Interview: Faire Löhne – Faire Preise in der Friseurbranche

Wird der gesetzliche Mindestlohn die Spreu vom Weizen trennen?
Ein Interview mit Hans-Peter Stölben aus Daun

EAZ: Herr Stölben, Sie haben in der Vergangenheit als Dozent für Öffentliche Finanzwirtschaft in der Eifel-Zeitung eine Vielzahl von Beiträgen über den bundesstaatlichen Finanzausgleich, die staatliche und kommunale Haushaltswirtschaft sowie über die Kommunal- und Verwaltungsreform geschrieben. Heute wollen wir Sie mit einem ganz anderen aktuellen Thema konfrontieren: dem zum 1. Januar 2015 in Kraft getretenen gesetzlichen Mindestlohn.
Stölben: Und warum glauben Sie in mir zu diesem Thema den richtigen Gesprächspartner gefunden zu haben?EAZ: Ihre Ehefrau führt seit mehr als 40 Jahren einen für ländliche Verhältnisse relativ großen und bekannten Friseursalon mit vielen Beschäftigten. Wir gehen deshalb davon aus, das der Mindestlohn in dieser Branche eine überragende Rolle spielt, zumal der Friseurberuf immer wieder als das Negativbeispiel für Dumpinglöhne schlechthin dargestellt worden ist.
Stölben: Von daher gesehen haben Sie Recht, wenn Sie annehmen, dass ich mich nicht nur beruflich im Zusammenhang mit den öffentlichen Finanzen auch mit sozialen- und arbeitmarktrelevanten Themen auseinandergesetzt habe, sondern im Geschäft meiner Frau für alles Büromäßige und damit auch für das Thema Löhne zuständig bin.

EAZ: Jetzt raus mit der Sprache: Was halten Sie von der Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes?
Stölben: Ich kann mich natürlich nicht zu allen Aspekten des Pro und Contra hier äußern. Deshalb möchte ich meine Aussagen vornehmlich auf die Friseurbranche beschränken. Und da bin ich ein großer Befürworter des Mindestlohnes, der übrigens für Friseure erst ab 1. August 2015 gelten wird. Bis dahin beträgt der Mindestlohn hier acht Euro/Std.. Nicht einverstanden bin ich mit den bürokratischen Monstern in Begleitung des Gesetzes.

EAZ: Können Sie an einigen Punkten klarmachen, warum Sie die Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes begrüßen und wie sieht es damit im Salon ihrer Frau aus?
Stölben: Der Mindestlohn war und ist im Geschäft meiner Frau deshalb kein Thema, weil wir schon in der Vergangenheit darüber liegende Bruttolöhne gezahlt haben. Darüber hinaus erhalten unsere Friseusen ein anteiliges Werkzeuggeld, einen Tankgutschein, soweit sie außerhalb wohnen einen Fahrtkostenzuschuss sowie einen Jahresurlaub, der bei Mitarbeiterinnen mit mehrjähriger Beschäftigung eine Woche länger ist als der gesetzliche Mindesturlaub, ohne dass wir hierzu verpflichtet wären. Im übrigen darf ich erwähnen, dass im Salon meiner Frau nahezu 60 Lehrlinge ausgebildet worden sind, was als Folge hatte, dass in mehr als 40 Jahren noch niemals Geld für eine Stellenausschreibung ausgegeben werden musste. Meist konnte auf das eigene Reservoir zurückgegriffen werden. Die meisten Mitarbeiterinnen sind schon länger als 10 Jahre beschäftigt, eine Friseurin, in diesem Beruf völlig außergewöhnlich, schon 42 Jahre!

