Niedrige Wahlbeteiligung bei Bürgermeisterwahl in Gerolstein: Energischer Weckruf an die Parteien

Gerade einmal 1748 der 6116 Wahlberechtigten sind zur Urne gegangen, als am 19.09.2010 ein neuer Stadtbürgermeister in Gerolstein gewählt wurde. Für die SPD und den Redakteur des Trierischen Volksfreunds war Diagnose eindeutig: „Die Bürger haben kein Interesse mehr an der Kommunalpolitik.“ Diese Behauptung ist unangemessen, schimmert in ihr doch so etwas wie ein Vorwurf durch. Oder zumindest Ratlosigkeit.

Eine niedrige Wahlbeteiligung ist meist nicht das Ergebnis von Desinteresse, sondern Ausdruck von Unzufriedenheit mit Politikern, die sich zunehmend von den Bürgern abschirmen und eigene Interessen verfolgen. Wenn die Bürger den Eindruck haben, dass sie mit ihrer Stimme sowieso nichts an den Verhältnissen ändern können, dann bleiben sie zu Hause. Gibt man ihnen hingegen die Möglichkeit, inhaltlich mitzuentscheiden, dann interessieren und beteiligen sie sich auch. Das Bürgerbegehren, mit dem 2008 die Sparkassenfusion gestoppt wurde, hat das mehr als deutlich gemacht: Es waren mehr als 14.000 Bürger, die der Führungsclique der CDU mit ihrem Engagement die Grenzen aufzeigten.

Offenbar haben die Parteien in Gerolstein aus diesem Debakel aber nichts gelernt. Sie haben nach der Kommunalwahl 2009 keine funktionierenden Informations- und Partizipationsplattformen (Internetseiten, Bürgerversammlungen) entwickelt, sondern machen im Prinzip so weiter wie gehabt, nämlich nicht-öffentlich. Gleichzeitig gelang es ihnen nicht, eigene Kandidaten zur Wahl aufzustellen.

Der neue Stadtbürgermeister von Gerolstein, Bernd May, steht daher vor zwei Herausforderungen: Er muss darauf hinwirken, dass sich das Klima im Stadtrat verbessert. Gleichzeitig muss er versuchen, Volk und politische Klasse miteinander zu „versöhnen“. In beiden Punkten ist er auf das Mitwirken und den guten Willen der Parteien angewiesen, denn solange CDU, SPD und FDP in Gerolstein keine bürgernahe Politik betreiben, ist auch der beste Stadtürgermeister in seinen Möglichkeiten beschränkt.

Vielleicht haben das die Wähler ja ganz realistisch erkannt und sind deshalb größtenteils zu Hause geblieben. Und dann sollte man wohl eher sagen: Die Bürger sind mit „dieser“ (!) Stadtpolitik unzufrieden. In diesem Falle wäre die niedrige Wahlbeteiligung nicht als Ergebnis von Unzufriedenheit mit der Kandidatenauswahl, sondern als energischer Weckruf an die Parteien zu interpretieren.

Stephan Lorse,
Gerolsteindig

Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen
Eifelzeitung E-Paper Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen