Nikolaus Benedikt Conrath

Neben Karlsbad zählt das ebenfalls in Westböhmen gelegene Franzensbad zu den berühmtesten Kurorten der Welt. Ob Goethe, Beethoven, Hochadel oder gewöhnliche Bürger – sie alle hofften dort auf die Heilkraft der Moorbäder und Heilquellen. Hervorragende Mediziner konkurrierten um die Ehre, in solch noblem Umfeld wirken zu dürfen. Angesichts dessen ist es umso erstaunlicher, dass sich im 19. Jahrhundert an beiden Orten Eifler Mediziner in der ersten Reihe der Bade- und Brunnenärzte behaupteten: der Kueser Arzt Kronser in Karlsbad und der Neuerburger Brunnenarzt Conrath in Franzensbad.

Nikolaus Benedikt („Nicolas“) Conrath wurde 1776 als ältester Sohn des aus Altwies (Bad Mondorf) zugezogenen Nikolaus Conrath und dessen zweiter Ehefrau, der Neuerburgerin Maria Katharina Kehmen, in der kleinen Westeifelstadt geboren. Zwischen ihm und seinem jüngsten Bruder Jakob, der ein halbes Jahrhundert lang Pfarrer in Schankweiler war, lag ein Altersunterschied von 21 Jahren, was den Jüngeren zu Beginn ihres lebenslangen herzlichen Briefkontakts veranlasste, seinen Bruder zunächst mit „Sie“ anzusprechen, worauf der ältere Nicolas antwortete: „Nun noch eins! Ich finde es unschicklich, daß der Pfarrer den Doktor Sie und der Doktor den Pfarrer Du nennt. Darum schreibe künftig Du.“ Dieses Briefzitat und andere familiäre Informationen verdanken wir einem Großneffen des Brunnenarztes, dem Schriftsteller und Heimatforscher Dr. Carl Conrath (1910–1992). Während drei seiner Brüder ortstypisch Rotgerber und Wollspinner wurden, studierte Nicolas in Prag Medizin. Nach der Promotion und Assistentenjahren bei bedeutenden Medizinern seiner Zeit wurde Dr. Conrath 1810 Leibarzt des Grafen Franz von Schlick. Obwohl er damit Anschluss an die vornehmsten Kreise der Habsburgermonarchie gewonnen hatte und vermutlich ein angenehmes, von vielen Reisen begleitetes Leben hätte führen können, scheint ihn diese Position nicht befriedigt zu haben.

Ermuntert von seinem Freund, dem später berühmten Anatomen V. J. Krombholz, arbeitete er zusätzlich von 1814 –1818 als Anatom in Prag und besuchte Privatvorlesungen dortiger Wissenschaftler. Erst 1820 fand der inzwischen 44-Jährige seine endgültige Berufung, als er Brunnenarzt in Franzensbad wurde. Bei der Entscheidung zugunsten von Dr. Conrath dürfte neben dessen medizinischen Fähigkeiten eine wichtige Rolle gespielt haben, dass der uneitle Eifler Handwerkersohn sich längst souverän in den vornehmsten Kreisen zu bewegen wusste und zu seiner „angeborenen feinen Gesittung“ (Dr. Held, 1841) eine hohe Bildung erworben hatte, die ihn zu einem geschätzten Gesprächspartner machte: „Ich hatte in letzter Zeit viele vornehme Kranke zu behandeln, unter diesen eine Schwägerin des Kaysers von Rußland und die Schwägerin des Königs von Preußen, die sich noch hier befindet und die ich wahrscheinlich auf der Rückreise nach Berlin begleiten werde.“ Sowohl durch seine praktische Tätigkeit als auch aufgrund wissenschaftlicher Veröffentlichungen galt Conrath als führende Kapazität für Mineralschlammbäder. Attraktive Angebote „mächtiger Freunde in Berlin“ lehnte er ab, weil für ihn galt, was er auch seinem Bruder Jakob riet: „Bist Du zufrieden und glücklich dort, dann bleibe, wo Du bist.“

Wie glücklich Dr. Conrath tatsächlich war, ist schwer zu sagen. Über das Fehlen einer eigenen Familie tröstete sich der Junggeselle mit dem Gedanken an über dreißig Nichten und Neffen: „Hilf Himmel, liebster Bruder, welche Herde wäre das geworden, wenn Du und Bruder Wilhelm und ich auch so viele Kinder in die Welt gesetzt hätten wie die anderen Brüder!“ Traurig machte ihn beispielsweise die Entfernung von der Heimat, die er nur selten besuchen konnte. In Böhmen lastete ein Übermaß von Arbeit auf ihm, da er aus innerer Verpflichtung neben den gutsituierten auch viele andere Patienten behandelte. Jenseits des siebten Lebensjahrzehnts ging es ihm gesundheitlich zusehends schlechter. Erschöpft fühlte er sich „von der Welt und den Menschen abgenutzt“. Testamentarisch bestimmte er sein Vermögen für die Eifler Verwandten, aber auch für arme Schulkinder, mehrere Witwen und die Gemeinden Franzensbad und Neuerburg. Für die Unterstützung durch Alter oder Krankheit in Not geratener Mediziner gründete er die Dr. Conrath’sche Stiftung. Am 8. Januar 1841 starb Dr. Conrath in Prag nach monatelangem Fieber und wurde fünf Tage später, seinem Wunsch gemäß ohne Musik und Feierlichkeit, beerdigt.

Verfasser: Gregor Brand

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