Nach 25 Jahren: Gedenken an Colonia Dignidad ausgebremst

Von Denis Düttmann, dpa

Santiago de Chile (dpa) – Die chilenische Polizei rückt mit gepanzerten Fahrzeugen in die Colonia Dignidad ein, Hubschrauber kreisen über dem riesigen Gelände am Fuße der Anden. Die Beamten suchen mal wieder nach Paul Schäfer – doch auch diesmal können sie den so charismatischen wie brutalen Sektenführer aus Deutschland nicht finden.

Stattdessen nehmen die Polizisten sechs Mitglieder der Führungsriege fest. Später werden die Männer gegen Kaution wieder auf freien Fuß gesetzt.

Die Razzia vor 25 Jahren markiert einen Wendepunkt in der Geschichte der «Kolonie der Würde». Die Colonia Dignidad hatte sich ab 1961 zu einem Ort des Grauens entwickelt. Der Laienprediger Schäfer war damals mit seinen Anhängern von Deutschland nach Chile gezogen und hatte nahe der Stadt Parral eine Siedlung gegründet.

Viel Gewalt

Jahrzehntelang ließ er die Sektenmitglieder dort ohne Lohn bis zur Erschöpfung schuften, riss Familien auseinander und missbrauchte deutsche und chilenische Kinder. Während der Militärdiktatur unter General Augusto Pinochet (1973-1990) wurden auf dem Areal Regimegegner gefoltert und ermordet.

Immer wieder gab es Hinweise auf Gewalt und Missbrauch, allerdings wurden sie von der chilenischen und der deutschen Regierung lange Zeit ignoriert. Mit der Razzia am 17. April 1998 machten die chilenischen Strafverfolgungsbehörden schließlich klar, dass sie dem Treiben in der mittlerweile in Villa Baviera umbenannten Siedlung nicht länger tatenlos zusehen würden.

Fehlende Aufarbeitung

25 Jahre nach dem Paukenschlag in der Colonia Dignidad ist die Bilanz allerdings ernüchternd. «In der Colonia Dignidad wurden wahrscheinlich über 100 Menschen getötet, es gab sexualisierte Gewalt, Misshandlungen, schwere Körperverletzung und Folter», sagt der Politikwissenschaftler Jan Stehle vom Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL). «Angesichts dieser Verbrechen ist es skandalös, dass bislang nicht engagierter ermittelt wurde.»

Deutsche Behörden wussten bereits seit den 1960er Jahren von den in der Colonia Dignidad verübten Verbrechen. Weil die rechte Militärdiktatur von General Pinochet während des Kalten Krieges eher zu den Verbündeten der Bonner Regierung gehörte und es auch persönliche Kontakte zwischen deutschen Diplomaten und der Führungsriege der Colonia Dignidad gab, wurde den Hinweisen allerdings nicht nachgegangen.

«Der Umgang mit der Colonia Dignidad ist kein Ruhmesblatt, auch nicht in der Geschichte des Auswärtigen Amtes», räumte der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier 2016 erstmals ein. «Über viele Jahre hinweg haben deutsche Diplomaten bestenfalls weggeschaut, jedenfalls zu wenig für den Schutz ihrer Landsleute in dieser Kolonie getan.»

Kaum Ermittlungen gegen Täter

Mittlerweile leben zahlreiche mutmaßliche Täter aus der Colonia Dignidad in Deutschland. «Die strafrechtliche Aufarbeitung der Verbrechen in der Colonia Dignidad ist höchst ernüchternd. Es gab in Deutschland eine Reihe von Ermittlungsverfahren gegen die Führungsriege, aber alle wurden eingestellt, weil es vermeintlich keinen hinreichenden Tatverdacht gab», sagt Stehle. Da alle Verbrechen außer Mord mittlerweile verjährt sind, haben die Verdächtigen dort keine strafrechtliche Verfolgung mehr zu befürchten.

«Es gibt heute mehr Täterwissen in Deutschland als in Chile», sagt Stehle. «Das ist ein Problem, weil in Deutschland nicht ermittelt wird und die chilenischen Strafverfolgungsbehörden keinen Zugang zu den Verdächtigen haben. Es droht eine biologische Straflosigkeit, da Täter und Opfer sterben, ohne dass die Verbrechen aufgeklärt wurden.»

