Mathieu Molitor

Spätestens seit 2009 kann keine Rede mehr davon sein, dass Mathieu Molitor „vergessen“ sei. Als in jenem Jahr im Kreismuseum Bitburg-Prüm eine Ausstellung einen Einblick in das Werk des 1873 in Pickließem geborenen Bildhauers, Malers und Grafikers gewährte, so war das zwar für viele eine Entdeckung. Ganz unbekannt war Molitor allerdings auch vorher nicht. Dafür sorgten allein schon seine meisterhaft gestalteten Figuren vor „Auerbachs Keller“ in Leipzig. Wer diese durch Goethes „Faust“ weltweit berühmt gewordene Lokalität besucht, dessen Blick wird nicht an den Figurengruppen „Faust und Mephisto“ vorbeigehen können, die Molitor dort 1913 aufstellte. Allein schon dieser Auftrag zeigt, welch enormes Ansehen der Eifler vor einem Jahrhundert in der sächsischen Metropole genoss. Leipzig, eine der größten und wichtigsten Städte des Kaiserreichs, war seit 1899 Wohnsitz und Wirkungsort von Molitor. In diesem Zentrum von Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur entwickelte sich Molitor zu einem der wichtigen deutschen Künstler jener Zeit.

Der Weg dahin bedeutete für den Sohn des Schachtmeisters Johann Molitor und dessen Ehefrau Marie (geb. Bruch) eine steile Karriere. Bedingt durch die Arbeitsplatzwechsel des Vaters hatte der Dorfjunge Mathieu einst von einer Volksschule zur anderen wechseln müssen: „Da ich aber unter meinen Schulkameraden stets ein Fremder war, so hatte ich von ihrem Übermute oft viel zu leiden, zumal ich ihren vereinten Kräften meist nicht gewachsen war.“ Als Folge solchen Mobbings blieb er oft zu Hause und vertrieb sich im Kreis der Geschwister unter Anleitung der verständnisvollen Mutter die Zeit mit Zeichnen auf der Schiefertafel. Der Vater drängte den Sohn gegen dessen Willen zu einer „praktischen“ Ausbildung. Als Vierzehnjähriger begann Mathieu eine Lehre im Kanal- und Eisenbahnbau, arbeitete dann von 1889–1892 in Köln als Vermessungsgehilfe, Zeichner und Bauschreiber. Überschattet wurden diese unglücklichen Jugendjahre durch den frühen Tod der Mutter (1888). Der junge Molitor ließ sich in seinem Traum von einem Leben als Künstler aber nicht beirren. Der Dekorationsmaler Manza in Köln stellte ihn ein; als Gehilfe bei Decken- und Wandgemälden lernte Molitor viel dazu. Einen Eindruck von Molitors frühen Malkünsten liefert ein Ölgemälde des Achtzehnjährigen in der Kirche seines Heimatdorfes. Obwohl Molitor rasch ein gefragter Dekorationsmaler wurde, wechselte er 1894 an die Kunstschule zu Weimar, ein Jahr später unternahm er eine Studienreise in die Niederlande. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts – und damit früher als die meisten anderen Maler – erweiterte der Eifler sein Tätigkeitsgebiet auf graphisch-gewerbliche Arbeiten. Buchcover, Buchillustrationen, Exlibris, Karten, Design-Entwürfe für Gebrauchsgegenstände und vieles mehr: Molitor gilt als Vorreiter der Verbindung von künstlerischer und moderner gewerblicher Welt. Neben Malerei, Grafik und Design wurde die Plastik zu einem Schwerpunkt Molitors, dessen Werke vorwiegend dem Jugendstil zuzuordnen sind. Nach einem vierjährigen Italien-Aufenthalt beeindruckte er mit zahlreichen Bronzearbeiten. Viele Statuetten stellen nackte junge Frauen dar, die Molitors Ideal der Natürlichkeit verkörpern. Zugleich zeigen sie aber auch den Abstand zu der streng katholischen Welt seiner Eifler Heimat, in der die Präsentation solcher Kunstwerke damals Skandale hervorgerufen hätte.   

Sowohl künstlerisch als auch privat hatte Molitor seine beste Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Aus der 1902 mit der Tochter eines wohlhabenden Prokuristen geschlossenen Ehe gingen zwei Kinder hervor. Obwohl sich Molitor von den einflussreichen Künstler-Vereinigungen fern hielt und durch diese mangelnde Vernetzung manchen Nachteil hatte, war er neben Klinger und Seffner einer der führenden bildenden Künstler Leipzigs. 1908 wurde er zum Professor ernannt. Das alles hinderte einen verblendeten Staat jedoch nicht, 1916 den über 40-jährigen Familienvater in den Krieg zu schicken. Danach war nicht nur seine Gesundheit angeschlagen, sondern Molitor hatte zudem sein Vermögen durch Kriegsanleihen verloren. Es gelang ihm nicht mehr, sich von diesen Rückschlägen zu erholen. Als er 1929 an einem Gehirnschlag starb, war sein einstiger Ruhm weitgehend verblasst. Der Bildband zu der eingangs erwähnten Ausstelllung dokumentiert auf schönste Weise, dass Mathieu Molitor das Gegenteil verdient hat.

Verfasser: Gregor Brand

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