EAZ: Woher kommt dann der schlechte Ruf, der das Friseurhandwerk in den Medien immer wieder lohnmäßig an den Pranger stellt? Die Zahlung des Mindestlohnes sollte in der Branche
doch eine Selbstverständlichkeit sein?
Stölben: Leider ist dies nicht der Fall. Beispiele von Lohndumping mit Stundenlöhnen von unter vier Euro, wie z.B. in Thüringen sind bei uns sicherlich kein Thema. Tatsache bleibt trotzdem, dass die „Geiz-Ist-Geil“ Mentalität bei einem nicht geringen Teil der Kundschaft dazu geführt hat zu glauben, Friseurdienstleistungen müssten zum Schnäppchenpreis zu bekommen sein. Hier sollte jeder erkennen dass Niedrigpreise mit Niedriglöhnen einhergehen, die oft dazu geführt haben, dass Mitarbeiter zum Sozialamt mussten um Ihren Lohn auf Kosten der Allgemeinheit aufstocken zu lassen. Manche haben aus Scham jedoch auf diesen Weg auch verzichtet. Eine Vielzahl von Nicht-Discount-Salons, die schon immer gerechte Löhne gezahlt haben und deshalb etwas höhere Preise verlangt haben, hatten oftmals den Nachteil, dass Kunden ihnen den Rücken kehrten, nur um anderswo einige Euros zu sparen. Hier wird bei Anwendung des Mindestlohngesetzes die Schere sich ein ganzes Stück schließen.

EAZ: Können Sie diese Aussagen anhand eines Beispiels noch mehr konkretisieren?
Stölben: Gehen wir mal davon aus, ein Männerhaarschnitt trocken kostet 13 Euro. In der Branche geht man ohnehin von 30 Prozent Nichtauslastung aus. Somit unterstellen wir zwei Haarschnitte pro Stunde, was einen Bruttoumsatz von 26 Euro und einem Nettoumsatz von 20,85 Euro entspricht. Der gesunde Menschenverstand müsste spätestens hier sagen, das auf einer solchen Preisbasis weder ordentliche Löhne gezahlt werden können und darüber hinaus auch noch der Wareneinkauf sowie die ganze Palette von Gemeinkosten (Mieten, Pachten, Energiekosten wie Strom, Gas, Wasser, Versicherungen , Bürokosten, Zinsen, Beiträge, Steuern und vieles mehr) finanziert werden können. Bei uns sind gerade in den letzten Wochen verschiedene Handwerkerrechnungen eingegangen mit Lohnkosten zwischen 44,– bis 48,50 Euro/Std.. Die gesetzliche Mehrwertsteuer ist in diesen Stundenlöhnen nicht einmal enthalten. Ich gehe davon aus, das die entsprechenden Arbeitnehmer dieser Handwerksbetriebe zu Recht mit Stundenlöhnen hoffentlich weit über Mindestlohnniveau nach Hause gehen. Eine Kalkulation der Stundenlöhne auf einem solchen Niveau wird bei den Friseuren auch bei Löhnen über dem Mindestlohn nicht erreichbar sein. Davon darf man nur träumen. Anders z.B. in der Schweiz oder in Skandinavien, wo der Friseurberuf wie andere Berufe auch seine Anerkennung findet.

EAZ: Wie kann das Mindestlohngesetz durchgesetzt werden?
Stölben: Was die Durchsetzung des Mindestlohnes angeht, sollte sich niemand in Sicherheit wiegen, ihn manipulieren oder umgehen zu können. Zoll, Deutsche Rentenversicherung und Steuerverwaltung sind dabei durch Vernetzung Mittel und Wege zu finden alle Tricks und Versuche das Gesetz zu unterlaufen, auffliegen zu lassen. Diese Prüfinstanzen sind dabei gewaltig aufzurüsten. Ich persönlich halte von dem Vorhaben, die Zollverwaltung um 2.600 Mitarbeiter aufzustocken nicht allzu viel. Als wesentlich wirksamer dürften sich die alle vier Jahre wiederholenden Außenprüfungen durch die Deutsche Rentenversicherung und die entsprechenden Lohnsteuer-Außenprüfungen durch die Finanzverwaltung erweisen, die allerdings nicht in diesem Turnus durchgeführt werden. Bisher mussten diese Stellen jeden angegebenen Bruttolohn akzeptieren, weil z.B. im Bereich der Handwerkskammer Trier für Friseure kein Tarifvertrag existiert.

