Interview: „Gerolsteiner Klüngelpolitik“

Kaum sieben Monate im Amt, sorgt Gerolsteins amtierender Stadtbürgermeister Bernd May für reichlich Gesprächsstoff. Grund genug für die Eifel-Zeitung, auch einmal den damals unterlegenen Bürgermeisterkandidaten Knut Wichmann zu Wort kommen zu lassen. 

EAZ: Herr Wichmann, in Gerolstein riecht es momentan sehr nach Skandal. Sie waren Kandidat für das Amt des Stadtbürgermeisters im vergangenen Jahr und sind bei der Wahl auf Platz zwei gelandet. Wie sehen Sie die Entwicklungen in der Stadt Gerolstein?
Wichmann: Zu aller erst habe ich mich gefragt, ob es richtig war, aus Gründen der Wahlkampf-Fairness nicht darauf hinzuweisen, dass der genau jetzt eingetretenen Konflikt Amt und Beruf bei meinem Mitbewerber unausweichlich kommen würde? Nahezu die Hälfte aller Amtshandlungen eines Stadtbürgermeisters haben mit Grundstücken, Immobilien, Objekten, Bau- und Nutzungsrechten zu tun. Das hätte vor der Wahl vielleicht deutlicher herausgestellt werden müssen, dass – ordnungsgemäße Zuständigkeitsverteilung vorausgesetzt – das im Falle der Wahl meines Mitkandidaten erhebliche Einschränkungen in die Amtswahrnehmung nach sich ziehen muss: Bürgermeister und Beigeordneter sind quasi je zur Hälfte Stadtoberhaupt.
Wie gesagt, aus Gründen der Fairness hatte ich das nicht thematisiert, wenngleich ich wusste, dass die damals noch vom Interimsbürgermeister Hermann Lux geführte SPD auch deswegen den heutigen Stadtbürgermeister hofiert und gestützt hatten : Lux hat daraufhin den Parteivorsitz abgegeben und sich damit die nötige Zeit für den „Zweitbürgermeister“ geschaffen. Ebenso haben – mit Ausnahme der BUV – auch die anderen Parteien und Gruppierungen diesen wesentlichen Aspekt nicht beachtet, verdrängt oder großzügig ignoriert, weswegen ich unseren „Politprofis“ gegenüber kein schlechtes Gewissen haben brauche : sie haben es genau so gewollt, wie es jetzt gekommen ist. Den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber wäre ich vielleicht schuldig gewesen, hier reinen Wein einzuschenken.

EAZ: Sie glauben also, dass die Parteien und Ratsmitglieder wissentlich in Kauf genommen haben, dass eine solche Gratwanderung Gerolstein in derart prekäre Lage bringen kann? Gehen Sie damit nicht zu hart ins Gericht mit den eigenen Genossen und der Konkurrenz?
Wichmann: Genau diese „Klüngel-Politik“ hat mich dazu veranlasst, meine Partei nach nahezu 40jähriger Mitgliedschaft zu verlassen. Nicht, dass ich erwartet hätte, Wahlunterstützung von der Gerolsteiner SPD zu erfahren. Nein, ich hätte es einfach fair gefunden, wenn die Genossen nicht mit einigen wenigen Rats- und Vorstandsmitgliedern ihre Wahlunterstützung beschlossen hätten, sondern mit der Gesamtpartei. Sie wissen ja, ich war noch nicht einmal zur Vorstellung erwünscht. Der Option, mir Kompetenz zusprechen zu können, wollte man sich erst gar nicht aussetzen. Die führenden Köpfe hatten sich da schon festgelegt, weil sie genau wussten, dass mit mir derartige Spielchen nicht zu machen sind; dafür kennt man mich da zu gut und weiß, dass für mich die Sache weit vor Personen und taktischen Spielchen steht.

Was die anderen Parteien und Gruppen angeht, hatte ich die Gelegenheit, mich vorzustellen. Genau wie im Kandidatenforum habe ich dort mein Leitbild vorgestellt und damit den Maßstab für mein Handeln im Falle der Wahl beschrieben. Klar wurde dabei, dass ich nicht nur mich selber in die Pflicht nehmen würde, sondern genauso die Ratsmitglieder, die Verwaltung sowie die Bürgerinnen und Bürger. Ein „weiter, wie bisher“ war dann offensichtlich eher erwünscht und der Mitbewerber erschien da wohl unkomplizierter zu werden.

