dieser Darstellung widerspricht Siemens Energy: In der Verdichterstation Portowaja stünden genug Turbinen für einen Betrieb der Pipeline zur Verfügung, so das Unternehmen. Bereits Ende Juli hatte Russland die Lieferung durch Nord Stream 1 mit Verweis auf eine defekte Turbine zurückgefahren. Gleichzeitig steht in Mülheim weiter eine reparierte Turbine für Nord Stream 1, die auf Weitertransport wartet.

 Kommt nun gar kein Gas mehr aus Russland nach Deutschland?

Praktisch ja – über Waidhaus in Bayern kann aber zumindest theoretisch russisches Pipeline-Gas nach Deutschland gelangen. Waidhaus ist unter anderem Anlaufpunkt für Transgas, ein über die Ukraine und die Slowakei laufendes Leitungssystem nach Österreich und Deutschland, gleichzeitig aber auch für Nord-Stream-1-Gas über Tschechien. Laut Bundesnetzagentur kamen in Waidhaus allerdings zuletzt ohnehin nur noch geringe oder gar keine Mengen an.

Woher kommt dann Gas nach Deutschland?

 

Vor allem aus Norwegen, Belgien und den Niederlanden – und zwar deutlich mehr als zuletzt aus Russland. Am Donnerstag flossen nach Angaben der Bundesnetzagentur rund 2900 Gigawattstunden Erdgas aus diesen Ländern nach Deutschland. Zum Vergleich: Am Montag, noch vor der angekündigten Lieferreduktion, transportierte Nord Stream 1 rund 348 Gigawattstunden russisches Erdgas. Anlaufstellen für zukünftige Importe sind zudem die Terminals für verflüssigtes Erdgas (LNG) an Nord- und Ostsee, die gerade im Eiltempo geplant und gebaut werden. Zum Jahreswechsel sollen die ersten Anlagen den Betrieb aufnehmen.

Wird weiter Gas eingespeichert?

Ja – und das soll auch so bleiben, sagt der Geschäftsführer des Branchenverbandes Initiative Energien Speichern (INES), Sebastian Bleschke. Der vergangene Mittwoch als erster Tag der Lieferunterbrechung habe bereits gezeigt, dass dies möglich sei. Aktuelle Zahlen der europäischen Gasspeicher-Betreiber zeigen allerdings auch, dass seit Beginn der Nord-Stream-Unterbrechung tendenziell weniger eingespeichert und mehr entnommen wird als zuvor. Die Füllstände steigen trotzdem, nach den aktuellsten Daten auf 84,53 Prozent am 1. September.

Kommen wir mit den Speicher-Füllständen durch den Winter?

Eine Verordnung sieht vor, dass die deutschen Speicher am 1. Oktober zu mindestens 85 Prozent gefüllt sein müssen, am 1. November dann zu 95 Prozent. INES-Chef Bleschke geht davon aus, dass die 85-Prozent-Marke schon in wenigen Tagen erreicht wird. «Sollte der komplette Ausfall russischer Gastransporte sich bis in den November fortsetzen, wird ein Erreichen des 95-Prozent-Ziels allerdings große Anstrengungen erfordern.»

Droht jetzt ein Gasmangel?

Klar war immer: Die bei einem Füllstand von 95 Prozent gespeicherte Gasmenge entspricht etwa dem bundesweiten Verbrauch der beiden Monate Januar und Februar 2022. Sie reicht also nicht für eine komplette Heizperiode. Gleichzeitig läuft der Gasimport in Herbst und Winter aber weiter, das dann verbrauchte Gas wird also nicht oder nicht nur aus Speichern kommen. Und Ziel der Gasspeicher-Verordnung war und ist es ja gerade, Deutschland besser gegen einen Totalausfall russischer Lieferungen zu wappnen. Trotzdem betont die Bundesnetzagentur in ihrem aktuellen Lagebericht noch einmal die Bedeutung eines sparsamen Gasverbrauchs.

Wird Gas nun noch teurer?