Das wird sich nun schlagartig ändern. Wenn sich bei einer solchen Prüfung herausstellt, dass anstelle eines monatlichen Mindestlohnes von 1.437,– Euro (bei einer 39-Stunden-Woche) lediglich 1.100,– Euro gezahlt werden, wird die Differenz von monatlich 345,– Euro vorenthaltenem Lohn gnadenlos für den ganzen Prüfzeitraum, was alle Zweige der Sozialversicherung sowie der Lohnsteuer pp. angeht, nacherhoben. Anders als bei vormaliger Rechtslage hat nun auch der Arbeitnehmer selbst Anspruch auf Nachzahlung des Mindestlohns, wenn ihm dieser vorenthalten worden ist. Die Verwirkung des Anspruchs schließt das Mindestlohngesetz ausdrücklich aus. Zudem werden saftige Bußgelder wegen Verstoßes gegen das Mindestlohngesetz fällig. Beim Bundesarbeitsministerium ist inzwischen eine Hotline geschaltet über die Arbeitnehmer das Verweigern des Mindestlohnes anzeigen können. Auch den Mindestlohn mit Tricksereien, wie die Arbeitszeit auf dem Papier zu verkürzen und trotzdem voll arbeiten zu lassen, werden die Prüfinstanzen festzustellen in der Lage sein. Hierbei wird insbesondere das Thema der Mini-Jobs ein Schwerpunkt solcher Überprüfungen sein.

EAZ: Zwischenfrage: Wie stehen Sie zum Thema Mini-Job, zumal aus Teilen der Politik heraus diese wie Zeitarbeit und Leiharbeit zu den prekären Beschäftigungsverhältnissen gezählt werden?
Stölben: Da bin ich zumindest was die Friseurbranche angeht ganz anderer Meinung. Solche Mini-Jobs beuten nicht aus, sondern sind geradezu ideal für Frauen, die nach Mutterschaft und Erziehungsurlaub die Chance haben Beruf und Familie in Einklang zu bringen.
Die bei uns im Mini-Job arbeitenden Friseusen waren vor der Mutterschaft in Vollzeit beschäftigt, sind mit dem Mini-Job froh und fühlen sich nicht ausgebeutet.

EAZ: Wird der Mindestlohn in der Lage sein, mit allem Wildwuchs in der Branche Schluss zu machen?
Stölben: Hier ist die Antwort ein eindeutiges Nein. Man muss wissen, das ein Viertel aller Friseure mit Meisterprüfung Ihren Betrieb als Ein-Mann-Betrieb, häufiger als Einfraubetrieb in Form des „Kleinstunternehmen“ im Sinne des Umsatzsteuergesetzes angemeldet haben. Diese Friseure dürfen 17.500,- Euro jährlich umsatzsteuerfrei erwirtschaften, was von vorneherein einen Wettbewerbsvorteil von 19 Prozent (Mehrwertsteuersatz) ausmacht. Viele dieser Kleinstunternehmer dürften sich innerhalb dieser Freigrenze bewegen.
In der Branche gilt es aber als ausgemacht ,dass viele das zwei- bis dreifache umsetzen ohne Gefahr zu laufen ins Visier der Finanzverwaltung zu geraten.

Bereits vor einigen Jahren hat das Bundesfinanzministerium eine parlamentarische Anfrage nach diesen Sachverhalten so beantwortet, dass die entstehenden Verwaltungskosten, die Nachprüfung nicht rechtfertigen würde, zumal da steuerlich nicht viel zu holen sei. In der Regel ist damit staatlicherseits dem Missbrauch Tor und Tür geöffnet. Hinzu kommt der immens hohe Anteil an Schwarzarbeit, wo das Risiko erwischt zu werden inzwischen gegen null geht. Manchmal hat man den Eindruck, dass lediglich die Betriebe, die anständig ihren Verpflichtungen gegenüber der Steuer- und der Sozialversicherung und insbesondere ihren Mitarbeitern gegenüber nachkommen, im Fokus der Überprüfung stehen. Es gilt als Binsenweisheit bei Kennern der Friseurbranche ,dass wenn den „17.500,– Euro“-Salons, der Schwarzarbeit (oft durch Niedriglöhne begünstigt) noch die „fahrenden Friseure“ dazugerechnet werden über, 50 Prozent aller Umsätze des Friseurhandwerks in diese zum Teil schwarzen Kanäle fließen. Hier auf Besserung zu hoffen ist illusorisch. Denn selbst Politiker und höhere Beamte beteiligen sich an dieser Schnäppchenjagd.

