Max René Hesse

Als 2006 der französische Großroman „Les Bienveillantes“ („Die Wohlgesinnten“) des jüdischen Schriftstellers Jonathan Littell erschien, wurde dieses Werk zu einem literarischen Weltereignis. Die Verkaufszahlen gingen rasch in die Hunderttausende und Littell wurde mit dem renommierten Prix Goncourt ausgezeichnet. Gerade auch in Deutschland rief der sensationelle „Jahrhundertroman“ heftige Diskussionen hervor. In Littells Buch erzählt der fiktive SS-Mann Dr. Max Aue seine Lebensgeschichte; Weltkrieg und Judenvernichtung nehmen dabei eine zentrale Rolle ein. In einem kurzen, aber wichtigen Teil des Buches schildert Max Aue seine homosexuelle Beziehung zu dem Leutnant der Waffen-SS Willi Partenau.

Was hat all dies mit der Eifel zu tun? Was anscheinend selbst Literaturwissenschaftlern nicht aufgefallen ist: Die Figur Partenau stellt einen klaren Bezug zu dem 1929 erschienenen Roman „Partenau“ des in Wittlich geborenen Schriftstellers Max René Hesse (1877–1952) dar. Das ergibt sich nicht nur aus der Gleichheit der Namen, sondern auch aus der Thematik: Im Mittelpunkt des Romans von Hesse steht die Beziehung des homosexuellen Offiziers Partenau zum Oberfähnrich Kiebold. Darüber hinaus lassen sich weitere Entsprechungen finden, so etwa die Erwähnung von Platons Werk „Symposion“, von dem Max Aue behauptet, es auswendig zu kennen, und das in Hesses Roman für Kiebold wichtig ist. Dass die zahlreichen Analysen des Littell-Romans dem Verhältnis zu Hesses „Partenau“ bisher keine Beachtung schenkten, zeigt allerdings auch, dass der Wittlicher heute selbst für Literaturkenner meist ein Unbekannter ist. Das war einmal völlig anders: Als Hesse mit „Partenau“ sein Debüt als Romanautor gab, wurde dieser „erste Reichswehrroman“ nicht nur ein Bestseller, sondern rief beispielsweise bei Ernst Jünger hohes Lob hervor. Jünger, schon damals berühmt, sprach dem Roman des Eiflers „nicht nur eine ungewöhnliche literarische, sondern auch eine ausgesprochen männliche Potenz“ zu. Zwiespältig war dagegen das Urteil des Romanisten Viktor Klemperer. In seinem Werk über die Sprache des Dritten Reiches beurteilte er den literarischen Wert von „Partenau“ als gering, schätzte aber dessen ideengeschichtliche Bedeutung sehr hoch ein. In Sprache und Geisteswelt der „Partenau“-Offiziere sah Klemperer die NS-Sprache vorweggenommen – freilich ohne deswegen den Autor selbst als Nazi zu bezeichnen. Obwohl Hesse auch in der NS-Zeit erfolgreich Romane veröffentlichte, konnten ihn die Nationalsozialisten in der Tat schwerlich als einen der ihren vereinnahmen. Im Gegenteil: „Ein typisches Judenbuch“ – so lautete 1933 das Urteil brauner Zeitgenossen, als Hesse seinen Arztroman „Morath schlägt sich durch“ im Verlag des jüdischen Verlegers Bruno Cassirer veröffentlichte. Auch der Folgeband „Morath verwirklicht einen Traum“ wurde zeitweilig verboten.

Wer war nun eigentlich dieser M. R. Hesse, um dessen Wiederentdeckung in seiner Eifeler Heimat sich Albert Klein große Verdienste erworben hat? Hesse war ein Sohn des aus Benrath kommenden Oberkontrolleurs Jacob Hesse und dessen Ehefrau Anna geb. Corneli. Zu seinen väterlichen Vorfahren zählen nicht nur erfolgreiche Gastwirte, sondern auch die bedeutenden Gartenbaufamilien Weyhe und Lenné; die Familie Corneli stellte angesehene Bürgermeister in Ahlen und Kleve. Der Beamtensohn wurde nach vielfältigen Studien Mediziner und lebte zwischen 1910 und 1927 in Argentinien. In Buenos Aires arbeitete er als Arzt der wohlsituierten deutschen Kolonie. In diesem Milieu spielen auch seine Morath-Romane, die einen Skandal hervorriefen, da sie als Schlüsselroman verstanden wurden und durch medizinischen Realismus schockierten. 1928 bereiste Hesse als Großwildjäger Südamerika und Afrika, ehe er sich von 1929 bis 1933 in Berlin niederließ. Während der NS-Zeit lebte er in Wien und Split, im Krieg war er als Journalist in Madrid tätig und bewegte sich zwischen Berlin und Argentinien. Bei deutschen Verlegern war er als erfolgreicher Autor begehrt, galt aber auch als problematisch. Der Romanist K. E. Gass notierte 1944 zu einem neuen Buch: „Der Roman von Hesse hat mir unendliches Vergnügen bereitet“. Solches Lob, Hesses Produktivität und Neuauflagen seiner Werke konnten nicht verhindern, dass seine Bekanntheit bald stark nachließ. Dass aber sein Werk untergründig wirksam bleibt, zeigt Littells Buch auf eindrucksvolle Weise.

 Verfasser: Gregor Brand
 

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