Oktober 1942: Eigentlich sollte die Geburt eines Kindes Freude auslösen, auch bei der Geburtshelferin. Doch nach der Geburt von Fritz, dem vierten Kind der Familie Richarts, geriet diese arg aus der Fassung: Ein weiteres Kind war unterwegs. Dem war die Vorschrift, nach der bei Mehrlingsgeburten immer ein Arzt zugegen sein müsse und deren Nichtbeachtung der Hebamme Probleme bereitete, ziemlich egal. Es wollte einfach nicht auf das Eintreffen des Mediziners warten. Also machte sie sich wieder an die Arbeit und verhalf innerhalb einer Viertelstunde Erhard an das Licht dieser Welt.
Ihre Kindheit verbrachten die Zwillinge auf dem Bauernhof der Eltern im Kreis von weiteren vier Geschwistern. Als erstes bewusstes Erlebnis prägte sich ihnen noch der Krieg beim Vorrücken der Westfront über Schwarzenborn im Februar 1945 ein. Wie für alle Kinder dieser Zeit waren die Jahre danach nicht üppig, doch war die Ernährung mit hofeigenen Produkten gesichert.
Ab Herbst 1948 besuchten sie die Volksschule in Eisenschmitt und ab Frühjahr 1953 das Cusanus-Gymnasium in Wittlich. Die Schulwege waren durchaus sportlich: Der Fußpfad nach Eisenschmitt steil und steinig, für den Postbus nach Wittlich hieß es morgens sehr früh aufzustehen. Nach neunzehn Jahren im Elternhaus und dem Abitur am Fettdonnerstag 1962 in Wittlich teilte sich der gemeinsame Lebensweg in getrennte berufliche Bahnen:
Bei der Musterung zum Wehrdienst zog Fritz den Kürzeren (Ja, so war das damals: Es wurden tatsächlich Streichhölzchen gezogen). Er trat am 2. April den 18-monatigen Wehrdienst an, der Ende September 1963 endete. Anschließend nahm er sein Studium an der RWTH Aachen auf. Nach dem Abschluss als diplomierter Maschinenbauingenieur machte er sich 1968 auf, in der Industrie sein Glück zu suchen. Er fand es in mehreren Anstellungen als Konstrukteur, Entwicklungsingenieur, und – für die damalige Zeit weit vorausschauend – auch als Energie- und Umwelt-Ingenieur. Während dieser ersten prägenden Zeit der Berufstätigkeit leistete er mehrere Wehrübungen ab und beendete 1976 den Wehrdienst im Rang eines Oberleutnants der Reserve.
Die praktische Tätigkeit im Tagesgeschäft wurde in dieser Zeit abgerundet durch theoretische Arbeiten über zukünftige Entwicklungen von Gasturbinen für die Kraftwerkstechnik, die mit einer Dissertation an der Universität Essen abgeschlossen wurden.
Seine Zeit in der Industrie beendete Fritz im Jahre 1991 als Geschäftsführer eines Ingenieur-Unternehmens, das sich in den Jahren zuvor unter seiner Leitung zu einem Wegbereiter neuer technischer Lösungen und Verfahren in der Energietechnik entwickelt hatte. Im Sommersemester 1991 begann er seine Arbeit als Professor für Energietechnik an der damaligen Fachhochschule Giessen-Friedberg (heute Technische Hochschule Mittelhessen THM). Fortan widmete er sich konsequent der Wissensvermittlung und der Ausbildung von zukünftigen Ingenieuren der Energie- und Wärmetechnik. Getrieben von einem starken Drang nach Anwendung und Aktualisierung des Wissens nahm er ständig Kontakt zu Unternehmen auf, in denen seine Studierenden ihre Projekt- und Diplomarbeiten – von ihm betreut und begleitet – ausführten. In der Fachwelt festigte Fritz Richarts seinen Ruf als Energietechnik-Experte durch mehr als 300 Veröffentlichungen und Vorträge. In der Industrie trug er über zehn Jahre die Verantwortung als Vorsitzender des Aufsichtsrates eines erfolgreichen Unternehmens der Metallbearbeitung. Seine berufliche Laufbahn als hauptamtlicher Professor endete mit dem Wintersemester 07/08 am 29.2.2008.
