Erste Wolken über dem deutschen Arbeitsmarkt

Von Michael Donhauser, dpa

Nürnberg (dpa) – Die Vorstandschefin der Arbeitsagentur, Andrea Nahles, nahm am Mittwoch das Wort «Trendwende» in den Mund. Der deutsche Arbeitsmarkt erwies sich zwar auch im Oktober noch als robust. Doch die saisonübliche Herbstbelebung fiel gedämpft aus, die Flüchtlinge aus der Ukraine sind nicht mehr die Hauptursache für neue Arbeitslose und die Kurzarbeit geht zumindest nicht weiter zurück. Die bevorstehende Wirtschaftskrise sendet ihre Vorboten auch an die Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg.

Die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland ist im Oktober im Vergleich zum Vormonat saisonüblich um 43.000 auf 2.442.000 zurückgegangen. Sie liege jedoch um 65.000 höher als zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres, teilte die Bundesagentur am Mittwoch mit. Die Arbeitslosenquote verringerte sich um 0,1 Punkte auf 5,3 Prozent. Die Bundesagentur hat für ihre Oktoberstatistik Daten herangezogen, die bis zum 13. Oktober vorlagen.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) zeigte sich mit der Entwicklung angesichts der Herausforderungen zufrieden: «Wir werden weiter an der Seite der Beschäftigten stehen und alles tun, um den Arbeitsmarkt gut durch diese Krise zu bringen», sagte er.

Fachkräfte weiter gesucht

«Insgesamt ist der Arbeitsmarkt weiter robust, insbesondere die Beschäftigung wächst weiter», sagte auch Behördenchefin Nahles. 34,57 Millionen Menschen seien sozialversicherungspflichtig beschäftigt, mehr als eine halbe Million mehr als zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres. Die Unternehmen täten viel, um ihre Fachkräfte auch in der Krise zu halten.

Im Oktober 2021 hatte die Herbstbelebung auf dem Arbeitsmarkt jedoch noch einen doppelt so hohen Rückgang der Arbeitslosenzahl um damals 88.000 bewirkt. In diesem Jahr steht bei saisonbereinigter Berechnung sogar ein leichtes Plus um 8000 zu Buche. «Unsere Interpretation ist, dass es die Folgen der wirtschaftlichen Abschwächung sind, die dazu führen», erklärte Nahles.

Die Bundesagentur geht weiter davon aus, dass die Geflüchteten aus der Ukraine derzeit einen Effekt auf die Zahl der Arbeitslosen haben – sie sind aber nach Angaben von Nahles nicht mehr der Hauptgrund für neue Arbeitlose. Vielmehr tauchten sie vermehrt in der Statistik für Unterbeschäftigung auf, wo auch etwa die Teilnehmer von Integrationskursen berücksichtigt werden.

Wirtschaftliche Unsicherheit hat Folgen

Die Kurzarbeit ist zuletzt nicht mehr – wie in den Monaten zuvor – zurückgegangen. Für Nahles ist das auch eine Folge der zuletzt deutlicher werdenden wirtschaftlichen Unsicherheiten. «Wir beobachten, dass Unternehmen wieder mehr auf konjunkturelle Kurzarbeit zurückgreifen wollen», sagte sie. Im August wurde den Berechnungen der Bundesagentur zufolge für 106.000 Menschen konjunkturelles Kurzarbeitergeld gezahlt. Zwischen dem 1. und 26. Oktober gingen Anzeigen für weitere 82.000 Beschäftigte ein – nach 57.000 im September. Ob diese jedoch realisiert werden, ist nicht gewiss. Vor allem das verarbeitende Gewerbe sei betroffen.

Auf dem Ausbildungsstellenmarkt zeichnet sich zum Ende des Bewerbungszeitraumes Ende September eine größer werdende Lücke zwischen Angebot und Nachfrage ab. «Noch nie seit der Wiedervereinigung waren die Chancen auf eine Ausbildungsstelle so gut. Allerdings haben die Besetzungsprobleme für die Unternehmen merklich zugenommen», sagte Nahles.