Das ist schwer vorherzusagen. Der Preis des Terminkontrakts TTF für niederländisches Erdgas, der als richtungsweisend für Gaspreise in Europa angesehen wird, war Ende August zunächst deutlich in die Höhe gegangen. Danach ging es allerdings ebenso steil bergab auf wieder etwas über 200 Euro. Die letzte Preiserhebung vor dem Wochenende datiert allerdings auf 15.59 Uhr am Freitag, also noch vor der Gazprom-Mitteilung zur weiteren Unterbrechung der Gasversorgung.

 

 

Vorläufige Daten: Ab Samstag wieder Gas über Nord Stream 1

Moskau/Lubmin (dpa) – Nach dem Ende eines dreitätigen Lieferstopps sind für Samstagmorgen Gaslieferungen durch die Pipeline Nord Stream 1 angekündigt. Das geht aus vorläufigen Daten der Website der Nord Stream AG hervor. Demnach sind ab Samstagmorgen 2.00 Uhr wieder Gaslieferungen vorgemerkt. Der Umfang entspricht den Lieferungen vor der Unterbrechung, also etwa 20 Prozent der maximal möglichen Menge und damit täglich 33 Millionen Kubikmeter Erdgas.

Bei den Vormerkungen – den sogenannten Nominierungen – handelt es sich um Vorabinformationen für Gasnetzbetreiber, damit diese nennenswerte Mengen transportieren können. Solche Nominierungen können sich noch bis kurz vor der tatsächlichen Lieferung ändern. Die bislang veröffentlichten Daten bilden nur die Zeit bis Samstagmorgen 6.00 Uhr ab, da dann ein neuer Gastag beginnt. Weiterlesen

Gaspreis in Europa steigt nochmals um gut 13 Prozent

Amsterdam/Frankfurt (dpa) – Der Gaspreis in Europa hat seinen Höhenflug zu Beginn der Woche fortgesetzt. Nachdem der für den europäischen Gashandel richtungsweisende Terminkontrakt TTF an der Energiebörse in Amsterdam bereits in der vergangenen Woche deutlich gestiegen war, hat er am Montag den Höhenflug beschleunigt. Am Morgen stieg der Preis um mehr als 13 Prozent auf fast 276 Euro je Megawattstunde.

In der vergangenen Woche war Erdgas in der Spitze bei knapp 251 Euro gehandelt worden. Nur in der Zeit unmittelbar nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine war der Preis für das in Europa gehandelte Erdgas für kurze Zeit höher und hatte Anfang März einen Spitzenwert über 300 Euro erreicht. Weiterlesen

Bundesnetzagentur: Verbraucher müssen mehr Energie sparen

Berlin (dpa) – Die Menschen in Deutschland müssen aus Sicht der Bundesnetzagentur weit mehr Energie sparen, um einen Gasmangel im Winter abzuwenden. Behördenchef Klaus Müller sagte, die Reduktion der Gaslieferungen aus Russland auf nur noch 20 Prozent der vereinbarten Menge habe zur Folge, dass sich der Mangel nur noch in zwei Best-Case-Szenarien verhindern lasse.

«Für diese Szenarien müssen die Verbraucher aber mindestens 20 Prozent einsparen – also viel mehr als bislang», sagte er der Zeitung «Welt am Sonntag». «In allen anderen Szenarien droht schon im Dezember eine Gasmangellage oder wir weisen am Ende der kommenden Heizperiode niedrige Speicherfüllstände auf.» Weiterlesen

Scholz: Gas-Turbine kann jederzeit geliefert werden

Mülheim an der Ruhr (dpa) – Bundeskanzler Olaf Scholz hat Russland indirekt vorgeworfen, Vorwände für die ausbleibenden Gaslieferungen zu nutzen.

Die Turbine für die Pipeline Nord Stream 1 sei jederzeit einsetzbar und könne geliefert werden, sagte der SPD-Politiker bei einem Besuch des Energietechnik-Konzerns Siemens Energy in Mülheim an der Ruhr. Dort ist die Maschine auf dem Weg von Kanada nach Russland zwischengelagert. Laut Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ist das Aggregat seit dem 18. Juli in Deutschland. Weiterlesen

Gasmenge über Pipeline Nord Stream 1 sinkt – Preis steigt

Lubmin (dpa) – Parallel zur angekündigten Drosselung der russischen Gaslieferungen über die Ostseepipeline Nord Stream 1 ist der europäische Gaspreis weiter gestiegen.

