Katharina Müller

Zu den frappierenden Phänomenen deutscher Geschichte gehört es, dass vor der NS-Zeit gleich zwei katholische Frauen aus winzigen Eifeldörfern maßgebliche Fürsprecherinnen für die Rechte berufstätiger Frauen wurden. Während die in Michelbach geborene Maria Reese als Politikerin für die KPD im Reichstag saß, war Katharina Müller aus dem kaum 300 Seelen zählenden Westeifler Bauerndorf Niederweis seit 1921 Vorsitzende des Verbandes der weiblichen Angestellten (VWA). Diese Organisation kümmerte sich um die Interessen der weiblichen Handels- und Büroangestellten und war mit über 100 000 Mitgliedern die führende Vertretung der berufstätigen Frauen. Zusätzlich setzte sich Katharina Müller auch im Vorstand des „Deutschen Gewerkschaftsbundes“, dem damaligen Dachverband der Christlichen Gewerkschaften, für die Rechte der arbeitenden Frauen ein. Die zielstrebige Eiflerin war in diesem Gremium die einzige Frau.

Begonnen hatte dieser ungewöhnliche Lebensweg 1887 in Niederweis, wo Katharina als Tochter des Mühlenbauers Franz Müller und dessen Ehefrau Margaretha geboren wurde. Wie die meisten begabten Eifelkinder damals konnte sie aus familiären und finanziellen Gründen keine höhere Schule besuchen oder gar studieren. Nach der Volksschule arbeitete das Mädchen vom Lande als Verkäuferin daher zunächst im Delikatessengeschäft Schneider in Trier, dann ab 1907 im Bitburger Textilhaus Messerich-Niederprüm. Der Erste Weltkrieg riss die Eiflerin aus der gewohnten Lebensbahn: Ihre ältere Schwester Annemarie Paschke (geb. Müller) lebte mit ihrer Familie in Ravensburg unweit des Bodensees. Als deren Mann 1915 in russische Kriegsgefangenschaft geriet, zog Katharina zur Schwester und half der kinderreichen Familie. Wie der aus Niederweis stammende Historiker Dr. Peter Neu, der Müllers Biographie verdienstvoll nachging, berichtet, schloss sie sich in Ravensburg der Gewerkschaftsbewegung an. In Versammlungen imponierte sie mit ihrer Persönlichkeit und ihrem im Selbststudium angeeigneten Wissen derart stark, dass ihr schon 1919 in Berlin ein Sitz im Vorstand des eingangs erwähnten VWA angeboten wurde – sie nahm das verantwortungsvolle Angebot an. So erlebte die Eifler Handwerkertochter die keineswegs nur goldenen Zwanziger Jahre in der unruhigen Weltmetropole Berlin.

Vorträge und Versammlungen führten die Katholikin, die von kommunistischer und sozialistischer Seite manchen Anfeindungen ausgesetzt war, durchs ganze Reichsgebiet. Einige dieser Vorträge, etwa „Der Angestelltenstand in der deutschen Wirtschaft“ oder „Frauenberuf und Frauenverband“ sind heute noch antiquarisch im Buchhandel erhältlich. Müllers Kernanliegen war es, für menschenwürdige Formen des Arbeitens und Wirtschaftens einzutreten, die sie nicht zuletzt durch die alleinige Ausrichtung an ökonomischer Produktivität bedroht sah. Höchste Anerkennung fand ihr Wirken, als die einstige Volksschülerin 1927 als erste und einzige Frau an das Reichsarbeitsgericht nach Leipzig berufen wurde. Ihre Tätigkeit als Reichsarbeitsrichterin beendete der NS-Staat im Jahr 1934. Bereits ein Jahr zuvor hatte Hitler die Gewerkschaften auflösen und verbieten lassen. Da Katharina Müller – trotz des Angebots einer Führungsposition – in der an die Stelle von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden tretenden Deutschen Arbeitsfront nicht mitarbeiten wollte, musste sie wieder als Verkäuferin und als Buchhalterin arbeiten. Nicht diese Arbeit war es, was der selbstbewussten, aber auch bescheidenen Junggesellin große Sorgen bereitete, sondern die politische Entwicklung. Für den Berliner Fürsorgeverein kümmerte sie sich bis zum Kriegsende als Geschäftsführerin unter den argwöhnisch-bedrohlichen Augen des Regimes um Inhaftierte in Berliner Gefängnissen.

Beim Neuaufbau von Gewerkschaften und Fürsorgeverein nach dem Krieg blieb Müllers Rat gefragt. Als sie 1957 in Pension ging, zeigte sich eine andere Seite der Eiflerin: ihre tiefe Heimatliebe. Alljährlich war sie zumindest kurz nach Niederweis gekommen und nun wollte sie ihren Lebensabend in der Nähe der Heimat verbringen. Dies war ihr im Trierer St. Elisabeth-Heim vergönnt. Als wohl älteste Niederweiserin starb Katharina Müller im Alter von 94-jähren und wurde im März 1982 auf dem kleinen Dorffriedhof beigesetzt – also dort, wo ein Jahrzehnt später mit dem Volkskundler Matthias Zender eine weitere herausragende Persönlichkeit dieses Eifeldorfes ihre letzte Ruhe fand.

Verfasser: Gregor Brand
 

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