Sie rief sowohl Bewerber als auch Betriebe auf, Kompromissbereitschaft zu zeigen. Bewerber sollten sich auch mit Alternativen zum Traumberuf beschäftigen. Unternehmen müssten sich damit befassen, auch Kandidaten ins Auge zu fassen, deren Qualifikation möglicherweise nicht ganz ihren Vorstellungen entsprechen.

Der Bundesagentur seien bis September 2022 insgesamt 546.000 Berufsausbildungsstellen gemeldet worden, 23.100 mehr als im Vorjahreszeitraum. Dem stehen 422.400 Bewerberinnen und Bewerber gegenüber, 11.100 weniger als voriges Jahr. Am 30. September waren noch 68.900 Stellen unbesetzt und 22.700 junge Leute noch unversorgt.

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Nach Corona: Was lockt uns zurück ins Büro?

Von Sophie Brössler, dpa

Berlin (dpa) – Von vielen Bürobeschäftigten wird nach den Corona-Jahren erwartet, wieder in den Betrieb zu kommen. «Arbeitgeber wollen im Schnitt stärker zurück in die Präsenz als die Beschäftigten», sagt Bernd Fitzenberger, Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg, der dpa.

«Führungskräfte müssen intensiv überlegen, wie sie die Arbeit im Büro attraktiv gestalten können.» Denn: Bei den Beschäftigten bestehe weiterhin ein sehr großer Wunsch nach dem Arbeiten in den eigenen vier Wänden. «Viele Bewerberinnen und Bewerber machen Homeoffice sogar zu einem wichtigen Kriterium bei der Jobsuche», so Fitzenberger.

Im Homeoffice werden pro Tag 65 Minuten gespart

Ein Grund gegen das Büro: Im Schnitt sparen Beschäftigte in Deutschland über eine Stunde, wenn sie ihren Laptop zu Hause aufklappen und nicht in die Arbeit fahren. Zu diesem Ergebnis kommt eine internationale Studie, die im Januar beim US-Wissenschaftsnetzwerk NBER veröffentlicht wurde.  In Deutschland gaben für die Befragung mehr als 2000 Beschäftigte in den Corona-Jahren 2021 und 2022 an, wie viele Minuten ihr Fahrtweg ins Büro dauern würde. Dann schlüsselten sie auf, wie sie die gewonnene Zeit stattdessen verbrachten.

Die Studie wurde unter anderem unterstützt von der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung sowie dem Ifo-Institut in München. Gespart werden den Ergebnissen zufolge im Homeoffice pro Tag 65 Minuten. 20 Minuten der gewonnenen Zeit gehen demnach für zusätzliche Arbeit drauf, 10 Minuten für den Haushalt und 5 Minuten für Kinderbetreuung oder die Pflege von Angehörigen. Die meiste Zeit, rund 30 Minuten, nutzen die Deutschen für ihre Freizeit, etwa zum Lesen, Fernsehen oder für Sport im Freien.

Was braucht es also, damit Beschäftigte auf dieses Freizeitplus wieder verzichteten – und man wieder Lust aufs Büro bekommt? Gute Koordination, erklärt IAB-Direktor Fitzenberger. Chefs und Chefinnen müssten organisieren, wer eigentlich wann in den Betrieb kommt. «Wenn man im Büro doch nur wieder alleine ist und virtuelle Meetings mit Kollegen im Homeoffice hat, könnte das ernüchternd sein», sagt Fitzenberger. Einen festen Präsenztag in der Woche könnten Führungskräfte etwa mit sozialen Angeboten verbinden. «Das kann das gemeinsame Mittagessen sein oder ein aufgelockertes Team-Meeting.» Nur so erreiche man eine «Präsenzrendite».

«Betrieb oder Büro zentraler Ort für persönlichen Austausch»

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) betont, dass das Arbeitsleben vieler Bürobeschäftigter zukünftig aus einer Kombination von Homeoffice und Büroarbeit bestehen wird. «86 Prozent aller Unternehmen, bei denen mobiles Arbeiten grundsätzlich möglich ist, wollen dies fortführen oder sogar noch ausbauen», teilte die BDA mit. Das trage zu persönlicher Jobzufriedenheit, aber auch zu Arbeitgeberattraktivität und Fachkräftegewinnung bei. «Dennoch bleibt der Betrieb oder das Büro ein zentraler Ort für persönlichen Austausch und kollaboratives Arbeiten.»