Ungeachtet dieser Zäsur ist Fritz Richarts weiterhin sowohl in die Wissensvermittlung an zukünftige Ingenieure als auch in die Anwendung in der Praxis engagiert. Seit über drei Jahren führt er als Lehrbeauftragter an der THM Seminare in den Fachgebieten Energiewirtschaft, Kraftwerkstechnik und Fernwärmeversorgung durch. Gleichfalls setzt er sein Engagement in die Umsetzung von neuen Verfahren der Energiegewinnung und Nutzung im Rahmen von einschlägigen Projekten fort. Seine Verdienste um die Fortentwicklung der Energietechnik wurden im Jahre 2010 gewürdigt mit der Verleihung des Energy Award 2010 in der Kategorie Kraftwärmekopplung durch die Reeco und die Zeitschrift Joule, einem Fachmagazin für Erneuerbare Energien, am 8.10.2010 im Goldenen Saal der Stadt Augsburg.
Ebenfalls von April 1962 bis September 1963 leistete Erhard sein 18-monatiges Praktikum ab, das Voraussetzung für das Studium der Landwirtschaft war, das er in Bonn und Göttingen absolvierte und 1967 als Diplomlandwirt abschloss. Nach kurzen Tätigkeiten am Bonner Institut für Agrarpolitik und Marktlehre und beim Deutschen Raiffeisenverband trat er 1970 er in die Dienste der Zentrale Markt- und Preisberichtstelle (ZMP) in Bonn als Berichterstatter für tierische Erzeugnisse mit Schwerpunkt Milchmarkt. Dieser war traditionell der am stärksten von staatlichem Handeln gekennzeichnete Bereich, auch in der damaligen EWG. Die verschlungenen Pfade der europäischen Milchpolitik einerseits und die Entwicklung des Milchsektors von einer schmalen Produktpalette zu einem bunten Sortiment, aber auch zunehmend heftigen Preisschwankungen hat Erhard seit dieser Zeit beobachtet und beschrieben. Der Wandel in der Agrarwirtschaft ließ das Bedürfnis nach Marktinformationen stetig wachsen. Entsprechend wurde in der ZMP die Berichterstattung über die Milchwirtschaft als eigenständige Abteilung eingerichtet. Unter Erhards Leitung hat sie die aus Markt und Politk sich ergebenden Trends und Tendenzen in regelmäßig erscheinenden Veröffentlichungen der ZMP, weiteren Medien des In- und Auslands, in vielen Marktanalysen und zahlreichen Vorträgen in Deutschland und Europa dargestellt. Auch von der Agrarwirtschaft der neuen Bundesländer wurden seine Veröffentlichungen als äußerst hilfreiche Beiträge zur Neuorientierung aufgenommen. Mit großem Interesse wurden seine jährlich beim ZMP- Milchforum in Berlin vorgetragenen Prognosen, die wohlbedacht nahe an den Schluss der Veranstaltung gelegt waren, aufgenommen. Denn schon in den achtziger Jahren hatte er eine spezielle Methodik zur Früherkennung von Preisschwankungen entwickelt, die zum Erstaunen der Fachwelt recht häufig ins Schwarze traf.
Zahlreiche Artikel und Analysen, die auch außerhalb des deutschsprachigen Raums erschienen, machten ihn auch in europäischen Gremien zum gefragten Berichterstatter bei Sitzungen, Verbandstagen und Kongressen in Brüssel und anderen europäischen Hauptstädten. Jahrelang erstellte er einen Bericht zur Lage der Weltmilchwirtschaft (World Dairy Situation), den er regelmäßig an den verschiedensten Plätzen rund um den Globus bei den Konferenzen des Internationalen Milchwirtschaftsverbandes (IDF) präsentierte und der als Flaggschiff der Veröffentlichungen dieses Verbandes gilt.
Seine aktive Zeit bei der ZMP endete 2007. Danach übernahm er ehrenamtlich den Vorsitz des ife Informations- und Forschungszentrums für Ernährungswirtschaft e.V., Kiel, das als wissenschaftliche Einrichtung praxisnahe Forschungs-, Schulungs- und Beratungstätigkeit betreibt.
Die Zwillinge sind stets der Eifel verbunden geblieben. Beide leben seit vielen Jahren mit ihren Familien mit der Eifel in Sichtverbindung. Fritz sieht von seinem Wohnsitz in Breinig, einem Ortsteil von Stolberg, auf den Langschoss bei Lammersorf, mit knapp 600 Metern die höchste Erhebung in der Nordeifel. Erhard lebt seit vielen Jahren mit seiner Frau Brigitte, mit der er drei Kinder und bislang vier Enkel hat, auf der rechten Rheinseite in Rheinbreitbach, ebenfalls mit Blick auf die andere, die Eifelseite.