Horror-Geschichte bleibt erhalten

Künftig soll eine Gedenkstätte in der Villa Baviera an die dort verübten Verbrechen erinnern. Die Idee «hat die Unterstützung unserer Regierung, und wir werden uns entsprechend beteiligen», sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Ende Januar bei einem Besuch in Chile.

Chiles Präsident Gabriel Boric bedankte sich für die «Bereitschaft der deutschen Regierung, zur Suche nach der Wahrheit» beizutragen. «Wir unterstützen das komplett. Der chilenische Staat kämpft unermüdlich für die ganze Wahrheit und Gerechtigkeit».

Die Umsetzung zieht sich allerdings in die Länge. Das Konzept für die Gedenkstätte liegt bereits seit zwei Jahren vor, die verschiedenen Opfergruppen sind sich weitgehend einig, aber noch immer gibt es keine Rechtsform, keine Geschäftsstelle. «Den Moment muss man nutzen. Chile und Deutschland müssen hier engagierter zusammenarbeiten und konkret werden anstatt weiter zu verzögern», sagt Politikwissenschaftler Stehle.

Am 11. September jährt sich der Militärputsch in Chile zum 50. Mal. Opfergruppen und Menschrechtsaktivisten hoffen, dass bis dahin zumindest der Grundstein für das Dokumentationszentrum in der Colonia Dignidad gelegt wird. «Die Gedenkstätte würde diese Siedlung endlich verändern und den Opfern einen Ort der Trauer geben», sagt Stehle.

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Ausgangssperre wegen Waldbränden in Chile verhängt

Santa Juana (dpa) – In Teilen des von verheerenden Waldbränden betroffenen Süden Chiles ist eine nächtliche Ausgangssperre in Kraft getreten. Sie gilt in mehr als 20 Gemeinden der drei betroffenen Regionen Bío Bío, Ñuble und Araukanien von Mitternacht bis 5 Uhr, wie der Sender «Bio Bio Chile» am Donnerstag (Ortszeit) berichtete.

Demnach begannen Armee und Polizei vom Abend an mit den Vorbereitungen, um die Maßnahme durchzusetzen, die der chilenische Präsidenten Gabriel Boric angekündigt hatte. Weiterlesen

Colonia Dignidad: Deutschland und Chile wollen Gedenkstätte

Von Michael Fischer und Martina Farmbauer, dpa

Santiago de Chile (dpa) – Deutschland und Chile wollen mit einer Gedenkstätte an die Opfer der früheren Sektensiedlung Colonia Dignidad in dem südamerikanischen Land erinnern. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und der chilenische Präsident Gabriel Boric sprachen sich am Sonntagabend (Ortszeit) nach einem Treffen in Santiago de Chile gemeinsam dafür aus.

Die Idee, auf dem fast 400 Kilometer südlich der chilenischen Hauptstadt gelegenen Gelände eine Gedenkstätte zu errichten, «hat die Unterstützung unserer Regierung, und wir werden uns entsprechend beteiligen», sagte Scholz. Boric bedankte sich für die «Bereitschaft der deutschen Regierung, zur Suche nach der Wahrheit beizutragen. «Wir unterstützen das komplett. Der chilenische Staat kämpft unermüdlich für die ganze Wahrheit und Gerechtigkeit».

«Die Geschichte der Colonia Dignidad ist schrecklich»

Die Colonia Dignidad hatte sich ab 1961 Jahren zu einem Ort des Grauens entwickelt. Der Laienprediger Paul Schäfer war damals mit seinen Anhängern von Deutschland nach Chile gezogen und hatte am Fuße der Anden die «Kolonie der Würde» gegründet. Jahrzehntelang ließ er die Sektenmitglieder dort ohne Lohn arbeiten, riss Familien auseinander und missbrauchte Kinder. Während der Militärdiktatur unter General Augusto Pinochet (1973-1990) wurden auf dem 17.000 Hektar großen Areal Regimegegner gefoltert und ermordet.

«Die Geschichte der Colonia Dignidad ist schrecklich», sagte der Linkspolitiker Boric, der im Dezember 2021 zum jüngsten Präsidenten Chiles gewählt worden war. Mit dem damals 35-Jährigen zog auch eine neue politische Generation in den Präsidentenpalast ein, die die Militärdiktatur nicht mehr bewusst erlebte und sich von deren Erbe trennen will.

