Wilhelm Arnoldi

Was sich 1844 in Trier ereignete, hatte es in Europa noch nie gegeben: Innerhalb weniger Wochen strömte über eine Million Menschen in die uralte Römerstadt. Zu Fuß meistens und  oft von weit her, keine Eisenbahn und schon gar keine Autos führten damals an die Mosel. Fasziniert staunte die Welt über diese neue „Völkerwanderung“ (Joseph Görres). Fern seiner Heimat erhielt Karl Marx irritierende Nachrichten aus seiner Geburtsstadt: „Die Menschen sind alle wie wahnsinnig“, schrieb ihm aufgeregt seine junge Frau Jenny und nannte den Grund: Der „Heilige Rock“, also die als Teil des Gewandes von Jesus im Dom aufbewahrte Reliquie, wurde erstmals seit 1810 wieder öffentlich ausgestellt. Die Menschen jener Zeit wühlte dieses Ereignis zutiefst auf. Obwohl sich vielerorts ein Proteststurm dagegen erhoben hatte, ließ sich der Trierer Bischof Arnoldi nicht von der Heilig-Rock-Ausstellung abbringen. Intellektuelle konnten es nicht fassen, dass im Jahrhundert der siegreichen Wissenschaft noch jemand an die Echtheit dieses Tuches glauben konnte. Papst und Kirche, vor allem auch Arnoldi selbst, wurden als rückständig, abergläubisch und unwissend angegriffen. Sogar Katholiken – wie der schlesische Ex-Priester Johannes Ronge – protestierten öffentlich gegen den Trierer Bischof; Ronge und seine Anhänger gründeten schließlich eine neue „deutschkatholische“ Kirche. Auf der anderen Seite standen freilich unzählige Pilger, die mit ihrer beschwerlichen Wallfahrt den Sieg Christi demonstrieren wollten.

Die hitzigen Diskussionen führten dazu, dass der Eifeler Wilhelm Arnoldi zu einer der bekanntesten Persönlichkeiten seiner Zeit wurde. Der demütige Mann war 1798 in Badem als Sohn des Schmieds Mathias Arnoldi und seiner Frau Anna Maria (geb. Scheu) geboren worden. In der tiefgläubigen Familie, die mit Matthias Arnoldi (1809–1884) einen weiteren Theologen hervorbrachte, war Wilhelm schon als Kind für den Priesterstand vorgesehen. Damit wollten seine Eltern Gott und der Gottesmutter dafür danken, dass ihr Sohn überhaupt laufen lernte. Nach dem Gelübde der Mutter in Himmerod entwickelte sich ihr motorisch verlangsamter Sohn zu einem flinken Jungen. Da er sich auch geistig als rege, sprachbegabt und sehr gedächtnisstark erwies, schickten ihn seine Eltern aufs Gymnasium nach Trier. Im März 1821 erfolgte die Priesterweihe. Danach wurde der junge Eifeler aufgrund seiner besonderen Fähigkeiten sofort zum Professor des Hebräischen, der biblischen Archäologie und der geistlichen Beredsamkeit ernannt. Arnoldi hatte sich viele Kenntnisse im Selbststudium angeeignet, oft bis tief in die Nacht hinein. Seiner Gelehrsamkeit tat dies gut, seinem Körper weniger. 1826 wurde ihm die Pfarrei Laufeld übertragen, wo er in der frischen Eifelluft wieder zu Kräften kam. 5 Jahre später wurde Arnoldi Stadtpfarrer von Wittlich. Die Wittlicher bewunderten seine Predigtkunst und schätzten sein ruhiges Auftreten. Der Bademer war populär, obwohl – oder weil – er unablässig vor den Gefahren durch Lust und Sinnlichkeit warnte und sich den Traditionen sehr verpflichtet fühlte. Versehen mit beinahe kindlicher Frömmigkeit, blieb allerdings auch sein exzellenter Verstand nicht verborgen. 1835 wurde Arnoldi Domprediger und Domkapitular in Trier. 1839 ging der Sohn des Bitburger Landes siegreich aus der Wahl zum Bischof von Trier hervor, doch die preußische Regierung verweigerte ihm die Anerkennung und Arnoldi trat zurück. Zwischen Preußen und Rom gab es in diesen Jahren heftige Auseinandersetzungen um das Verhältnis Kirche-Staat. Der Eifeler wollte eine vom Staat möglichst freie und nur dem Papst verpflichtete Kirche. 1842 wurde Arnoldi erneut gewählt. Der neue preußische König Friedrich Wilhelm IV. akzeptierte die Entscheidung.

Während seiner langen Bischofszeit versuchte Arnoldi, sein Bistum sturmfester gegen unkatholische Einflüsse zu machen. Politische Gewalt lehnte er ab. Geistlich orientierte er sich an den Kirchenvätern, sein Vorbild Chrysostomos übersetzte er ins Deutsche. Die katholische Tradition galt ihm als ehrwürdig und aus diesem Geist heraus ließ er Dom und Dorfkirchen restaurieren und förderte die religiösen Gemeinschaften. In seinem geliebten Dom zog er sich in der Adventszeit 1863 eine schwere Erkältung zu, im Januar 1864 verstarb er. Sterben und Tod des charismatischen Eifelers bewegten auch viele von denen, die seinen Überzeugungen nicht mehr folgen wollten.

Verfasser: Gregor Brand
 

Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen
Eifelzeitung E-Paper Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen