Ernst J. Fischer aus Wittlich

Mit dem Eifler Nobelpreisträger Emil Fischer ist der Arzt Dr. Ernst J. Fischer nicht verwandt, aber wie der berühmte Chemiker wuchs auch der Wittlicher Mediziner als einziger Sohn inmitten einer munteren Schar von Schwestern auf. Bei Ernst Fischer waren es genau sechs: drei ältere und drei jüngere. Auch wenn sein Jungenwunsch nach zusätzlichen sechs Brüdern nicht in Erfüllung ging, so hat der im Oktober 1919 geborene Sohn des unvergessenen Verlegers Georg Fischer und dessen aus alteingesessener Reiler Familie stammender Frau Johanna Schuhr seine Eifler Kinderjahre in schönster Erinnerung. Die unruhigen Notjahre nach dem Ersten Weltkrieg mit Hyperinflation, französischer Besatzung und schließlich Weltwirtschaftskrise waren allerdings im Bewusstsein des Kindes naturgemäß weniger präsent als Spiele und Streiche an der Lieser oder Papierschlachten im Keller der väterlichen Buchbinderei. Glücklich hob sich jene Zeit gegen die Jahre im Jesuiteninternat des Aloisius Kollegs in Bad Godesberg ab, wohin die bildungsbeflissenen Eltern den Zehnjährigen geschickt hatten. Obwohl im Ruf einer Eliteschule stehend, erinnert sich Ernst Fischer noch viele Jahrzehnte später in erster Linie an die unmenschliche Strenge und seinen Freiheitsverlust. Das phantasiereiche und vielseitig interessierte Eifelkind reagierte darauf mit Trotz und Verweigerung. Aus Sorge um die Gesundheit des blass gewordenen Jungen ließ ihn der Vater wieder in Wittlich zur Schule gehen, ehe er seine gymnasiale Ausbildung in Bad Honnef abschließen konnte. Nur wenige Wochen nach dem Abitur musste Fischer 1939 in den Reichsarbeitsdienst einrücken. Während dieser Monate wurde ihm klar, dass er trotz der Enttäuschung des Vaters über die ausbleibende Nachfolge im Verlag unbedingt Arzt werden wollte.

Ernst Fischer begann sein Medizinstudium in Marburg im Herbst 1939. Kurz zuvor war das eingetreten, was sein Vater lange prophezeit hatte: Hitler hatte Deutschland in den Krieg geführt. Bald erhielt der Medizinstudent den Einberufungsbefehl. Strengstem Drill folgte der Einsatz als Kradmelder auf dem Balkan. Nach extremen Belastungen brach Fischers Mittelfußknochen. Im Nachhinein erwies sich das schmerzliche Unglück als lebensrettend. Ernst Fischers ganze Kompanie und Division ging – wie er selbst sagt – im „Wahnsinn dieses Krieges“ vor Stalingrad zugrunde, seine Freunde wurden – „belogen, betrogen um ihre Jugend“ – ausgelöscht. Fischer durfte nun wieder studieren, zuerst in Greifswald, dann 1943 am Wunschort Würzburg.

In den Semesterferien erlebte er helfend das Elend der Feldlazarette an der Ostfront. Heirat 1944 mit Irmingard Büssem, Notexamen, Zerstörung Würzburgs 1945 im Bombeninferno, amerikanische Kriegsgefangenschaft. Erst ab Herbst 1945 begann das zivile Leben – und sogleich mit einem glücklichen Höhepunkt: der Geburt des Sohnes Reinhold; später folgten drei geliebte Töchter. Die kargen Nachkriegsverhältnisse prägten die Arbeit des jungen Arztes ebenso wie sein privates Leben. Bereits 1946 wurde dem damals 26-Jährigen vom Dekan der Würzburger Universität die Leitung einer Zweigklinik (Burg Rieneck) anvertraut. Bald verlagerte sich der Schwerpunkt seiner Tätigkeit nach Essen, wo er nicht nur in Kliniken praktizierend, sondern bis tief in die Nächte hinein wissenschaftlich tätig war. 1961 wurde der Eifler für fast ein Vierteljahrhundert Chefarzt in Geldern, wo er Gelegenheit fand, den Aufbau eines neuen Klinikums mitzugestalten, seinen Jugendtraum zu realisieren, und wo er insbesondere in der Therapie des Herzinfarkts Pionierarbeit leistete. Seine Publikationen in Fachzeitschriften führten zu Kongress-Einladungen und Vorträgen in vielen Teilen der Welt: Budapest, Moskau, Japan, Amerika … Es waren „Jahre eines fast pausenlosen Schaffens bis an die Grenzen“, wie Ernst Fischer überzeugend in seinen Lebenserinnerungen berichtet.

Die unglaubliche Leistungskraft des Wittlichers bleibt auch nach der Pensionierung erkennbar. Zahlreiche oft abenteuerliche Reisen und der Wille, dem Rat des lebensklugen Vaters Georg gerecht zu werden: „Schule deinen Geist!“, machten aus dem Mediziner einen Kenner der vorkolumbianischen Kulturen Südamerikas. Seine gefragten Sammlungen bringt er in sehenswerten Ausstellungen einem interessierten Publikum nahe. Fischers vielseitige Interessen gingen aber immer schon über Medizin und Kunst hinaus. Manche Politiker, Journalisten und andere „Autoritäten“ mussten erfahren, dass der selbstbewusste Wittlicher das Wort vom „mündigen Bürger“, wo immer es ihm nötig scheint, offensiv umsetzt. Trotz des scharfen Blicks auf alle Unzulänglichkeiten überwiegt bei Ernst J. Fischer letztlich vor allem bei den Gedanken an die elterliche und die eigene Familie das Gefühl großer Dankbarkeit dem Leben gegenüber.

Verfasser: Gregor Brand

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