Rundgang durch Museum zur Militärdiktatur

Auf Wunsch des Staatsoberhaupts begann der Chile-Besuch des Kanzlers mit einem gemeinsamen Rundgang durch das «Museum der Erinnerung und der Menschenrechte», das an die Militärdiktatur unter Pinochet erinnert. Im Präsidentenpalast besichtigten die beiden nach ihrem Gespräch dann den «Weißen Salon», in dem sich der sozialistische Präsident Salvador Allende am 11. September 1973 das Leben nahm, als die Putschisten den Palast stürmten. Scholz hat an die Pinochet-Diktatur noch eigene Erinnerungen. Ende der 80er Jahre besuchte er Chile als Funktionär der Internationalen Union der Sozialistischen Jugend. Dieses Jahr jährt sich der Putsch zum 50. Mal.

Die Colonia Dignidad wurde 2005 von der chilenischen Regierung unter Zwangsverwaltung gestellt. Inzwischen befindet sich auf dem Gelände das Hotel «Villa Baviera» (Villa Bayern), in dem noch ehemalige Mitglieder der Sekte tätig sind. Beim Aufbau einer Gedenkstätte wolle Deutschland seinen Beitrag «als Partner» leisten, betonte Scholz. «Wir wollen hilfreich sein. Wir wissen wie sensibel das ganze Thema ist, es gibt verschiedene Opfergruppen.» Die Entscheidungen zur Gedenkstätte müssten in Chile fallen.

Rohstoffpartnerschaft vereinbart

Beim Besuch des Kanzlers ging es auch um die Ausweitung der Zusammenarbeit im Rohstoffbereich. Dazu wurde in Anwesenheit von Boric und Scholz eine Kooperationsvereinbarung unterzeichnet. Das deutsche Unternehmen Aurubis und der chilenische Kupferkonzern Codelco vereinbarten zudem, bei der Modernisierung der Kupferproduktion zusammenzuarbeiten.

Interessant sind für Deutschland auch die riesigen Vorkommen von Lithium in Chile, das für die Produktion von Elektroautos benötigt wird. Da ist derzeit aber vor allem China engagiert, das die Kapazitäten für die Weiterverarbeitung hat.

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Ein Toter bei Bränden in Chile – Katastrophenfall ausgerufen

Viña del Mar (dpa) – Bei Waldbränden in der chilenischen Küstenstadt Viña del Mar ist mindestens ein Mensch ums Leben gekommen. Das teilte die Innenministerin des südamerikanischen Landes, Carolina Tohá, in der Nacht zum Freitag (Ortszeit) auf einer Pressekonferenz mit.

Bislang seien in dem beliebten Urlaubsort etwa 100 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Santiago de Chile mehr als 500 Häuser beschädigt worden. Präsident Gabriel Boric rief den Katastrophenfall aus. «Wir lassen euch nicht alleine», schrieb er auf Twitter. Weiterlesen

«Wunder der Anden»: Wie die Rugby-Spieler überleben konnten

Von Denis Düttmann, dpa

Montevideo (dpa) – Es sollte eine ausgelassene Reise mit Freunden werden, doch sie endete in einer Tragödie. Vor 50 Jahren stürzte eine Maschine der uruguayischen Luftwaffe mit 45 Menschen an Bord in den Anden zwischen Chile und Argentinien ab. Nach 72 Tagen im ewigen Eis auf einer Höhe von rund 4000 Metern wurden schließlich 16 Überlebende geborgen. Niemand hatte mehr an eine Rettung geglaubt, in der Presse war schnell vom «Wunder der Anden» die Rede.

Am 12. Oktober 1972 bestiegen die Spieler der uruguayischen Rugby-Mannschaft Old Christian’s Club mit Freunden, Angehörigen und Betreuern auf dem alten Flughafen von Carrasco eine Maschine vom Typ Fairchild F-227. Das Team wollte in der chilenischen Hauptstadt Santiago ein Freundschaftsspiel absolvieren und einige unbeschwerte Tagen fern der Heimat verbringen. «Wir wollten einfach eine gute Zeit haben», erinnert sich Ramón Sabella, der damals 21 Jahre alt war.

Schock, Schmerzen und Kälte

Wegen schlechter Witterungsverhältnisse legte die Crew einen Zwischenstopp in der argentinischen Stadt Mendoza ein, am Tag darauf wagten sie die Andenüberquerung. Inmitten heftiger Orkanböen und starken Schneefalls touchierte die Maschine einen Gebirgsgrat, verlor die Tragflächen und das Heck und stürzte ab. Zwölf Menschen waren sofort tot, viele andere schwer verletzt. «Wir waren alle in Schock. Überall lagen Leichen herum, die Verletzten schrien vor Schmerzen und es war bitterkalt. Wir hatten ja nur frühlingshafte Kleidung dabei», erzählt der heute 71-jährige Sabella.

