Friedrich Joseph Haas

Wer ist die sympathischste Persönlichkeit der deutschen Geschichte? Würde man den Bürgern Moskaus diese Frage stellen, so würden viele einen Eifler nennen: Friedrich Joseph Haas. Der 1780 geborene „heilige Arzt von Moskau“ ist in Russland auch über 150 Jahre nach seinem Tod unvergessen. Große russische Autoren von Dostojewski bis Solschenizyn und Kopelew haben sich mit seiner Biographie ebenso beschäftigt wie zahlreiche weniger bekannte Forscher, die den Spuren seines Wirkens nachgehen.

Das Leben von Friedrich Joseph Haas (auch Haass, Haaß usw.) begann im Schoß einer kinderreichen katholischen Familie in Münstereifel. Aus der Ehe der 23-jährigen Witwe Catharina Josepha Brewer mit dem zehn Jahre älteren aus Köln stammenden Apotheker Peter Haas erreichten fünf Jungen und drei Mädchen das Erwachsenenalter; hinzu kam ein Sohn aus der ersten Ehe der Mutter. Beide elterlichen Familien gehörten der bildungsbürgerlichen Elite an. Der väterliche Großvater war Chirurg, der mütterliche Gerichtsschreiber; in den Seitenlinien finden sich Ärzte, Geistliche und Juristen. So war es letztlich nicht ungewöhnlich, dass der Apothekersohn nach dem Gymnasium in Münstereifel und weiterer Ausbildung in Köln und Jena schließlich an der Universität Göttingen Doktor der Medizin wurde, immer unterstützt von seinem gleichnamigen Onkel und Paten Professor Dr. med. Friedrich Joseph Haas (1754–1827). Bald darauf überredeten hohe russische Adlige, die der junge Arzt erfolgreich behandelt hatte, den Eifler, ihnen als Leibarzt nach Moskau zu folgen. Dort setzte sich sein Erfolg fort: Schon 1807 wurde Dr. Haas Chefarzt des Pauls-Krankenhauses, zusätzlich betrieb der Deutsche, dessen Spezialgebiet die Augenheilkunde war, eine erfolgreiche Privatpraxis. Rund zwei Jahrzehnte nach seiner Übersiedlung ins Zarenreich wurde der weithin bekannte Mediziner Chefarzt aller Moskauer Gefängnisspitäler. Die brutale Behandlung der zahlreichen Sträflinge hatte Haas schon lange als menschenunwürdig empfunden. Auf sein Eintreten hin wurden nun unter anderem die schweren Eisenketten für Schwache und Invalide abgeschafft und für die anderen Gefangenen im Gewicht halbiert – ungeheure Erleichterungen vor allem für die Häftlinge, die mit solchen Ketten und an Eisenstäben gefesselt nach Sibirien geschickt wurden.

Haas setzte sich nicht weniger energisch für rechtliche Verbesserungen und für eine angemessenere  Betreuung der zahlreichen Kindersträflinge ein. Dabei blieb die medizinische Versorgung der Riesenschar seiner Patienten die Hauptaufgabe. Privat behandelte er Arme kostenlos, während er die hohen Honorare seiner adligen Patienten bis zum letzten Heller zur Linderung der Not anderer verwendete. In allen Kreisen sprach sich sein aufopferndes Wirken und sein Drängen auf einen humaneren Strafvollzug herum, aber allein hätte es ihm noch nicht seinen heiligmäßigen Ruf eingebracht, wenn nicht die besondere Ausstrahlung seiner Persönlichkeit hinzugekommen wäre.

Selbst den höchsten Adligen gegenüber trat der große, breitschultrige Eifler nie unterwürfig auf, den einfachen Leuten dagegen stets ohne jede Überheblichkeit und verständnisvoll. Solches Verhalten war im damaligen Zarenreich, in dem noch die Leibeigenschaft existierte, ebenso ungewöhnlich wie seine bisweilen belächelte sittsame Lebensführung, die weder auf Vergnügungen noch auf Reichtum Wert legte. Wie im 20. Jahrhundert beim Arzt und Nobelpreisträger Albert Schweitzer, so ging auch bei Haas Herzensgüte mit einem scharfen Verstand einher. Die Werke des heiligen Theologen Franz von Sales und den Philosophen F. W. J. Schelling schätzte er besonders und an seinem herausragenden medizinischen Wissen bestand ohnehin kein Zweifel. Haas entdeckte und beschrieb die heilkräftigen Mineralquellen im Kaukasus – auch daran erinnert man sich in Russland bis heute gern und gut.

In Münstereifel wird die Erinnerung an den großen Sohn vielfältig gepflegt. Von überregionaler Bedeutung ist das anhaltende wissenschaftliche Interesse, wie es etwa in einer jüngst von K. Pfeifer vorgelegten Doktorarbeit deutlich wird. In ganz besonderer Weise gilt dies auch von dem 1998 eröffneten Verfahren zur Seligsprechung von Haas. Unabhängig von dessen Ausgang kann man sicher annehmen, dass die meisten jener 20 000 Menschen aller Schichten, die im August 1853 in Moskau Friedrich Joseph Haas die letzte Ehre erwiesen, sich bewusst waren, dass ein heiligmäßiges Leben zu Ende gegangen war.

Verfasser: Gregor Brand

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