Johann Winter

Im 16. Jahrhundert schenkte die Nordwesteifel der europäischen Kultur mit den Schleidenern Johann Sturm und Johann Sleidanus zwei herausragende Intellektuelle. Zur gleichen goldenen Generation Eifler Gelehrter gehörten damals auch zwei Osteifler: die Humanisten Johann Winter und Jakob Omphalius aus Andernach. Während sich Omphalius als Jurist Ruhm erwarb, wurde sein Freund und Weggefährte Winter einer der größten Mediziner seiner Zeit.

Johann Winter wuchs als Sohn eines Schneidermeisters in einfachen Verhältnissen auf. Diese Herkunft erklärt auch, dass über seine Jugend wenig bekannt ist. Sogar sein Geburtsjahr steht nicht genau fest. Während früher oft 1487 genannt wurde, geht man inzwischen von 1505 aus. Die erste höhere Bildung erhielt Winter auf der Lateinschule seines damals nur rund 2500 Einwohner zählenden Heimatortes. Der weitere Bildungsweg des Andernacher Handwerkersohnes gleicht verblüffend stark dem von Sturm und Sleidanus. Auch deren Etappen der Ausbildung führten – unter anderem – über Köln und Utrecht zum berühmten Dreisprachenkolleg nach Löwen. Die belgische Stadt war damals eine Hochburg des Humanismus, in der sich Geistesgrößen wie der Spanier Juan Luis Vives oder Erasmus von Rotterdam aufhielten. Letzteren lernte Winter noch persönlich kennen und blieb ihm freundschaftlich verbunden. Im „Löwener Kreis“ (I. Ahl) – den man wegen Sturm, Winter und Omphalius auch als „Eifeler Humanistenkreis“ bezeichnen könnte – trafen sich hochbegabte junge Gelehrte, denen es darum ging, das antike Wissen zu erneuern. Johannes Winter wurde zu einem Meister der griechischen Sprache. Als er 1527 eine griechische Grammatik veröffentlichte, legte er sich einen latinisierten Namen zu und nannte sich Ioannes Guinterius Andernacus, wobei er das dem Lateinischen fremde „W“ durch „Gu“ ersetzte. Das trug dazu bei, dass er weltweit von „Günther“ über „Guinter“ bis „Gonthier“ etc. in verwirrend vielen Namensvarianten bekannt ist.
Vielleicht aus finanziellen Gründen begann der Eifler 1525 zusätzlich ein Medizinstudium in Paris, wo er sich dann 1527 für etwa ein Jahrzehnt niederließ. Winter war noch nicht Mitte 20, als er mit seiner Übersetzung der griechischen Werke des berühmten antiken Arztes Galenos bekannt wurde. Der Pariser Intellektuellenzirkel um Kardinal du Bellay, zu dem auch Sturm und Sleidanus gehörten, bewunderte den jungen Rheinländer als hochgebildete medizinische Kapazität. Nur zwei Jahre nach seiner Promotion (1532) wurde der noch nicht dreißigjährige Winter bereits Medizinprofessor an der Pariser Sorbonne. König Franz I. und Mitglieder seines Hofes ließen sich ebenso von ihm behandeln wie später zahlreiche andere Adlige. Zu den berühmtesten Studenten des Eifler Medizinprofessors zählten Andreas Vesalius, der Begründer der modernen Anatomie, und Miguel Servet, Entdecker des Blutkreislaufs. Winter selbst gilt unter anderem als Entdecker der Funktion der Bauchspeicheldrüse. Bedeutsam ist er auch durch seine Studien zum weiblichen Becken, bei denen er sich über manche Tabus hinwegsetzen musste. Winter studierte zudem die Wirkung von tierischen und pflanzlichen Stoffen und beschrieb erstmals genau den Unterschied von Ölen und Fetten
Wie andere große Ärzte, so musste auch Winter die Grenzen der ärztlichen Kunst feststellen. Obwohl es kaum jemanden gab, der über die Pest besser Bescheid wusste als er, konnte er nicht verhindern, dass seine französische Frau 1541 in Metz dieser Seuche erlag. Winter hatte mit seiner Familie einige Zeit vorher das katholische Paris verlassen, das ihm als Protestanten nicht mehr sicher genug erschien. Über die Zwischenstation Metz ließ er sich schließlich im protestantischen Straßburg nieder. Hier praktizierte er als Arzt und lehrte als Professor am Elite-Gymnasium seines Eifler Freundes Sturm klassische Sprachen und Medizin. In Straßburg vermählte sich Winter erneut, aber auch seine zweite Frau erreichte kein hohes Alter; überlebt hat ihn dagegen seine dritte Ehefrau, die er 1563 geheiratet hatte. Winter war danach noch etwa zehn Jahre lang als Arzt tätig, ehe er 1574 einer Lungenentzündung erlag. Im Alter war Winter, ähnlich wie Sturm, öfters mit der Straßburger Obrigkeit in Konflikt geraten, weil er deren Christentum als zu starr und äußerlich empfand. In Andernach, dem er stets verbunden blieb, hält seit 1992 das „Johann-Winter-Museum“ die Erinnerung an diesen großen Humanisten fest.
  
Verfasser: Gregor Brand
 

Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen
Eifelzeitung E-Paper Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen