Graf Dietrich IV.

Das altadlige Eifler Geschlecht der Grafen von Manderscheid sei ausgestorben, kann man öfters hören, wenn von der Geschichte der Eifel die Rede ist. Eine gräfliche Familie, die sich „von Manderscheid“ nennen darf, gibt es in der Tat schon lange nicht mehr. Geht es allerdings um die biologischen Nachkommen der Manderscheider Grafen, so sieht die Sache anders aus. Dies zeigt gerade das Beispiel des Grafen Dietrich IV. von Manderscheid-Schleiden, der Tausende von heute lebenden Nachfahren hat. Darunter findet man nicht nur die Könige von Spanien, Schweden oder Belgien sowie den britischen Thronfolger Charles, sondern große Teile des europäischen Hochadels überhaupt. Viele Bürgerliche, vom britischen Premier Cameron bis zu zahlreichen Eiflern, verbindet mit dem letzten deutschen Kaiser Wilhelm II. die Abstammung von diesem Eifler Grafen. Dieses erstaunliche genealogische Erbe liegt nicht daran, dass Dietrich IV. selbst viele Kinder gehabt hätte. Aus seiner ersten Ehe mit der Witwe Margarethe von Sombreff, der Herrin von Kerpen, sind nur die Söhne Dietrich und Franz bekannt, die zweite Ehe mit der gleichfalls verwitweten Elisabeth von Neufchateau blieb kinderlos. Zwar hatte Graf Dietrich IV. standestypisch auch noch „natürliche“ Kinder von Geliebten, aber zum großen Ahnherrn wurde er vor allem durch die vielen Sprösslinge seines Sohnes Dietrich V.

Der 1481 vermutlich in Schleiden geborene Graf Dietrich IV. trat 1501 seine Herrschaft über Manderscheid-Schleiden und weitere Eifelgebiete an und gab sie für ein halbes Jahrhundert nicht mehr ab. Die Manderscheider hatten das wegen seiner Eisenproduktion wichtige Schleiden nicht kriegerisch gewonnen, sondern es war ihnen durch Heirat und Erbfolge zugefallen. Die Schleidener Eisenindustrie erlebte unter Dietrich IV. eine Blütezeit. Zudem machten zwei seiner Untertanen den Namen der Herrschaft zu einem Begriff, der Europas geistiger Elite vertraut wurde: Die Schleidener Bürgersöhne Sturmius und Sleidanus zählen zu den großen Gelehrten des 16. Jahrhunderts. Graf Dietrich schätzte und förderte sie. Seinen Sohn Franz ließ er vom jungen Sleidanus unterrichten.

Das war schon deswegen nicht selbstverständlich, weil sich Sleidanus der neuen protestantischen Konfession angeschlossen hatte und religiöse Mäßigung nicht zu den Kennzeichen jener Zeit gehörte. Durch das Auftreten Luthers und die Kirchenspaltung hatten sich  auch innerhalb vieler Adelsfamilien konfliktreiche Risse aufgetan. Hermann von Wied, Vetter von Dietrichs Mutter und Kurfürst von Köln, neigte ebenso der neuen evangelischen Richtung zu wie manche Angehörige der Manderscheider Grafenfamilie. Dietrich IV. selbst ließ sich zu keinem Fanatismus hinreißen. Im Gegenteil: Reichsweit war er für seine stets um Ausgleich und Konfliktvermeidung bemühte Haltung bekannt und als von beiden Seiten akzeptierter Vermittler gefragt, so etwa auf dem Reichstag zu Regensburg 1541. Manchen Papstanhängern trat er allerdings nicht aggressiv genug gegen die Protestanten auf und immer wieder wurde geargwöhnt, er sei mehr oder minder heimlich Anhänger Luthers oder Calvins. Öffentlich sagte sich der Eifler Graf allerdings zu keiner Zeit von Rom los und viele seiner Maßnahmen deuten darauf hin, dass seine Treue zum alten Glauben nicht bloß Schein war. Manche Eifler Kirchenbauten gehen auf seine Initiative zurück, so vor allem der Neubau der Schleidener Pfarrkirche St. Philippus und Jakobus mit ihren berühmten Glasfenstern. Dietrichs kaum zu überschätzende Leistung liegt darin, dass es ihm gelang, die auch in seinem Herrschaftsbereich durchaus vorhandenen religiösen Spannungen ohne die damals oft übliche Gewalttätigkeit zu kontrollieren. Nicht zuletzt dieses besonnene Vorgehen brachte ihm den verdienten Beinamen „Dietrich der Weise“ ein, der zudem auch Dietrichs vielfältiges Wissen widerspiegelt. Bei all dem war seine Toleranz nicht grenzenlos. So finden wir bei ihm den Rat an den Sohn Dietrich, dessen protestantische Überzeugungen ihm bekannt waren, gegen die als besonders radikal empfundenen Wiedertäufer vorzugehen.

Als Graf Dietrich IV. 1551 starb, wurde er unter großen Feierlichkeiten auf traditionell katholische Weise bestattet. Mit der Übernahme der Herrschaft durch Dietrich V. endete eine Zeit, die bisweilen durch ihre ökonomisch-kulturelle Aufwärtsentwicklung als „Glanzpunkt in der Geschichte des Eifellandes“ (N. Reinartz) angesehen wird.

Verfasser: Gregor Brand

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