Am Mittwochvormittag kletterte der Preis für eine Megawattstunde niederländischen Erdgases zur Lieferung im August im Vergleich zum Vortag um etwa 10 Prozent auf 224 Euro. Der Preis bezieht sich auf den Terminkontrakt TTF, der in Europa als Richtschnur angesehen wird.

Wie angekündigt wird durch Nord Stream 1 weniger Gas geliefert. Der Betreibergesellschaft zufolge wurden seit 9.00 Uhr gut 14 Millionen Kilowattstunden pro Stunde geliefert. Zwischen 6.00 und 7.00 Uhr waren es mehr als 27 Millionen. Das nach 9.00 Uhr erreichte Niveau entspricht der für den weiteren Tag auf der Nord-Stream-1-Website angekündigten Liefermenge. Der russische Konzern Gazprom hatte angekündigt, die Auslastung von Nord Stream 1 von 40 Prozent auf 20 Prozent zu drosseln. Weiterlesen

Russland verringert Gaslieferung durch Pipeline erneut

Moskau/Berlin (dpa) – Nur sechs Tage nach der Wiederaufnahme der Gasversorgung aus Russland durch die Pipeline Nord Stream 1 soll die Liefermenge halbiert werden. Der russische Konzern Gazprom will die Gasmenge an diesem Mittwoch von 40 Prozent auf 20 Prozent der maximalen Kapazität senken.

Es sollen dann nur noch 33 Millionen Kubikmeter Gas täglich durch die wichtigste Versorgungsleitung nach Deutschland fließen, teilte das Unternehmen am Montag mit. Grund sei die Reparatur einer weiteren Turbine, hieß es. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) äußerte scharfe Kritik an Kremlchef Wladimir Putin. Weiterlesen

Russland drosselt die Gaslieferungen: Was sind die Folgen?

Bonn (dpa) – Der russische Gaskonzern Gazprom hat angekündigt, die Gaslieferungen über die Nordsee-Pipeline Nord Stream 1 ab Mittwoch weiter zu drosseln.

Dann sollen statt 40 Prozent nur noch 20 Prozent des eigentlich möglichen Volumens fließen – also nur noch 33 Millionen Kubikmeter Gas täglich. Fragen und Antworten zu den Folgen dieses Schrittes:

Ist die Gasversorgung in Deutschland dadurch akut gefährdet?

Nein. Im Sommer ist der Gasverbrauch in Deutschland vergleichsweise gering, weil kaum geheizt wird. Deshalb gelang es nach Angaben der Bundesnetzagentur, in den vergangenen Wochen sogar während des vollständigen Stopps russischer Gaslieferungen durch Nord Stream 1 aufgrund von Wartungsarbeiten nicht nur den aktuellen Gasbedarf zu decken, sondern auch noch ein wenig Gas in die Speicher zu pumpen. Allerdings nur in sehr geringem Umfang. Weiterlesen

Gazprom reichen Unterlagen zur Nord-Stream-Turbine nicht aus

Moskau (dpa) – Der russische Energiekonzern Gazprom sieht trotz der erhaltenen Begleitdokumente für die von Kanada zurückgelieferte Turbine Risiken für deren Einbau in die Pipeline Nord Stream 1.

