Adolf Müller

Reichskanzler Brüning hielt ihn für den „Klügsten unserer Diplomaten“ und für den besten Kenner der französischen Politik. Der Wittlicher Kaufmannssohn Adolf Müller (1863–1943) wurde von den Reichskanzlern und Reichspräsidenten der Weimarer Republik aufs Höchste geschätzt, egal zu welcher politischen Richtung sie zählten. Müller war mit dem Sozialdemokraten Ebert ebenso freundschaftlich verbunden wie mit dem konservativen Generalfeldmarschall von Hindenburg. Ein erstaunlicher Umstand, denn der Eifler war keineswegs parteipolitisch neutral, sondern vielmehr ein bekannter und bekennender Sozialdemokrat, der sich vielfältig für seine Partei eingesetzt hatte. Als Dreißigjähriger war Müller 1893 Journalist bei der „Münchener Post“ geworden, dem Organ der Münchener Sozialdemokraten. 1896 übernahm er die Leitung dieses weithin beachteten Blattes und behielt sie bis 1919. In dieser Zeit verdreifachte sich die Auflage auf ca. 30 000 und gerade Müllers Artikel erregten durch ihre sprachlich brillante Kritik an sozialer Ungerechtigkeit, Militarismus und Imperialismus besondere Aufmerksamkeit. Der Wittlicher war ein begeisterter Journalist, der auch für weitere Zeitungen schrieb und zudem 1908 ein eigenes sozialdemokratisches Nachrichtenbüro gründete. Aber das Schreiben allein genügte ihm nicht. Für die SPD wurde er in den bayerischen Landtag gewählt; zeitweise war er in Bayern stellvertretender Partei- und Fraktionsvorsitzender.

Im Ersten Weltkrieg zeigte sich dann eine weitere Seite des zurückhaltenden und nur körperlich kleinen Mannes. Müller und die von ihm geführte „Münchener Post“ unterstützten die Kriegspolitik des deutschen Reiches, was Müller persönlich die Feindschaft radikaler Linker wie die seines Redakteurs und späteren Ministerpräsidenten Kurt Eisner eintrug. Die ihm vollkommen vertrauende Reichsregierung beauftragte den weltgewandten Eifler, der einen Verständigungsfrieden ohne Sieger und Besiegte wollte, mit geheimen diplomatischen Missionen im Ausland. Müller gelang es, ein internationales Agentennetz zugunsten Deutschlands aufzubauen und wertvolle Informationen nach Berlin zu liefern. Nach dem verlorenen Weltkrieg vertrauten die neuen Machthaber dem hochintelligenten Eifler nicht weniger als die alten. Müller wurde 1919 zum Gesandten in der Schweiz ernannt. Er war der erste deutsche Sozialdemokrat überhaupt im diplomatischen Dienst. Welche Reichsregierungen in der Weimarer Republik auch kamen und meist bald wieder gingen – Müller blieb im Amt, das allein schon deswegen besonders wichtig war, weil der Völkerbund seinen Sitz in Genf hatte. In seinen letzten Dienstjahren war Müller sogar als Kandidat für das Außenministeramt im Gespräch, was die von ihm stets bekämpften Nazis zu neuen gehässigen Angriffen veranlasste. Erst als Siebzigjähriger schied Adolf Müller aus dem Amt. Die neue Regierung unter Hitler ernannte den späteren SS-Ehrenführer Ernst von Weizsäcker, den Vater berühmter Söhne, zu seinem Nachfolger.

Was weder Hitler noch andere wussten: Adolf Müller war der Sohn einer jüdischen Wittlicher Familie. Erst in jüngerer Zeit hat Maria Wein-Mehs die jüdische Herkunft Müllers ans Licht gebracht. Danach war Müller, Sohn des Textilkaufmanns Jakob Müller und seiner aus Hechingen stammenden Frau Josephine Mayer, sowohl väterlicher- als auch mütterlicherseits jüdischer Herkunft. Müller-Verwandte lebten in etlichen Eifeldörfern, so etwa in Eisenschmitt und Landscheid. Irgendwann auf seinem Weg von der israelitischen Elementarschule in Wittlich über das Gymnasium in Trier bis zum Studium von Volkswirtschaft und Medizin in Straßburg und Berlin verlor Müller offenbar – zumindest nach außen – seine Identifikation mit dem Judentum. 1901 heiratete er eine Katholikin; von den vier Kindern wurde der Sohn Carl Müller-Jost angesehener Professor der Gynäkologie. Adolf Müller selbst trieb im Alter medizinhistorische Studien. Ob er tatsächlich, wie öfters zu lesen ist, Dr. med. war und in jungen Jahren als Schiffsarzt praktiziert hatte, ist nicht ganz sicher. Zum Teil liegt es an von Müller selbst verwischten Spuren, zum Teil daran, dass die Nazis den Ruheständler in der Schweiz berauben ließen. Dabei gingen wertvollste Dokumente verloren, darunter Müllers Korrespondenz mit herausragenden Politikern und Intellektuellen seiner Zeit. Vieles am Lebensweg dieses Mannes wird noch lange rätselhaft bleiben.

 
Verfasser: Gregor Brand
 

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