Hannah Ludwig aus Traben-Trarbach – Deutsche und europäische Meisterin im Radfahren

So berühmt wie die Mosel unter Weinliebhabern, so bekannt ist der in den Pyrenäen gelegene 2 115 Meter hohe Straßenpass Col du Tourmalet unter Radsportlern. Er zählt zu den legendären Etappenzielen der Tour de France. Auch bei der Tour de France der Frauen 2023 stand der als härtester Aufstieg der Tour gefürchtete Pass auf dem Plan. Auf dieser Königsetappe gelang es der Moselanerin Hannah Ludwig, sich beim nebelverhangenen Aufstieg in der Spitzengruppe zu behaupten. Im Ergebnis wurde es Rang 13 – ein grandioser Erfolg für die erst 23-jährige Athletin. Er ist besonders hoch einzuschätzen, da sie noch wenige Monate zuvor krankheitsbedingt und wegen einer Gehirnerschütterung kaum trainieren konnte. Die Tour-Leistung 2023 gehört zu den Glanzpunkten der eindrucksvollen Radsportkarriere, auf die die junge Sportlerin bereits zurückblicken kann. Ein Jahr zuvor hatte sie erstmals an einer Tour de France teilgenommen – über das Sportliche hinaus eine unvergessliche Erfahrung. Als Mitglied der jungen norwegischen Profimannschaft Uno-X bewältigte sie ihre Debüt-Tour mit dem höchst schwierigen Anstieg in den Vogesen (La Super Planche des Belles Filles) auf einem mittleren Platz.

Hannah Ludwig, geboren im Jahr 2000 in Heidelberg, wo ihre sportlich sehr aktiven Eltern Björn und Isabell damals studierten, kam im frühen Kindesalter nach Traben-Trarbach. Dort wuchs sie zusammen mit drei jüngeren Geschwistern auf. In der Doppelstadt führt ihr Vater, der seinerzeit deutscher Duathlon-Meister der Junioren war, als international renommierter Mediziner eine Kieferorthopädie-Praxis. Dass der berühmte Weinort Hannahs Heimat wurde, hängt auch mit familiärer Verwurzelung zusammen: Hannahs Großmutter Heide Pönnighaus amtierte zehn Jahre als Stadtbürgermeisterin von Traben-Trarbach und ist eine bekannte Persönlichkeit dieser Moselregion.

Hannahs allmählicher Einstieg in den Radsport begann als Fünftklässlerin am Traben-Trarbacher Gymnasium mit der Fairplay Tour. Ihr Vater, mit dem sie damals in dessen Freizeit viele Strecken zurücklegte, ist bis heute ihr wichtigster Trainer und Berater. Ihr erster Radsportverein, in dem die Basis für die weitere Karriere gelegt wurde, wurde der RSC Stahlross Wittlich. Schon nach kurzer Zeit stellten sich erstaunliche Erfolge ein. Bei ihrem ersten offiziellen Rennen, den Rheinland-Pfalz-Meisterschaften, wurde sie mit 13 Jahren auf Anhieb Dritte in ihrer Altersklasse.  Bei den deutschen U15-Meisterschaften im Straßenrennen gewann sie 2014 die Silbermedaille. Im folgenden Jahr startete sie im U17-Bereich und wurde Deutsche Meisterin auf der Straße, 2016 auch im Einzelzeitfahren. Mit 17 Jahren nahm die Moselanerin erstmals an internationalen Wettbewerben teil. Mit Aufsehen erregendem Erfolg: Bei den Europameisterschaften 2017 wurde sie Fünfte, bei den Weltmeisterschaften im Einzelzeitfahren verpasste sie als Vierte nur knapp einen Platz auf dem Siegerpodest. Zweimal gewann sie die deutsche U19-Juniorinnen-Gesamtwertung. Hinter diesen überragenden Erfolgen stecken höchste Trainingsintensität und herausragende physische Leistungskraft. Faktoren wie taktische Lern- und Motivationsfähigkeit, intelligente Vorbereitung und nicht zuletzt Willensstärke kommen hinzu. Dabei gehört Hannah Ludwig durchaus nicht zu den Menschen, die mit unerschütterlichem Selbstbewusstsein durchs Leben gehen. Wie sie freimütig zugibt, gibt es gelegentlich auch Phasen des Selbstzweifels. Dann muss sie sich wieder das Selbstvertrauen erarbeiten, das sie als eine der besten deutschen Radsportlerinnen braucht.

Diese Eigenschaften trugen im Corona-Jahr 2021 dazu bei, die Nominierung für die Olympischen Spiele in Japan zu erreichen. Im Frühjahr hatte es aufgrund von Erkrankungen noch nicht danach ausgesehen, aber nach der Bronzemedaille im Einzelzeitfahren und einem 5. Platz im Straßenrennen wollte Bundestrainer Korff nicht auf sie verzichten. Dank Ludwigs vorbildlicher Teamarbeit erreichte die Bahnvierer-Olympiasiegerin Lisa Brennauer im Straßen­rennen auf dem Fuji Speedway am Fuß des mythenumwobenen Bergs eine hervorragende Platzierung. „Hannah Ludwig ist trainingsfleißig, opfert sich für andere und ist glücklich, wenn das Team gewinnt“, schrieb der Journalist Holger Teusch, der ihre Karriere seit Jahren aufmerksam verfolgt.

Trotz aller mit dem Profisport verbundenen Einschränkungen versucht Hannah Ludwig, die derzeit mit ihrem Freund in Paderborn lebt, sich Freiräume zu erhalten. Eine vollständig durchreglementierte Lebensweise wäre mit der ihr eigenen Ungeduld auch kaum vereinbar. Sie unterwirft sich keiner strikten Sportlerdiät, sondern zieht eine vegetarische Ernährungsweise mit einem Fokus auf regional erzeugten Bio-Lebensmitteln vor. Bei all dem bleibt sie Verbesserungsvorschlägen seitens ihrer Teamchefs oder anderer Experten gegenüber aufgeschlossen. Mit dieser persönlichen Mischung von Fähigkeiten und Eigenschaften wird sie sicher auch in Zukunft sehr gut fahren.

 

Verfasser: Gregor Brand

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