Auch die Gewerkschaft Verdi plädiert dafür, das Büro wieder zu einem «sozialen Ort» zu machen. Dafür brauche es etwa neue Raumkonzepte, erklärt Verdi-Referent Christian Wille vom Fachbereich Innovation und Gute Arbeit. «Viele Beschäftigte sind aus den Büros geflohen, weil die Arbeitsbedingungen dort – etwa die Lautstärke, die Ausstattung, zu viele Aufgaben gleichzeitig – als negativ wahrgenommen wurden.» Zu Hause habe man dann oft ungestörter arbeiten können. «Ohne die Arbeitsbedingungen in den Büros anzugehen, wird sich das Problem eher noch verschärfen, wenn die Leute wieder zurückkommen sollen», mahnt Wille. Neben Gruppenbüros und Meetingräumen müssten auch Einzelbüros, ruhige Rückzugsorte oder Telefonboxen angeboten werden.

SAP bietet neben Büro-Events Kinderbetreuung an

Neben modernen Büroumgebungen bemühen sich viele Unternehmen um weitere Benefits – etwa in der IT-Branche, in der besonders viele Menschen ins Homeoffice gewechselt sind. Der Softwarekonzern SAP bietet neben Büro-Events laut einer Unternehmenssprecherin etwa Kinderbetreuung und Sportmöglichkeiten an. Der IT-Dienstleister Bechtle stellt unter anderem einen Wäscheservice zur Verfügung. Und in der Kantine können Mitarbeiter ein fertiges Abendessen für zu Hause mitnehmen, so eine Sprecherin. Das soll «eine Zeitersparnis ermöglichen und somit Berufliches und Privates in Einklang bringen».

«Ich höre immer mal wieder die Forderung “Da muss der Arbeitgeber mir aber was bieten, dass ich wieder bereit bin, ins Büro zu kommen”», erzählt Susanne Böhlich, Professorin für Internationales Management an der IU Internationalen Hochschule in Bad Honnef. Sie glaube jedoch nicht, dass bestimmte Benefits ausreichen, um die Mitarbeitenden wieder ins Büro zu bekommen. «In unserer Euphorie für Homeoffice unterschätzen wir komplett, dass die Präsenz einen unglaublichen Wert hat.»

Stattdessen plädiert Böhlich für Transparenz und Ehrlichkeit der Führungskräfte. «Den Mitarbeitern sollte verständlich sein, warum sie ins Büro kommen sollen, und den Prozess als fair empfinden», sagt die Professorin. Dafür müssten Führungskräfte aber klare und konsistente Regeln schaffen. «Und die Betroffenen sollten bei der Entscheidungsfindung mitreden dürfen», fordert Böhlich. «Nur dann bekommt man auch die Akzeptanz für die Rückkehr ins Büro.»

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Zahl der Erwerbstätigen auf Höchststand

Wiesbaden (dpa) – Die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland ist zum Jahresende 2022 auf einen Höchststand gestiegen. Mit rund 45,9 Millionen Personen wurde im vierten Quartal der bisherige Rekord aus dem dritten Vierteljahr überschritten, wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mitteilte.

Zum Vorquartal stieg die Zahl der Erwerbstätigen im Zeitraum Oktober bis Dezember saisonbereinigt um 107.000 Personen (plus 0,2 Prozent). Innerhalb eines Jahres wurde ein Zuwachs um 1,1 Prozent oder 492.000 Erwerbstätige verzeichnet. Dazu trug vor allem ein Anstieg der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten bei. Die Zahl der Selbstständigen ging dagegen weiter zurück. Weiterlesen

Bürokratie: EU-Staaten verschlimmern Brüsseler Vorgaben

München (dpa) – Nationale Behörden in der EU verschärfen nach einer neuen Studie häufig ohne Not die bürokratischen Vorgaben aus Brüssel. Zu diesem Schluss kommen Forscher des Basler Prognos-Instituts, des Centrums für Europäische Politik in Freiburg und des italienischen Csil-Instituts in ihrer veröffentlichten Untersuchung. Auftraggeber war die Münchner Stiftung Familienunternehmen.