«Gazprom hat die betreffenden Dokumente studiert, muss aber konstatieren, dass sie die vorher genannten Risiken nicht lösen und zusätzliche Fragen hervorrufen», teilte das Unternehmen am Montag auf seinem Telegram-Kanal mit. Damit bleiben Fragezeichen um die Gaslieferungen über die Ostseepipeline bestehen. Weiterlesen

Göring-Eckardt schließt Streckbetrieb von AKW nicht aus

Berlin (dpa) – Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) schließt einen sogenannten Streckbetrieb von Atomkraftwerken in Deutschland über das Jahresende hinaus nicht aus. Auf die Frage, ob die Grünen einen Streckbetrieb der Meiler zulassen würden, sagte sie in der ARD-Sendung «Anne Will»: «Wenn es dazu kommt, dass wir eine wirkliche Notsituation haben, dass Krankenhäuser nicht mehr arbeiten können, wenn eine solche Notsituation eintritt, dann müssen wir darüber reden, was mit den Brennstäben ist.» Weiterlesen

Machtspiel um Putins Gas

Moskau (dpa) – Russlands Energieriese Gazprom will sich nicht festlegen zur Zukunft der Energieversorgung in Deutschland und in den anderen EU-Staaten.

Die Wartungsarbeiten an der Ostseepipeline Nord Stream 1 – der wichtigsten Versorgungsleitung von Russland nach Deutschland – sollen zwar an diesem Donnerstag (21. Juli) abgeschlossen sein. Aber es fehlt weiterhin eine wichtige Turbine, die Kanada lange wegen der Sanktionen nach Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine zurückgehalten hat. In Russland erwartet niemand, dass sie bis zum letzten Wartungstag wieder eingebaut ist. Für die Gasversorgung in Deutschland und Europa hat das Folgen.

«Davon hängt die verlässliche Arbeit der Gasleitung Nord Stream und die Versorgung der europäischen Verbraucher ab», teilte Gazprom am Wochenende mit. Das Unternehmen beklagt, es gebe vom deutschen Konzern Siemens Energy keine Dokumente, die eine Rückkehr der Gasturbine bestätigten. Sie sei aber wichtig für die Kompressorstation Portowaja, die wiederum für den Betrieb von Nord Stream 1 essenziell sei. Schon vor Beginn der zehntägigen Wartungsarbeiten hatte Gazprom die Gasdurchleitung durch die Pipeline um 60 Prozent gedrosselt. Das trieb die ohnehin hohen Gaspreise weiter in die Höhe.

Alles dreht sich um die Turbine

Zwar betont Moskau mit Blick auf die Wartungsarbeiten, Russland wolle seine Verpflichtungen als Gaslieferant auch künftig erfüllen. Aber um die Turbine dreht sich längst die Energiekrise in Europa, weil Russland ihr Fehlen nach Befürchtungen der Bundesregierung als Vorwand benutzen könnte, die Lieferungen ganz zu kappen.

Mit hämischer Freunde berichten russische Staatsmedien fast täglich darüber, wie etwa die deutsche Bundesregierung wegen der unsicheren Lage um Nord Stream 1 zum Energiesparen aufruft und Milliarden ausgibt, um die sozialen Folgen rasant steigender Lebenshaltungskosten abzufedern. «Nicht wir haben die Sanktionen gegen uns eingeführt», sagt der Nachrichtenmoderator im Fernsehsender Perwy Kanal.

Auf die Frage aber, ob Kremlchef Wladimir Putin den Gashahn wieder aufdrehen lässt, gibt es in Moskau keine klare Antwort. Deutlich wird nur, dass Russland die Verantwortung für mögliche Schwierigkeiten am ehesten abschieben wird. Auch Gazprom betont immer wieder, auf die kaum gefüllten Gasspeicher in Europa hingewiesen zu haben.

Der Staatskonzern gibt zudem der Ukraine die Schuld an der Lage, weil nicht einmal mehr die Hälfte der möglichen täglichen Liefermenge durch das Transitnetz des Landes geleitet werde. Die Ukraine, die trotz Moskaus Angriffskrieges derzeit noch rund 40 Millionen Kubikmeter Gas täglich nach Westeuropa pumpt, hätte es am liebsten, dass die EU ganz auf Lieferungen aus Russland verzichtet. Auch die Gasleitung Jamal-Europa ist stillgelegt, weil Polen sich weigerte, das Gas – wie von Putin gefordert – in Rubel zu bezahlen.

