Hans Bast Nicolai

Wenn Unauffälligkeit eine wichtige Eigenschaft für Verbrecher ist, dann eignete sich Hans Bast Nicolai schlecht zum Kriminellen. Schon aufgrund seiner Körpergröße von 192 cm, mit der er den Durchschnitt um 25 cm überragte, fiel der um 1735 geborene Schmied aus dem Kondelwald weit und breit auf wie ein bunter Hund. Hinzu kam sein eindrucksvoller kerniger Körperbau. Ein Bildnis Nicolais ist nicht überliefert, aber Zeitzeugen schilderten sein Aussehen – wie das seiner Töchter – als schön. Nicolais herkulische Erscheinung machte den Spross einer ehrbaren Hofmannsfamilie aus Bonsbeuren zu einem überaus stattlichen Grenadier und Gardisten. Wie lange er als Soldat diente und ob er tatsächlich unehrenhaft entlassen wurde, weil er die Frau eines Offiziers verführt hatte, ist wie das Meiste aus seinem Leben nicht bekannt.

In das trübe Licht der Geschichte trat Nicolai erst im revolutionären letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts. Als die französischen Revolutionstruppen die linksrheinischen Gebiete eroberten und an Frankreich anschlossen, führte das zu einer gesellschaftlichen Umwälzung, deren Ausmaß man sich kaum extrem genug vorstellen kann. Auch in der Eifel erlebten die Menschen, dass Herrschaftsverhältnisse, die seit unvordenklicher Zeit bestanden hatten, radikal beseitigt wurden. Der krachende Einsturz der alten Autoritäten warf viele Menschen aus der Bahn. Die auch schon vorher beängstigende Zahl von Banden und Verbrechern nahm weiter zu. Kaum jemand konnte sich in den Wäldern und Weilern der Eifel noch sicher fühlen. „Empörend ist dabei der durchgreifende Zug herzloser kannibalischer Barbarei, mit der die Räuber häufig aus bloßem schändlichen Muthwillen die entsetzlichsten Greuel verübten, entkleidete junge Weiber mit Ruthen halbtodt peitschten, oder mit glühenden Zangen zwickten, abgelebte wehrlose Greise aufhenkten, flehenden Kindern die Ohren herunterhieben oder sie sonst schwer mishandelten und verwundeten, um durch ihr Wimmern die mit Licht und Schwefel vergeblich gebrannten Aeltern zum Nachweis ihres Geldes zu zwingen“, beschrieb F.C.B. Avé-Lallemant die linksrheinischen Verhältnisse. Von solch grausamen Kaliber waren auch die führenden Mitglieder der so genannten Moselbande: der kleine, rothaarige Johann Schiffmann („Tuchhannes“) aus Reil beispielsweise oder der Metzger Richard Bruttig, der angeblich wegen seiner Vorliebe für Schweinefleisch vom Judentum abgefallen war. Mit beiden war Nicolai ebenso wie mit anderen zwielichtigen Gestalten bestens bekannt. Aber dem Krinkhofer gelang es lange, den Schein der Ehrlichkeit aufrecht zu erhalten. „Er hatte Verstand, Verschmitztheit, Ueberlegung, eine beyspiellose Kälte, und war darum eben zum Planmacher geboren, der der Bande fehlte.“ So schilderte ihn später der in Beilstein geborene Jurist J. N. Becker (1773–1809), der Nicolai persönlich kennenlernte und die Hauptquelle für unsere Kenntnis über ihn ist.

Im August 1796 ereignete sich auf der Sprinker Mühle ein entsetzliches Verbrechen, das Nicolai letztlich unter das Fallbeil brachte. Der Müller Krones, seine Frau, seine Tochter und sein jüngster Sohn wurden abgeschlachtet, ein weiterer Sohn, den die Schurken wohl für tot hielten, überlebte schwerverletzt. Indizien ließen die Moselbande als Täter erscheinen. Mehrere Mitglieder wurden gefasst und zum Tode verurteilt. Nicolai fungierte in dem Verfahren zunächst als Kronzeuge gegen seine alten Kumpane, ehe er schließlich durch die Aussage des Bandenmitglieds Hochscheid, eines früheren Liebhabers seiner Tochter, selbst als Haupttäter beschuldigt wurde. Im August 1800 wurde Nicolai verhaftet, ein Jahr später erfolgte seine Hinrichtung in Koblenz. Auch im Angesicht der Todesstrafe war er gewohnt selbstsicher und sarkastisch geblieben. Als ihm der Gerichtspräsident vorhielt, sein Haus sei Sammelplatz aller Räuber gewesen, entgegnete Nicolai: „Oh nein, nicht alle sind bei mir eingekehrt, denn ich habe Euch noch niemals dort gesehen“. Zwei Tage vor der Hinrichtung durfte ihn seine wesentlich jüngere Frau besuchen. Ausdrücklich ließ der 65-Jährige festhalten: Wenn seine Frau nach neun Monaten ein Kind bekomme, dann sei er und niemand anderes der Vater.

Die Erscheinung dieses Mannes, den viele mit dem Teufel im Bund sahen, faszinierte auch die Schriftstellerin Clara Viebig. In ihrem Roman „Unter dem Freiheitsbaum“ (Berlin 1922) stilisierte sie Nicolai mit viel dichterischer Freiheit zu einer Persönlichkeit von düsterer Größe.

Verfasser: Gregor Brand

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