Am Beispiel der EU-Entsenderichtlinie analysieren die Autoren, wie die Verwaltungen in Deutschland, Österreich, Frankreich und Italien die Richtlinie umsetzen. Ergebnis: In drei der vier Länder verlangen die Behörden von Unternehmen mehr Informationen, als nach der Brüsseler Ursprungsversion nötig wären.

Die Entsenderichtlinie soll sicherstellen, dass Arbeitnehmer überall in der EU zu vergleichbaren Bedingungen arbeiten. Laut Studie liegt Frankreich bei der Umsetzung der Richtlinie in Sachen Bürokratie an der Spitze. Weiterlesen

Mehr Geld für Azubis: Erstmals im Schnitt über 1000 Euro

Berlin (dpa) – Die Einkommen von Azubis sind nach einer Auswertung des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) im vergangenen Jahr deutlich gestiegen. Im Schnitt lagen die Ausbildungsvergütungen über alle Ausbildungsjahre in tarifgebundenen Betrieben demnach erstmals über 1000 Euro. Azubis im Westen kamen zum Stichtag 1. Oktober auf durchschnittlich 1029 Euro, im Osten auf 1012 Euro.

Insgesamt stiegen die Vergütungen um 4,2 Prozent, nach 2,5 Prozent im Vorjahr. Wegen der hohen Inflation hätten die Auszubildenden aber trotz des höheren Anstiegs Reallohnverluste hinnehmen müssen, hieß es weiter. Die jährlich vom BIBB erhobenen Zahlen werden an diesem Mittwoch veröffentlicht. Sie lagen der Deutschen Presse-Agentur vorab vor. Weiterlesen

Zahl der Arbeitslosen gestiegen

Nürnberg (dpa) – Die Zahl der Arbeitslosen ist im Januar in Deutschland gestiegen. Im ersten Monat des Jahres waren 2,616 Millionen Menschen ohne Job, 162.000 mehr als im Dezember und 154.000 mehr als im Januar 2022. Das teilte die Bundesagentur für Arbeit (BA) am Dienstag in Nürnberg mit. Die Arbeitslosenquote kletterte um 0,3 Punkte auf 5,7 Prozent.  Weiterlesen

Umfrage: Viele Beschäftigte offen für Jobwechsel

Berlin (dpa) – Knapp vier von zehn Beschäftigten in Deutschland (37 Prozent) können sich einer Umfrage zufolge vorstellen, ihren Arbeitgeber zu wechseln. Mit dem Gedanken spielen vor allem die 18- bis 29-Jährigen (48 Prozent) und die 30- bis 39-Jährigen (40 Prozent), wie aus einer repräsentativen Umfrage hervorgeht, die Forsa im Auftrag der Marke Onlyfy von New Work SE durchgeführt hat. Befragt wurden im Januar rund 3200 Beschäftigte. Die über 50-Jährigen zeigten sich weniger offen dafür, den Arbeitgeber zu wechseln (19 Prozent).

Insgesamt sei die Wechselbereitschaft trotz Wirtschafts- und Coronakrise weiterhin hoch, sagte Frank Hassler, Vorstandsmitglied der Xing-Betreiberin New Work SE. Auch im vergangenen Jahr lag der Wert bei 37 Prozent. «Unternehmen müssen sich darüber im Klaren sein, dass die nachrückenden Generationen agiler sind und andere Prioritäten haben, was ihr Leben und ihre Karriere angeht», betonte Hassler. Weiterlesen

Arbeitsmarkt an Rhein und Mosel: Direktion nennt neue Daten

Saarbrücken (dpa/lrs) – Die Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit informiert heute über die Entwicklung bei Arbeitslosigkeit und verfügbaren Stellen in Rheinland-Pfalz. Dazu legt die Behörde die Januardaten vor. Im Dezember war die Arbeitslosigkeit im Vergleich zum November konstant geblieben. Die Quote verharrte auf 4,6 Prozent. Demnach waren im Dezember 102.500 Frauen und Männer arbeitslos gemeldet – das waren 0,1 Prozent mehr als im Monat davor.