Moskau erinnert an Nord Stream 2

Schuld an den Problemen sollen aus russischer Sicht stets die anderen haben. Erinnert wird in Moskau aber angesichts der Energiekrise mit hohen Preisen und unsicherer Versorgung nicht zuletzt daran, dass es eine ganz einfache Lösung für die Lage gebe: Nord Stream 2. Die Gasleitung ist fertig, aber wegen des Ukraine-Krieges nie in Betrieb gegangen. Putin hatte erklärt, dass durch Lieferungen über diese Leitung die Preise wieder sinken und sich die Situation insgesamt entspannen könnte.

Russland selbst, da sind sich viele Experten einig, hat kein Interesse daran, in diesem Konflikt als die Seite dazustehen, die Verträge bricht. Andere Großabnehmer wie China oder die Türkei, die ebenfalls über neu gebaute Gasleitungen versorgt werden, könnten alarmiert werden und an Russlands Zuverlässigkeit zweifeln, wenn die Energiegroßmacht Europa den Hahn abdreht. Russland steht seit langem im Ruf, seine Energie als «geopolitische Waffe» einzusetzen.

Wer sich dagegen mit Russland gut stellt – wie etwa Serbien, Ungarn und vor allem etwa auch der Nachbar Belarus -, kann traditionell auf Freundschaftspreise rechnen. Auch China erhält Gas zu einem deutlich niedrigen Preis als der Westen.

Russlands Abhängigkeit vom Gasverkauf

Manche Politiker in Moskau würden den EU-Staaten wegen der antirussischen Politik des Westens am liebsten gleich den Gashahn abdrehen. Der Westen habe seinen Wohlstand überhaupt nur dank Russlands Rohstoffen so aufbauen können, heißt es allenthalben. Die Entwicklung könne nun endlich gestoppt und zurückgeworfen werden.

Trotzdem weist etwa der russische Energie- und Finanzexperte Marcel Salichow darauf hin, dass Moskau von den Einnahmen aus dem Gasverkauf abhängig sei und seinen Staatshaushalt damit finanziere. Es sei auch nicht möglich, die nach Europa verkauften Mengen einfach umzuleiten und anderswo für die im Westen üblichen Preise zu verkaufen. «Auch nach China lässt sich das nicht umleiten. Es gibt dort keine Gasleitungen mit freien Kapazitäten», sagt der Präsident des Moskauer Instituts für Energie und Finanzen an der Hochschule für Ökonomie.

Außerdem seien Russlands Anlagen für die Verflüssigung von Gas voll ausgelastet. Das Land müsste im Fall eines Abdrehens des Gashahns seine Fördermengen deutlich herunterfahren, meint Salichow. «Aber auch das ist nicht so einfach.» Mit den überschüssigen Mengen das Inland besser versorgen? Schon jetzt werde das in Russland geförderte Gas zu mehr als zwei Dritteln im Land verwendet, erklärt der Experte. Der Verbrauch lasse sich nicht einfach hochfahren.

Durch die Sanktionen des Westens stehen schon jetzt viele Produktionsstätten in Russland still. Und auch wenn immer wieder die teils schlechte Anbindung der Bevölkerung in ländlichen Regionen an das Gasnetz ein Thema in Russland ist, erwarten Experten nicht, dass nun plötzlich überall kostspielig Leitungen verlegt werden. Gazprom verdient damit weniger als im Export.

Ziel Russlands dürfte es daher sein, weiter in die EU zu liefern – allerdings zu klaren Bedingungen. Dazu dürfte nicht zuletzt ein Ende des Sanktionsdrucks im Ukraine-Krieg gehören. Jede Sanktion, die der Westen selbst umgeht, wird in Moskau wie ein Triumph gefeiert. Schon zuletzt zwang Putin viele Abnehmer in der EU zu Rubelzahlungen für russisches Gas.

Und auch die Gasturbine soll trotz der Sanktionen nach Russland zurückkehren. Das könne Deutschland nun zwar Hoffnung geben, schreibt die Moskauer Zeitung «Kommersant». «Aber es ist keine Garantie, dass die Lieferungen dann wieder ansteigen.»

Von Ulf Mauder, dpa

 

 

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