Joseph Lemling

Noch nie in der Geschichte der Menschheit wurden so viele Fotos produziert und weltweit verbreitet wie heute. Diese Bilder beeinflussen das allerprivateste Verhalten ebenso wie den Gang der Weltgeschichte. Am Anfang dieser Bilderflut standen die Fotopioniere des 19. Jahrhunderts. Zu diesen oft vergessenen und unterschätzten Gestaltern unserer Zivilisation zählt mit Josef Lemling auch ein Kind der Eifel.
Der Kaufmannssohn Lemling kam 1825 in Marmagen zur Welt, also in jenem Dorf der Nordeifel, aus dem auch der Ahnherr des Eiffelturm-Erbauers stammte. Joseph Lemlings gleichnamiger Vater war allerdings ein Südeifler aus Sülm bei Bitburg, verwandt mit dem Sülmer Landwirt, Dichter und Musiker Bernhard Lemling (1904–1961). Zusammen mit seiner Ehefrau aus der Müllenborner Hüttenbesitzer-Familie Romag betrieb Joseph Lemling sr. in Marmagen einen Krämerladen. In diesem Umfeld wurde der aufgeweckte Eifler Dorfjunge erstaunlich früh auf die neue Technik des Fotografierens aufmerksam und begann wohl schon um 1845, selbst zu fotografieren. Wie neu und außergewöhnlich dies damals war, kann man schon daraus ersehen, dass die ersten Foto-Aufnahmen vieler Eifelorte wie Wittlich, Bitburg oder Monschau erst nach 1855 entstanden – geschaffen von Meister Lemling persönlich. Lemling begnügte sich in jenen Pioniertagen der Fotografie nicht damit, die komplizierte Technik des Fotografierens zu beherrschen, sondern erwarb sich zudem ein extrem gründliches Fachwissen der neuen Kunst. Neben eindrucksvollen Aufnahmen legen vor allem seine zahlreichen Veröffentlichungen Zeugnis davon ab. Diese Publikationen, teils in Fachzeitzeitschriften erschienen, oftmals aber auch in Buchform, zeigen ihn zudem als „Dichterfotografen“, der seine Beiträge nicht selten mit gereimten Epigrammen schmückte. Weit mehr aber noch als Dichter war der Marmagener Chemiker. Nicht nur sein Buch „Der Praktische Photograph: Ein Rathgeber über das Neueste und Zweckmässigste in der Photographie“, das 1862 schon in der zweiten Auflage erschien, erweckt den Eindruck, es mit einem Chemiker zu tun zu haben. Lemlings enormes naturwissenschaftliches Wissen befähigte ihn, die zahlreichen Techniken der Fotoherstellung nicht nur kritisch zu beurteilen, sondern selbst neue Gravier- und Druckverfahren zu entwickeln. Lemling schrieb unter anderem detailliert und ausführlich über die damals noch sehr junge Technik der Collodionphotographie, die das Daguerreotype-Verfahren verdrängte, mit dem Lemling seinerzeit seine ersten Eifelaufnahmen gemacht hatte. Lemlings Beiträge zu den verschiedenen Foto-Techniken, etwa auch zur Photoverrotypie, wurden teilweise in mehrere Sprachen übersetzt und fanden internationale Beachtung. Sie gelten längst als bedeutsame Dokumente zur Fotografie-Geschichte. Bei Lemlings Veröffentlichungen stand meist der Gedanke der Praktikabilität im Vordergrund. Sein besonderes Anliegen war es, „alle denkenden und vorwärts strebenden Photographen, Porzellan- und Glasmaler, Xylographen, Lithographen etc.“ über die neuesten Fortschritte „leicht fasslich“ zu informieren.

So wichtig die technischen Erläuterungen und Verbesserungsvorschläge auch waren, so geht Lemlings bleibende Bedeutung als Fotopionier doch weit darüber hinaus. Heute ist kaum noch bekannt, welche Energie und welche Voraussicht nötig waren, das Fotografieren gesellschaftlich durchzusetzen. Das Fotografieren hatte viele Gegner, die sich oftmals nicht vorstellen konnten, dass es zu etwas anderem als Zeitvertreib nützlich sein konnte. Andere befürchteten den Verfall oder gar den Untergang der Malkunst. Solchen Bedenken gegenüber erhob Lemling über Jahrzehnte seine Stimme und betonte eindringlich den Nutzen der Fotografie für Industrie, Kunst und Wissenschaft. 

Privat erwies sich der fortschrittsfreudige Eifler als zutiefst bodenständig. Er lebte, arbeitete und starb (1894) in seinem Heimatdorf. Dort zog er zusammen mit seiner eifelstämmigen Ehefrau Gertrud Heihs drei Töchter auf, deren heutige Nachkommen das Interesse am Lebenswerk ihres Vorfahren mit ihren Sülmer Verwandten teilen. Zwar können Joseph Lemlings technische Pionierbeiträge zur Fotografie nur wenige Spezialisten angemessen würdigen. Woran sich aber – wie jüngere Ausstellungen zeigen – viele erfreuen, sind seine frühen Eifelaufnahmen. Nicht nur für den bekannten Kyllburger Pianisten und FIFA-Schiedsrichter Heribert Fandel bleiben es wahre „Eifelschätze“.

Verfasser: Gregor Brand

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