Arbeitsmarkt an der Saar: Direktion nennt Januardaten

Saarbrücken (dpa/lrs) – Die Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit informiert heute über die Entwicklung bei Arbeitslosigkeit und verfügbaren Stellen im Saarland. Dazu legt die Behörde die Januardaten vor. Im Dezember war die Arbeitslosigkeit im Vergleich zu November konstant geblieben. Die Quote verharrte auf 6,4 Prozent. Demnach waren 33.600 Frauen und Männer arbeitslos gemeldet – so viele wie im Monat davor.

Mehr Erwerbstätige im Saarland: Aber unter Vor-Corona-Niveau

Saarbrücken (dpa/lrs) – Die Zahl der Erwerbstätigen im Saarland ist 2022 erneut gestiegen, liegt aber nach wie vor unter dem Niveau von vor der Corona-Pandemie. Rund 524.100 Personen waren im vergangenen Jahr in der saarländischen Wirtschaft beschäftigt, wie das Statistische Landesamt am Freitag in Saarbrücken mitteilte. Das seien 2100 Erwerbstätige (plus 0,4 Prozent) mehr als im Jahr 2021. Mit diesem Zuwachs liegt das Saarland jedoch deutlich unter dem bundesweiten Plus von 1,3 Prozent. Weiterlesen

U-Bahnen werden immer mehr automatisiert

Von Roland Losch, dpa

München (dpa) – Rund 96 000 Bahn- und Busfahrer arbeiten im öffentlichen Nahverkehr in Deutschland – aber fast die Hälfte von ihnen geht in den nächsten Jahren in Rente. Bis 2030 müssten etwa 40 000 Stellen neu besetzt werden, sagt Eike Arnold, Sprecher des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen. «Wir suchen händeringend Fahrerinnen und Fahrer.» Autonom fahrende Busse werden schon in Dutzenden Städten erprobt, eine fahrerlose U-Bahn gibt es jedoch in Deutschland bislang nur in Nürnberg. Warum?

Auf Schienen in einem Tunnel ist das Fahren per Computer viel einfacher als im Straßenverkehr, wo Autos, Radfahrer und Fußgänger kreuzen. Hochautomatisiert können Züge auch in viel kürzeren Abständen hintereinander fahren, im 100-Sekunden-Takt wie auf der Stammstrecke in Nürnberg zum Beispiel. Laut Hersteller Siemens können auf bestehenden Strecken so bis zu 30 Prozent mehr Fahrgäste befördert werden. Durch vorausschauendes Anfahren und Bremsen «verbrauchen autonome Züge auch signifikant weniger Antriebsenergie und tragen zu verringertem Verschleiß von Fahrzeugen und Schienen bei», sagt Axel Schuppe, Geschäftsführer des Verbands der Bahnindustrie.

Die Automatisierung ist schon eingeplant

«Weltweit nutzen tagtäglich bereits Millionen Fahrgäste in über 60 Städten – darunter London, Paris, Vancouver, Sao Paulo, Mexiko oder Singapur – automatisierte Züge», sagt Schuppe. «Wenn heute neue Linien gebaut werden, dann sollen die Züge fast immer auch autonom fahren, und die Automatisierung wird mitgeplant.»

Wie jetzt in Hamburg. Die neue U5 «wird automatisch und ohne Fahrpersonal fahren», sagt Hochbahn-Sprecher Christoph Kreienbaum. Beim bestehenden Netz dagegen würden Kosten und technischer Aufwand «in keinem vernünftigen Verhältnis zum Ertrag» stehen. Dort soll eine Teilautomatisierung bald einen 100-Sekunden-Takt ermöglichen: Zwischen den Stationen steuert der Rechner, An- und Abfahrt übernehmen die Fahrer.

