Amerikanisches Fernsehen dreht in Wittlicher Synagoge

Wittlich. Ein Amerikaner mit europäischen Wurzeln – im Schmelztiegel der Nationen in der neuen Welt eigentlich nichts Besonderes. Doch seit Jahresbeginn gerät ein junger Mann zunehmend auch in der „alten Welt“ in die Schlagzeilen: der 27-jährige Evan Kaufmann.  Ende November hatte er schon einmal Wittlich besucht und war auch auf einem Gruppenfoto in der Weihnachtsausgabe der Wittlicher Rundschau zu sehen. Er gilt als eines der großen Talente in der Eishockey-Nationalmannschaft. Wohlgemerkt der deutschen Nationalmannschaft!
 
Hier beginnt eine spannende Geschichte, die die renommierte New York Times zuerst aufgriff und auch der Bild am Sonntag mehr als einen Bericht wert war. Evan Kaufmann ist Amerikaner und nahm zusätzlich die deutsche Staatsbürgerschaft an, um im Land seiner Vorfahren seinen Traumsport ausüben zu können. Sein sportliches Potential wird vom aktuellen Trainer von Evan Kaufmann als sehr groß eingeschätzt. Klein, wendig, agil. Und für viele Tore gut. Dass Evan jetzt von den Düsseldorfern DEG Metro Stars zu THOMAS SABO Ice Tigers nach Nürnberg wechselt, hat mit dem Ausstieg von Metro als einem der Hauptsponsoren in Düsseldorf zu tun.

Vielleicht ist es das sportliche Selbstbewusstsein und das gemeinhin weit verbreitete Fair-Play im Team und unter den Fans, dass Evan jetzt auch nach außen hin nicht hinter den Berg hält: Ich bin jüdischen Glaubens und habe kein Problem damit, im Deutschland des 21. Jahrhunderts zu leben, in Deutschlands Nationalmannschaft Eishockey zu spielen, dafür die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen und hier auch in Kürze die Geburt des gemeinsamen Sohnes mit seiner Frau Danielle feiern zu können.

Das aktuell wachsende internationale Medieninteresse gilt vor allem dem Aspekt, dass Evans deutsche Vorfahren in Wittlich nicht nur lebten, sondern in Folge extrem unter dem Juden-Pogrom der Nationalsozialisten litten (siehe dazu auch Hintergrund). In hochkarätiger Besetzung ist am Dienstag in der Karwoche ein fünfköpfiges Filmteam nach Wittlich gekommen. Der Moderator Jeremy Schaap wurde aus New York eingeflogen. Und der eigens vom US-Sender ESPN für das Projekt verpflichtete Aufnahmeleiter Markus Steiner kommt aus Mainz und ist gerade mit seinem Beitrag USA-Japan über die Frauen-WM  im Vorjahr für die Emmy-Awards nominiert worden.

Das von Kurt Kaufmann gerettete Fragment der Wittlicher Torarolle war eines von vielen Motiven, das bei den aktuellen Dreharbeiten des amerikanischen Fernsehsender ESPN am Kar-Dienstag in der Synagoge ins rechte Licht gerückt wurde. Das fünfköpfige Filmteam dreht derzeit in Düsseldorf, Wittlich und Auschwitz eine gut 15-minütige Dokumentation auf den Spuren von Evan Kaufmann. Immer dabei ist der in New York lebende ESPN-Moderator Jeremy Schaap. Selbst Jude, verblüfft ihn beim Drehort Synagoge Wittlich die Größe des Gotteshauses bei einer vergleichbar kleinen Stadt wie Wittlich. Viele Fragen kann ihm Geschäftsführer René Richtscheid vom Emil-Frank-Institut beantworten, der Evan Kaufmanns Familienbesuch schon im letzten Herbst betreut hatte: „Nein, es gab keinen Rabbiner in Wittlich“.
Interessiert blättert nicht nur Moderator Jeremy Schaap an diesem Frühlingstag mit strahlend blauem Himmel durch die Festschrift zu „100 Jahre Synagoge Wittlich“. Auch Producer Kory Kozak oder das Kamerateam lassen sich in Synagoge, vor der ehemaligen Sattlerei und Wohnhaus in der Tiergartenstraße oder auf dem versteckt im Wald liegenden jüdischen Friedhof von Richtscheid Hintergründe, Entwicklungen und den aktuellen Stand erklären.