EAZ: Haben Sie als jemand der den Mindestlohn grundsätzlich bejaht trotzdem etwas auszusetzen?
Stölben: In der Tat. Hier gibt es Erhebliches an Kritik anzubringen. Dies betrifft vordergründig nicht einmal das Gesetz über den Mindestlohn selbst sondern das bürokratische Begleitwerk, was kolossal ist. Hier hat der Amtsschimmel jedes Maß verloren. Dies gilt Insbesondere mit Blick auf die Verpflichtung die Arbeits-und Pausenzeiten für jeden Arbeitnehmer tagesexakt mit Arbeitsbeginn, Pausen und Arbeitsende zu erfassen. Zumindest für solche Arbeitnehmer, bei denen schon mit dem ersten Hineinsehen in Arbeitsvertrag und Lohnunterlagen klar ist, dass dem Mindestlohn entsprochen wird, ist ein solches Verlangen hirnrissig und Idiotie. Hier muss sofort nachgebessert werden. Für den Mini-Job gelten andere Regeln, aber auch hier muss die Kirche im Dorf bleiben. Der Mindestlohn darf durch den Aufbau bürokratischer Monster nicht zur Schikane werden.

Ein gravierender Mangel des Gesetzes selbst ist die Regelung die vorsieht, eine Auszubildende nach bestandener Gesellenprüfung sofort mit Mindestlohn vergüten zu müssen, ohne das die betriebswirtschaftlich notwendigen Umsätze bereits jetzt erbracht werden können. Ohne Prophet zu sein wage ich hier die Aussage, dass viele nicht aus der Lehre heraus in eine volle Stelle mit Mindestlohnanspruch übernommen werden. Bestenfalls werden Teilzeitbeschäftigungen oder Mini-Jobs angeboten werden. Eine Stufenreglung wäre an dieser Nahtstelle von Ausbildung und Jungfriseurin dringend notwendig gewesen.

EAZ: Nach diesen ausführlichen Darlegungen zum Mindestlohn und dem Umfeld der Friseurbranche die Abschlussfrage: Was erhoffen Sie sich vom Mindestlohn?
Stölben: Die Antwort lässt sich auf einen einfachen Nenner bringen. Ich wünsche mir dass, was man einen „fairen Salon“ nennt, wo fairen Löhnen auch fair kalkulierte Preise folgen dürfen. Übrigens besteht für die Salons, die schon bisher faire Löhne bezahlt haben, kein Grund wegen des Mindestlohnes die Preise zu erhöhen. Der Druck liegt bei denen, die in der Vergangenheit Dumpinglöhne gezahlt haben und am schlechten Image eines ehrbaren Handwerks Schuld haben.

Aus diesem Grund wünsche ich mir natürlich, dass der Mindestlohn dazu beiträgt im Sinne der Marktbereinigung die Spreu vom Weizen zu trennen. Von den Kunden würde ich mir wünschen, dass sie bei Abwägung aller Aspekte, die hier eine Rolle spielen, eine Präferenz für solche Salons entwickeln, in denen Löhne, Leistung und Preis, freundliche und zuvorkommende Behandlung sowie ansprechendes Ambiente gleichermaßen stimmig sind.

EAZ: Herr Stölben. wir danken Ihnen für dieses informative Gespräch.
Stölben: Nach Abschluss des Interviews erreicht mich eine Information, wonach einige Frisöre – ich hoffe, es sind ganz wenige – den Vorschlag machen, die von mir angesprochenen und von uns gewährten Nebenleistungen zum Lohn, vor allem das steuerfreie Trinkgeld in die Berechnungsbasis der Bruttolöhne mit einzubeziehen, um so die 8,50 Euro Mindestlohn hinzubekommen. Dazu kann ich nur sagen: Wie peinlich und erbärmlich!

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