Zunächst hatten die Überlebenden noch Hoffnung, dass sie bald gefunden und gerettet werden würden. Mehrere Suchflugzeuge flogen über die Absturzstelle hinweg, allerdings war das weiße Wrack der verunglückten Maschine im Schnee kaum zu sehen. Nach acht Tagen hörten die Überlebenden im Radio, dass die Suche nach ihnen eingestellt worden war. «Wir konnten nicht verstehen, wie unsere Familie und die Regierung uns aufgeben konnten», sagt Sabella. Erst später erfuhr er, dass seine Mutter jeden Abend einen Teller für ihn zum Abendessen auf den Tisch stellte. Teresa Valeta, deren Bruder Carlos bei dem Unglück ums Leben kam, hingegen sagt: «Wir waren uns sicher, dass alle tot sind.»

Überlebende suchen Weg in die Zivilisation

Die Überlebenden versuchten schließlich, sich mit der Situation zu arrangieren. Sie richteten sich in dem Wrack ein, fertigten Decken und Kleidung aus den Stoffüberzügen der Flugzeugsitze und unternahmen Expeditionen in die Umgebung, um nach einem Weg zurück in die Zivilisation zu suchen. Ende Oktober wurde das Wrack von einer Lawine getroffen. Dabei kamen noch einmal acht Menschen ums Leben.

«Wir haben jeden Tag gearbeitet: Wir haben das Flugzeugwrack sauber gehalten, Essensrationen eingeteilt und die Verletzten gepflegt», erzählt Sabella. Auf einem eingeknickten Metallblech und mit Hilfe der Mittagssonne schmolzen sie Schnee, um Trinkwasser zu bekommen. Der Durst war am Anfang das Schlimmste. «Durst zu haben, kann richtig weh tun. Das war schrecklich», sagt Sabella.

Mit der Zeit wurde allerdings auch der Hunger zu einem immer größeren Problem, mit jedem Tag wurden die Überlebenden schwächer. «Wir haben sogar versucht, Leder zu essen, aber es war unmöglich», sagt Sabella. Nach langen Diskussionen rang sich die Gruppe schließlich zum Unfassbaren durch: Um zu überleben, aßen sie das Fleisch ihrer toten Kameraden.

«Das war eine harte Entscheidung. Aber es ist eine Sache, eine Entscheidung zu treffen und eine andere, sie auch wirklich umzusetzen», sagt Sabella. Schließlich schnitten sie mit einer Glasscherbe Fleischstreifen aus den Leichen heraus und legten sie zum Auftauen auf das Flugzeugwrack. «Der Mensch hat die Fähigkeit, sich an alles anzupassen», sagt Sabella.

Zwei Überlebende treffen chilenischen Hirten

Im Dezember wagten Roberto Canessa und Fernando Parrado noch einmal eine Expedition. Nach tagelangen Märschen durch den Schnee trafen sie schließlich den chilenischen Hirten Sergio Catalán. Der ritt zur nächsten Straße und ließ sich von einem Trucker bis nach Puente Negro mitnehmen, wo er die Polizei verständigte. Am 22. Dezember wurden schließlich sieben Überlebende mit einem Hubschrauber der chilenischen Streitkräfte ausgeflogen, am Tag darauf der zweite Teil der Gruppe.

Schnell war klar, dass die jungen Leute nur überleben konnten, weil sie sich vom Fleisch ihrer toten Freunde ernährt hatten. «Möge Gott ihnen vergeben. Gerechtfertigter Kannibalismus», titelte die Zeitung «La Segunda». «Nach der Rettung hat mein Vater die Überlebenden öffentlich in Schutz genommen und sie von jeder Schuld freigesprochen», sagt Teresa Valeta. Für die Überlebenden hatte das große Bedeutung. «Wir haben uns zwar nicht schuldig gefühlt, aber das war trotzdem wichtig für uns», sagt Sabella.

