Leopold Hoesch

Hoesch – auch das ist einer der legendären deutschen Industriellennamen aus der Nordeifel. Wie die Poensgen, Schoeller, Thyssen und andere, so haben auch zahlreiche Angehörige der Familie Hoesch über staunenswert viele Generationen hinweg herausragende wirtschaftliche Aktivitäten entfaltet und damit bedeutende Grundlagen für die anhaltende wirtschaftliche Spitzenstellung Deutschlands gelegt. Stammvater Jeremias Hoesch (ca. 1610-1653) gilt als der erste Eisenindustrielle dieser Familie, die schon vorher zahlreiche Handwerksmeister der Metallbearbeitung stellte. Der alttestamentarische Vorname dieses Hoesch-Ahnen hängt damit zusammen, dass sich die Familie in der Reformationszeit trotz der damit verbundenen Schwierigkeiten der calvinistischen Konfession anschloss. Während des Dreißigjährigen Krieges gelang es Jeremias Hoesch, Anteile an wichtigen Hammerwerken der Nordeifel zu erwerben und damit den Grundstock dieser weit verzweigten Industriellen-Dynastie zu legen, die sich neben der Eisenproduktion auch erfolgreich in der Tuchindustrie und der Papierproduktion engagierte. Eisen- und Papierfabrikant war auch Wilhelm Hoesch (1791-1831), der Vater des 1820 in Düren geborenen Leopold. Typisch für diese Nordeifler Unternehmersippen heiratete Wilhelm Hoesch mit Johanna Schoeller, Tochter des Schleidener Hüttenbesitzers und Tuchfabrikanten Arnold Schoeller, ein Mitglied aus einer ihm sozial und verwandtschaftlich sehr nahe stehenden Familie. Diese kennzeichnende Tradition setzte Leopold Hoesch durch die Ehe mit seiner Kusine Maria Hoesch fort. Im katholischen Bereich war eine so nahe Verwandtenehe grundsätzlich verboten – für die reformierten Nordeifler Industriellenfamilien stellte sie nichts Ungewöhnliches dar. Auch Pauline Hoesch, Leopolds Schwester, heiratete in die  Verwandtschaft. Ihr Dürener Ehemann Alexander Ritter von Schoeller wurde eine der großen Wirtschaftspersönlichkeiten Österreich-Ungarns.

Überhaupt prägten die familiären Verbindungen entscheidend die wirtschaftlichen Unternehmungen. Leopolds Vater Wilhelm hatte Anfang des 19. Jahrhunderts zusammen mit seinen Brüdern Eberhard und Ludolf unter der Firma „Gebrüder Hoesch“ die verschiedenen Werke der Hoesch-Familie zusammengeführt. Als nach dem Ende der Befreiungskriege die Eisenpreise stark sanken, wurde die Firma 1819 aufgelöst und in teils Papier, teils Eisen produzierende Unternehmen aufgeteilt. Nach dem frühen Tod des Vaters wurde für Leopold der Onkel – und spätere Schwiegervater – Eberhard Hoesch zum Vorbild. Eberhard Hoesch (1790-1852) war ein erstrangiger Pionier der deutschen Eisenproduktion. Effektiv nutzte er die Spitzenkenntnisse der englischen Eisenindustrie und führte maßgebliche technische Neuerungen ein. Als Eberhard Hoesch 1852 starb, wurde Leopold Chef des Unternehmens, das aus drei Eisenwerken, einem Zinkwalzwerk und umfangreichen Grubenbesitz bestand. Wie sein Onkel, so hatte auch der in Köln humanistisch ausgebildete Leopold ein ausgeprägtes Empfinden für technisch-ökonomische Verbesserungen.

Ihm wurde schnell klar, dass angesichts neuer Produktionsmethoden wie etwa des Bessemer-Verfahrens einschneidende Veränderungen erforderlich waren. Leopold entschloss sich daher, das Hauptwerk ins aufstrebende Ruhrgebiet zu verlegen, dessen Rohstoffe und Verkehrslage günstiger waren. Im gleichen Jahr 1871, als das Deutsche Reich gegründet wurde, eröffnete Leopold Hoesch in Dortmund ein hochmodernes Stahlwerk und formte unter Beteiligung seiner Söhne und Vettern mit der Hoesch AG (seit 1874) ein eindrucksvolles Stahl- und Montanunternehmen. Vor allem aber schuf der Hoesch-Konzern für unzählige Arbeiter und ihre Familien die wirtschaftliche Lebensgrundlage. Noch hundert Jahre nach der Gründung beschäftigte der Konzern fast 50 000 Mitarbeiter und erzielte Milliardenumsätze. Trotz aller – oft mit Arbeitskämpfen ausgetragener – Schwierigkeiten waren die meisten Hoeschianer stolz darauf, bei „Karl Hoesch“ (so der populäre Firmenspitzname) arbeiten zu können. Leopold Hoesch selbst hatte soziale Belange stets stärker als seinerzeit üblich berücksichtigt. Als 79-Jähriger erlag der beliebte Patriarch, nach Auftreten und Überzeugung ein Konservativer, einem Gehirnschlag. Rund ein Jahrhundert nach Leopolds Tod wurde sein Unternehmen zunächst mit Krupp zusammengeführt und dann Teil von ThyssenKrupp. Der Eifler Name Hoesch bleibt in jedem Fall denkwürdiger Bestandteil europäischer Industriegeschichte

Verfasser: Gregor Brand

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