Pionier für die fahrerlose U-Bahn war vor 40 Jahren die Metro in der nordfranzösischen Großstadt Lille. Nürnberg folgte vor 15 Jahren, 2008, mit der neugebauten Linie U3. Zwei Jahre lang fuhr sie auf der Stammstrecke im Mischbetrieb mit der von Fahrern gesteuerten U2. Die wurde dann ebenfalls automatisiert, schrittweise und im laufenden Betrieb.

Der Fahrplantakt wird dichter

Die notwendige Technik kostete 110 Millionen Euro zusätzlich. Aber das habe sich längst gelohnt, sagt Elisabeth Seitzinger, Sprecherin der Nürnberger Verkehrsbetriebe VAG. «Wir würden das heute nicht mehr hergeben!» Der Fahrplantakt sei dichter. Es brauche weniger Fahrzeuge und 105 U-Bahn-Fahrer weniger. Und der Betrieb sei flexibler: Bei großem Andrang können schnell Züge aus dem Depot eingesteuert werden, ohne dass ein Fahrer aus dem Feierabend geholt werden muss. «Mehr Leistung, geringer Aufwand», so das Fazit der VAG.

Etwa 70 Millionen Fahrgäste jährlich sind in den fahrerlosen Zügen durch Nürnberg unterwegs. Berührungsängste hätten die Fahrgäste nicht gezeigt, «das wurde von Anfang an gut angenommen, das war kein Thema», sagt Seitzinger. Wo in herkömmlichen U-Bahnen der Führerstand ist, stehen hier die Fahrgäste und haben freie Sicht auf die Strecke.

Zur Sicherheit sind die Bahnsteige vieler fahrerloser U-Bahnen durch Absperrungen von den Gleisen getrennt. Erst wenn der Zug hält, öffnen sich die Türen der Absperrung. In Nürnberg dagegen setzt man auf Sensoren in den Gleisen: Fällt etwas aufs Gleis, lösen sie eine Schnellbremsung aus.

Es gebe kaum noch Stadtbahnen, die «die Automatisierung nicht mindestens perspektivisch mitdenken», sagt Schuppe. «Das Geschäft mit digitaler Leit- und Sicherungstechnik, die eine Vorbedingung für fahrerloses Fahren bildet, zieht merklich an.» Die Bahnindustrie erhalte zunehmend Anfragen kommunaler Verkehrsbetriebe.

Fahrer werden noch Jahrzehnte gebraucht

Viele Städte rollen jetzt die Basistechnik für die Zugautomatisierung aus, «zum Beispiel Berlin, Frankfurt am Main oder München», sagt der Verbandsmanager. Das mache das Netz auch ohne Ausbau leistungsfähiger. «Künftig sollen so Züge im Frankfurter Netz zum Beispiel alle zwei Minuten fahren können.»

Die Münchner Verkehrsgesellschaft MVG hatte einen Pilotversuch mit Bahnsteigtüren geplant, aus Kostengründen aber wieder abgesagt. Für die vollständige Automatisierung der U-Bahn wären neue Fahrzeuge und eine neue Infrastruktur notwendig. «Das Bestandsnetz darauf umzustellen, würde sehr viel Geld kosten und viele Jahre bis Jahrzehnte dauern», sagt Sprecher Maximilian Kaltner.

Auch die Berliner BVG will die U-Bahn schrittweise so automatisieren, dass dichtere Takte möglich sind. Aber das zum Teil noch aus der Kaiserzeit stammende Netz mit seinen vielen denkmalgeschützten U-Bahnhöfen fahrerlos zu betreiben, wäre technisch wie finanziell eine enorme Herausforderung, sagt Sprecher Markus Falkner.

Langfristig gehe der Trend in Richtung autonomes Fahren, sagt VDV-Sprecher Arnold. Wo eine neue U-Bahn oder eine neue Linie entsteht oder wo Infrastruktur und Züge komplett erneuert werden müssen, geht es schneller. Aber Fahrer würden noch Jahrzehnte gebraucht.

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