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E-Fuel-Anlage in Chile – Mit starkem Wind zu grünem Benzin

Von Denis Düttmann, dpa

Punta Arenas (dpa) – An der Südspitze von Chile bläst eine steife Brise. Der starke Wind fegt über die Weiden Patagoniens hinweg, zerrt an den Sträuchern und wühlt das Meer auf. Jetzt sollen die Böen auch ihren Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel leisten. Siemens Energy und der Autohersteller Porsche haben am Dienstag nahe der Stadt Punta Arenas eine Fabrik für CO2-neutralen Kraftstoff (E-Fuel) eröffnet. «Das ist nur der Anfang einer neuen Ära», sagte der Porsche-Entwicklungsvorstand Michael Steiner. «Diese Fabrik ist ein Meilenstein.»

Die Anlage Haru Oni bei Punta Arenas ist nach Angaben der Unternehmen weltweit die erste Anlage zur industriellen Herstellung von E-Fuel. Beteiligt sind an der Fabrik auch die Unternehmen HIF, Exxon Mobil, Enel, Enap und Gasco.

Bei dem Projekt wird mit Windstrom CO2-neutraler Kraftstoff erzeugt. Per Elektrolyse wird mit dem erneuerbaren Strom zunächst Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff gespalten. Anschließend wird CO2 aus der Luft gefiltert und mit dem Wasserstoff über den Zwischenschritt Methanol zu E-Fuel umgewandelt.

«Power to Fuel»-Verfahren im Einsatz

Die Grundidee ist, dass diese Kraftstoffe verglichen mit normalem Benzin, Diesel oder Autogas den Rohstoffkreislauf weniger belasten und kein neues, vorher langfristig gebundenes CO2 freisetzen sollen. «Power to Fuel»-Verfahren gewinnen den Sprit nicht aus der chemischen Veredelung von Rohöl, das Jahrmillionen im Boden lagerte und bei der Verbrennung den Kohlenstoffgehalt der Atmosphäre erhöht. Quasi umgekehrt bauen sie stattdessen Kohlenwasserstoff-Ketten etwa aus Wasserstoff (H2) und CO2 zusammen. Dafür braucht man jedoch H2 in Reinform, wozu Wasser energieintensiv gespalten werden muss. Wenn – und nur wenn – dabei Ökostrom ohne ergänzende CO2-Last zum Einsatz kommt, kann der Kunstsprit geeignete Motoren klimaneutral antreiben: Frei wird nur so viel CO2, wie aus Luft oder Biomasse geholt wurde.

In der Pilotphase in Chile werden mit einer Windturbine mit 3,4 Megawatt Leistung erst einmal nur 130.000 Liter pro Jahr hergestellt. Porsche nimmt die gesamte Menge ab und will den Treibstoff zunächst im Motorsport, bei Probefahrten mit Kunden und für die Betankung von Oldtimern einsetzen. 70 Prozent aller jemals gebauten Porsche-Fahrzeuge sind noch immer auf der Straße. «Wir wollen den Fahrern die Möglichkeit geben, ohne schlechtes Gewissen ihre Fahrzeuge weiter zu betreiben», sagte Steiner.

In den kommenden Jahren soll die Kapazität deutlich gesteigert werden. Schon in der nächsten Ausbaustufe werden 40 Windräder die Energie für die Herstellung von E-Fuel liefern. Bis 2025 sollen etwa 55 Millionen Liter jährlich hergestellt werden und bis 2027 rund 550 Millionen Liter.

Methanol als Grundstoff

Künftig könnte E-Fuel dann auch in größerem Maßstab direkt als grüner Treibstoff oder als Beimischung zu herkömmlichem Benzin zum Einsatz kommen. Ob sich das wirtschaftlich rechnet, hängt nach Einschätzung von Porsche vor allem vom Gesetzgeber ab. Sollte die Beimischung von klimaneutralem Treibstoff verpflichtend werden oder steuerlich stark begünstig werden, könnte E-Fuel trotz eines Herstellungspreises von derzeit etwa zwei US-Dollar pro Liter attraktiv werden.

Die Betreiber der Pilotanlage haben sich eine Hintertür aufgehalten, sollte die Nachfrage nach E-Fuel nicht anziehen. Die Fabrik stellt in einem ersten Schritt Methanol her, das auch anderweitig vertrieben werden kann. «Mit Methanol haben wir einen Grundstoff, den man schon direkt als Treibstoff für Schiffe nutzen kann. Außerdem kann man daraus auch Kerosin herstellen, denn gerade im Flugverkehr wird es auf lange Sicht sehr schwer, das Kerosin durch Elektrifizierung zu ersetzen», sagte Markus Speith von Siemens Energy. «Diese Flexibilität wollten wir uns erhalten.»