Jeremy Schaap hat den für Deutschland startenden Eishockeyspieler Evan als einen selbstbewussten jungen Mann kennengelernt, der um seine jüdische Herkunft mit deutschen Wurzeln schon vor zwei Jahren im Team kein Aufhebens gemacht hat. Sein Team weiß, dass seine Vorfahren Deutsche waren und seine Urgroßeltern in Konzentrationslagern ermordet wurden.
Evan und auch ESPN-Anchorman Jeremy Schaap empfinden Deutschland als ein offenes tolerantes und progressives Land. Dass die besondere Lebensgeschichte Evans jetzt größere Kreise zieht, ist nicht von Evan selbst ausgegangen. Er ist im Eishockey international eine so feste Größe und sein Marktwert so hoch, dass er diese Form der Popularität überhaupt nicht bräuchte. Gleichwohl nutzt er sie nun aktiv, um zu tolerantem Umgang in jedweder Form aufzurufen.

Nach kurzer Essenspause auf dem Wittlicher Marktplatz diktiert der knappe Zeitplan dem Team noch einen Dreh vor der ehemaligen Sattlerei der Kaufmanns in der Tiergartenstraße. Dann geht es weiter nach Krakau, um den Dreh im KZ Auschwitz vorzubereiten. Freudiger Höhepunkt wird die filmische Begleitung der Geburt von Evans und Danielles Sohn in zwei Monaten in Düsseldorf sein.

Geplant ist die Ausstrahlung des Beitrags nach den amerikanischen Sommerferien im Herbst 2012. Nach einer ersten Sendung für ESPN-Abonnenten soll der Beitrag dann auch per Internetabruf für jedermann verfügbar sein (Wittlicher Rundschau wird den Ausstrahlungstermin rechtzeitig veröffentlichen). / hg

Hintergrund:

Evans Urgroßeltern Eduard und Sibilla Kaufmann waren 1926 von Lösnich nach Wittlich gekommen und hatten in der Tiergartenstraße eine Sattlerei. Die Wirtschaftskrise ließ sie nicht unverschont. Es gab für sie und die beiden Kinder Kurt (geb. 1921) und Ilse (geb. 1923) keine finanziellen Rücklagen, um mit Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft ins Ausland emigrieren zu können, ebenso fehlten Verbindungen ins Ausland.

So gehörten sie zu den letzten Wittlicher Juden, die am 10. November 1938 die Zerstörung der Synagoge sowie weiterer jüdischer Wohn- und Geschäftshäuser miterleben mussten. Auch ihr eigenes Anwesen wurde schwer verwüstet. Danach entschlossen sie sich dazu, in der Anonymität der Großstadt Köln abzutauchen.

Im Oktober 1941 wurde Eduard mit einem Sammeltransport in das Ghetto nach Lodz deportiert, im Dezember die übrigen Familienmitglieder in das Ghetto nach Riga. Der Vater Eduard wurde 1942 in Lodz, Mutter Sibilla 1944 in Auschwitz ermordet. Die Kinder  Kurt und Ilse überlebten ausgezehrt, seelisch und körperlich schwer gezeichnet. Sie hielten sich noch einige Zeit in Deutschland, auch in Wittlich auf, bevor sie dann 1948 in die USA emigrierten.

Kurt Kaufmann konnte das erhaltene Fragment einer Wittlicher Torarolle aus der Wittlicher Synagoge nach dem Novemberpogrom in Sicherheit bringen. Es wurde in den 1960er Jahren in ihrem ehemaligen Anwesen in der Tiergartenstraße gefunden.
Für Kurt Kaufmanns Söhne Farley und Allen war es während des Wittlich-Besuches im Spätherbst 2011 vor allem wichtig zu sehen, dass das furchtbare Schicksal ihres Vaters, ihrer Tante und ihrer Großeltern in Wittlich aufgearbeitet wird und das von Kurt in Sicherheit gebrachte Torarollen-Fragment einen gebührenden Platz in der Ausstellung in der Synagoge erhalten hat. Ω

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