Christian Urhan

Als im Februar 1790 der Tuchmacherfamilie von Paul Urhan und dessen Ehefrau Katharina (geb. Weber) der Sohn Christian geboren wurde, befand sich die Welt Europas im welthistorischen Umbruch. Im Jahr zuvor hatte in Frankreich die Revolution begonnen, ein Jahr später wurde der französische König Ludwig XVI. geköpft. Nicht lange danach erreichten französische Revolutionstruppen auch Monschau; die blühende Tuchmacherstadt wurde wie die übrige Eifel 1794 Teil Frankreichs. Während etliche Eifler Bauern sich noch jahrelang gegen die oft als antichristlich empfundene französische Herrschaft auflehnten, verhalf das neue Regime dem Handwerkersohn aus Monschau zu unerwartetem Glück. Bereits als Kind war seine außerordentliche Musikalität aufgefallen und er hatte mit Unterstützung der Fabrikantenfamilie Scheibler seine erste Ausbildung im Geigenspielen erhalten. Bald schon konnte der junge Violinist an Konzerten mitwirken – und bei einem dieser Auftritte in Aachen hörte ihn im Jahr 1804 Joséphine, die Gattin Napoleons, die dort zur Kur weilte. Sie ermöglichte dem jungen Eifler, seine musikalische Ausbildung in Paris fortzusetzen. Christian Urhan erfüllte die in ihn gesetzten Hoffnungen in höchstem Maße. Am Pariser Konservatorium wurde er Meisterschüler einiger der größten Musiklehrer seiner Zeit und brachte es auf mehreren Instrumenten zu bewunderter Brillanz. 1814 wurde er Violinist im Orchester der großen Oper in Paris, neun Jahre später erhielt er dort die Stelle als Erster Geiger – eine famose Leistung angesichts der enormen Konkurrenz an großartigen Musikern in der Musikmetropole Paris. Seit Ende der 1820er Jahre war Urhan zudem Organist an der Kirche Saint Vincent de Paul und trat sowohl bei den Konzerten des Pariser Konservatoriums als auch der Oper als Sologeiger auf.

Zu diesem Zeitpunkt war der Eifler schon längst weniger als „Christian“, sondern eher als Franzose Chrétien Urhan bekannt. Als 1815 die französische Herrschaft in der Eifel endete und die Region nun zum preußischen Grenzland wurde, brach der Kontakt des Musikers in seine Monschauer Heimat aus noch nicht genau erforschten Gründen ab. Überhaupt war Urhan in vielerlei Hinsicht ein rätselhafter Mensch, dessen Persönlichkeit von seinen Zeitgenossen als geheimnisvoll-mysteriös betrachtet wurde. Verstärkt wurde dieser Eindruck noch durch seine Meisterschaft im Spiel mit der Viola d‘amour. Dieses historische Instrument, dessen Beherrschung als sehr schwer gilt, erzeugte unter den Meisterhänden des Monschauers bewegende sanft-schwermütige Klänge, die Zuhörer immer wieder an Töne wie aus einer anderen, geistigen, engelhaften Welt denken ließen. Zu diesem gleichsam spirituellen Klang passte der tiefe katholische Glaube des 1845 verstorbenen asketischen Eiflers, den nicht wenige für einen Mystiker hielten. Während andere Geigenvirtuosen in Paris die Verehrung ihrer zahlreichen weiblichen Fans zu genießen wussten, schützte sich Urhan bei den Ballett-Aufführungen der Pariser Oper mit stets gesenktem Blick vor dem verführerischen Anblick der Damen auf der Bühne. Der Musikwissenschaftler J.-M. Warszawski sieht in Urhan eine Verkörperung des mystischen Künstlertypus, wie er für das Mittelalter kennzeichnend gewesen sei – eine Charakterisierung, die an Urhans Eifler Landsmann, den neugotischen Bildhauer Elscheidt, denken lässt.

Dass Urhan als Sonderling galt, stand seiner Anerkennung als meisterhafter Virtuose und Komponist in keiner Weise entgegen und hinderte ihn auch nicht am freundschaftlichen Umgang mit einigen der bedeutendsten Musiker seiner Zeit. Der junge Liszt war mit Urhan eng befreundet und trat mit ihm zusammen auf. Auch Berlioz schätzte den Eifler, der sich uneigennützig für das Werk Anderer einsetzte und als derjenige gilt, der die Musik Schuberts in Frankreich bekannt machte. Der gefeierte Komponist Meyerbeer komponierte die Viola d’amour-Partie in seiner Oper „Die Hugenotten“ eigens für Urhan, und C.-V. Alkan – damals in Paris so berühmt wie Chopin oder Liszt – widmete dem Eifler eine seiner Meisterkompositionen. Das Werk Alkans, dessen jüdische Religiösität nicht weniger ausgeprägt war als die katholische von Urhan, und dessen Persönlichkeit teilweise verblüffend ähnlich beschrieben wird, hat in jüngerer Zeit eine erstaunliche Wiedergeburt erlebt. Es wäre schön, wenn es dem großen Musiker aus Monschau ebenso erginge.

Verfasser: Gregor Brand
 

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