Die E-Fuel-Technologie steht immer wieder wegen des geringen Wirkungsgrads im Gegensatz zur direkten Elektrifizierung von Autos in der Kritik. Während in Elektroautos zwischen 70 bis 80 Prozent der Ausgangs-Energie am Rad ankommen, sind es bei E-Fuel in der industriellen Fertigung nur etwas mehr als 40 Prozent.

Wind im Überfluss

«Die Effizienz ist gar nicht so entscheidend. Ohne uns würde der Wind hier gar nicht genutzt», sagte Rolf Schumacher von der Betreibergesellschaft der Anlage, HIF Global. Im Süden von Chile ist Wind im Überfluss vorhanden, zudem laufen die Anlagen dort wesentlich häufiger unter Volllast und produzieren in etwa dreimal soviel Energie wie vergleichbare Windräder in Deutschland.

Für Porsche ist die Investition in E-Fuel keine Alternative zum Elektroauto, sondern eine Ergänzung. «Wir halten daran fest, bis 2030 rund 80 Prozent der Neufahrzeuge zu elektrifizieren», sagte die Porsche-Beschaffungs-Vorständin Barbara Frenkel. «Mit E-Fuel wollen wir zur Dekarbonisierung der Bestandsflotte beitragen.»

Im Süden von Chile hoffen die Menschen auf eine neue Wachstumsindustrie in der strukturschwachen Region. «Vor genau 77 Jahren wurde hier erstmals Öl entdeckt», sagte der Bürgermeister von Punta Arenas, Claudio Radonich. «Jetzt hat sich das Paradigma geändert. Früher stand das Öl für Wohlstand, jetzt der Wind.»

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Krachende Niederlage für neue Verfassung in Chile

Santiago de Chile (dpa) – Die Chilenen haben in einem Referendum einer neuen Verfassung eine klare Absage erteilt. Knapp 62 Prozent der Wähler des südamerikanischen Lands lehnten den Entwurf für ein neues Grundgesetz ab, wie die Wahlbehörde am Montag mitteilte. Nur etwa 38 Prozent stimmten mit Ja.

Die neue Verfassung hätte Chile grundlegend verändert. Sie hätte ein Recht auf Wohnraum, Bildung und Gesundheit garantiert, eine Frauenquote von 50 Prozent in allen Staatsorganen festgeschrieben und den indigenen Gemeinschaften ein Selbstbestimmungsrecht eingeräumt. Das ging vielen Menschen in dem konservativen Land offenbar zu weit. Weiterlesen

Chilenen lehnen neue Verfassung mit großer Mehrheit ab

Santiago de Chile (dpa) – In Chile ist der Plan für eine neue Verfassung klar gescheitert. In einer Volksabstimmung sprach sich eine große Mehrheit von 61,9 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung dagegen aus. Dies teilte die nationale Wahlbehörde nach Auszählung nahezu aller Stimmen am Montag in der Hauptstadt Santiago de Chile mit.

Nur 38,1 Prozent stimmten dafür. Damit behält das südamerikanische Land seine aktuelle Verfassung, die noch aus der Zeit der Militärdiktatur unter General Augusto Pinochet (1973-1990) stammt. Weiterlesen

Russland beginnt großes Militärmanöver

Moskau (dpa) – Mitten im Ukraine-Krieg hat Russland heute ein groß angelegtes Militärmanöver mit mehr als 50.000 Soldaten begonnen. Die fast einwöchige Übung wird im Osten abgehalten und ist damit Tausende Kilometer von den Kämpfen entfernt.

Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums beteiligen sich daran auch Länder wie China, Indien und die Mongolei sowie mehrere Ex-Sowjetrepubliken, allen voran Belarus. Russland will so in Zeiten schwerster Spannungen mit dem Westen den Schulterschluss zu anderen Ländern demonstrieren.

Bei der Übung «Wostok 2022» («Osten 2022») sollen nach Angaben aus Moskau 5000 Militärfahrzeuge zum Einsatz kommen sowie 140 Flugzeuge und 60 Kriegsschiffe und andere Boote. Das Manöver soll auf Truppenübungsplätzen in Ostsibirien und im Fernen Osten sowie im Japanischen Meer stattfinden. Weiterlesen

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