Mario Adorf

Adorf – der Name klingt wie eine moderne Sprachschöpfung zur abstrakten Bezeichnung von Orten: von Adorf über Bdorf bis Zdorf. Im Zusammenhang mit Mario Adorf gehört er aber in die erstaunliche Reihe der berühmten Namen, die sich mit dem Eifelgebiet nahe der Nürburg verbinden.

Neben der legendären Rennstrecke wäre hier die Burg Aremberg zu nennen, von der ein ruhmreiches Geschlecht des europäischen Hochadels seinen Namen herleitet, oder Adenau, das sich durch Konrad Adenauer in die Geschichte eingeschrieben hat. Mario Adorf, dessen Familienname auf den bei Gilgenbach und Leimbach gelegenen Hof Adorf verweist, hat längst einen höheren Bekanntheitsgrad erreicht als die Herzöge von Arenberg oder der erste Kanzler der Bundesrepublik. Der prominente Schauspieler ist Enkel des in Mayen geborenen Sattlermeisters Caspar Adorf (1865–1918). Dieser Eifler Großvater steht am Anfang der ausgeprägten internationalen Note, die für Mario Adorf so typisch ist. Caspar Adorf heiratete eine Elsässerin und betrieb in Zürich ein erfolgreiches Sattlergeschäft.

Da er nicht nur die Schweizer Kavallerie belieferte, sondern auch Privatpersonen, ist keineswegs ausgeschlossen, dass auch Einstein, der damals ebenfalls in Zürich lebte, Schuhe oder Gürtel von Adorf trug oder gar seine Notizen zur Relativitätstheorie in Schreibmappen des Eifler Sattlers festhielt. Mario Adorfs Mutter Alice (1905–1998) wuchs zunächst in ihrer Geburtsstadt Zürich auf, ehe der Weltkrieg und der Wunsch nach Unabhängigkeit die junge Frau zuerst nach Mayen, dann nach Zürich und Berlin und schließlich als diplomierte Röntgenassistentin nach Italien führten.

Dort blieb eine kurze Beziehung mit dem italienischen Arzt und Familienvater Matteo Menniti nicht folgenlos. Wenige Monate nach Marios Geburt in Zürich zog die Mutter mit dem Baby Ende 1930 nach Mayen. Eine mutige Entscheidung, wenn man an die Anfeindungen denkt, denen unverheiratete Frauen mit unehelichen Kindern ausgesetzt waren.

Mario Adorf verbrachte die ersten 20 Lebensjahre in Mayen. Wie wichtig ihm diese Zeit bis heute ist, kann man nicht zuletzt an der Intensität erkennen, mit der er sich in seinen Büchern jenen Eifeljahren widmet. Seine Sicht auf diese dramatische, vom Krieg dominierte Zeit hält sich gleich fern von Verklärung oder Verleugnung. Aus der Not der Mutter, die als Näherin das tägliche Brot erarbeitete und im Weltkrieg die Meisterprüfung als Schneiderin ablegte, macht er ebenso wenig eine Tugend wie aus seiner jugendlichen Eingebundenheit in das NS-Erziehungssystem ein Geheimnis.

Nach dem Abitur 1950 am Realgymnasium Mayen ging Adorf als in jeder Hinsicht hungriger Student an die Uni Mainz. Als er nach vier Semestern – ausgefüllt mit Lesen und Lernen, aber auch erfolgreichem Boxsport und harten Ferienjobs in der Bimssteinindustrie – Mainz verließ, hätte er sich nicht träumen lassen, dass er 60 Jahre später von eben dieser Universität die Ehrendoktorwürde erhalten würde. Die Schauspielausbildung auf der sehr angesehenen Otto-Falckenberg-Schule in München bildete die Basis für Adorfs Theater- und Filmkarriere. Vom 1957 errungenen Bundesfilmpreis als bester Nachwuchsschauspieler bis zur Goldenen Kamera 2012 für sein Lebenswerk reiht sich eine dichte Kette von Preisen und Auszeichnungen, wobei Mario Adorf selbst nie verhehlt hat, dass sein Leben auch Tiefen, Kanten und Brüche kennt.

Man kann hier nur andeuten, welch gewaltige künstlerische Produktivität Mario Adorf seit Jahrzehnten entfaltet. Jeder wird ohnehin unter den über 200 Film- und Fernsehproduktionen und zahlreichen Bühnenrollen seinen eigenen „Lieblings-Adorf“ haben. Verblüffend ist immer wieder, wie überzeugend er Charaktere mit unterschiedlichen ethnischen, sozialen oder psychologischen Hintergründen verkörpert.

Dass er weder als Mexikaner noch als Italiener in irgendeiner Weise „verkleidet“ wirkt, könnte man zwar noch mit seinem mediterranen Vater in Verbindung bringen. Aber als kurzgeschorener Berliner Mörder Lüdke („Nachts wenn der Teufel kam“) oder als langbärtiger russischer Bauer Rybin in einer Gorki-Verfilmung („Die Mutter“) wirkt der Mann aus der „steinernen Eifel“ nicht minder authentisch. Und da gibt es ja auch noch die von vielen als phänomenal empfundene Stimme des Sängers, Vorlesers und Rezitators Adorf. Bei seiner unübertrefflichen Interpretation von Rilkes Meistergedicht „Aufgang oder Untergang“ ahnt man, warum Dichtung einst als höchste Kunstform überhaupt galt.

Last but not least sind noch einmal seine literarischen Arbeiten zu erwähnen, deren Schwerpunkt das autobiographische Erzählen ist und mit denen er ungemein erfolgreich ist. Hunderttausende Bücher mit einfühlsamer und intelligenter Prosa zu verkaufen, ohne dafür skandalöse oder eitle Enthüllungen zu präsentieren, ist eine Leistung ganz besonderer Art – und kennzeichnender Ausdruck der für Mario Adorf so typischen „Eifelkeit“, die Hermann Simon in einer Laudatio als das Gegenteil von Eitelkeit bezeichnete.  Angesichts solch kreativer Vielseitigkeit auf höchstem Niveau spricht man in Deutschland gern von einem menschlichen „Gesamtkunstwerk“, in den USA bewundernd von einem „Renaissance Man“ – zu Recht.

Verfasser: Gregor Brand

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