EAZ: Unabhängig vom Postgebäude-Verkauf und den damit einhergehenden Vorgängen: Der Stadtbürgermeister hat doch bisher ganz ordentlich gearbeitet. Konnte man denn auch anders?
Wichmann: Grundsätzlich will ich auch nach der Wahl fair bleiben. Als Stadtoberhaupt ohne eigene Mehrheit im Rat hat man es sicher nicht leicht. Schließlich muss man das ausführen, was der Rat beschließt – unabhängig von den eigenen Vorstellungen. Das ganze fängt aber schon viel früher an. Muss man wissen, wenn man Verwaltung gelernt hat, dass Bauvorhaben wie der Kindergarten nicht ohne Ausschreibung realisiert werden können? Sollte man aktiv mit Gestaltungswillen für die Zustimmung von z.B. der Realisierung der Hauptstraßen-Terrassen werben, um im Hinblick auf ein einheitliches Stadtbild alle mit ins Boot zu nehmen? Muss man aktiv darauf drängen, die Deutsche Bahn in die Pflicht zu nehmen, wenn es darum geht, nicht nur das Gebäude, sondern auch die Station Bahnhof Gerolstein in einen sauberen, gebrauchsfähigen mit sanitären Anlagen ausgestattete Einrichtung zu versetzen, anstatt sich damit zufrieden zu geben, dass man darüber nicht reden wolle ? Wäre es sinnvoll gewesen, unmittelbar nach der Wahl mit Bürgerversammlungen in Stadt und Stadtteilen Bedürfnisse und Dringlichkeiten zu besprechen, bevor der Haushalt 2011 beschlossen wird? Wäre es wünschenswert, die Stadthalle Rondell ins kulturelle Geschehen in Gerolstein einzubeziehen anstatt ausschließlich auf den Lockschuppen zu setzen? Ist es der Wöllersberg wert, sich für ihn einzusetzen und für den Erhalt zu kämpfen anstatt sich auf die Seite derer zu schlagen, die wegen ein paar Silberlingen die Heimat „verraten“? Sollte man Bürger ernst nehmen, die mit den Schneemassen dieses Winters nicht fertig werden, nur weil die Satzungen festschreiben, dass Niederschläge, die nicht als Oberflächenwasser in die Kanalisation abfließen nicht Sache der Werke sind?

Das sind nur einige Fragen. Und alle beantworte ich sie mit einem eindeutigen Ja! Ja, in dem Sinne, dass der Bürgermeister vorweg gehen muss, die Ärmel hochgekrempelt mit Respekt aber auch mit klaren Vorstellungen auf die Leute zugehen muss, Hand anlegen und Überzeugungsarbeit leisten muss ! Bei so vielen „Baustellen“ in Gerolstein bewegt man mit Lächeln in Hemd und Kragen weit weniger als im „Blaumann“ mittendrin. Davon bin ich überzeugt. Und so hätte ich gerne mein Leitbild für Gerolstein in die Tat umgesetzt: Gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern, Rat, Verwaltung, Gewerbe und Handwerk, Dienstleistungsbetrieben, Touristen, Nachbargemeinden, Land und Bund.

EAZ: Und wie glauben Sie, hätten Sie den Verkauf bzw. Kauf des Postgebäudes bewerkstelligen können? Musste die Stadt von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch machen oder wie hätten Sie die Straße zwischen Post und Kyll für den Durchgangsverkehr gesichert?
Wichmann: Ich bezweifle, dass mit Vorkaufsrecht die Straße erworben werden konnte. Das dahinter liegende Gelände ist nicht öffentlich. Von öffentlicher Nutzung wird erst dann gesprochen werden können, wenn der Gerolsteiner Sprudel Teile seines Werksgeländes der Allgemeinheit zugänglich macht. Darüber wird zurzeit nachgedacht, beschlossen ist das noch nicht. Ich hoffe, dass die Überlegungen, dort Gewerbe anzusiedeln oder eine Parklandschaft entstehen zu lassen in konkrete Maßnahmen übergehen werden. Diese Hoffnung alleine ist aber nicht Grundlage genug, mit Vorkaufsrecht Grundstücke zu erwerben!

Eine ganz andere Frage in diesem Zusammenhang ist, ob Gerolstein „seine Post“ mit allen Dienstleistungen vor Ort haben will. Und was passiert, wenn das Postgebäude über kurz oder lang nicht mehr Heimat der Deutschen Post Gerolstein sein könnte? Ist die Post willens, mit ihrem Gesamtangebot andern Orts in Gerolstein weiter zu machen oder macht sie das am heutigen Objekt Postgebäude fest? Ist es rechtlich möglich, einen Käufer des Gebäudes langfristig zur Vermietung der Räume an die Post zu verpflichten?

Daran ist zu bemessen, ob die Stadt ein Interesse hat, das ein Vorkaufsrecht begründet. Wer mein Leitbild für Gerolstein kennt, weiß, dass die Stadt ohne funktionierende Post darin nicht vorkommen kann. Und deswegen hätte ich mich in der Pflicht gesehen, Einfluss zu nehmen wer und zu welchem Zweck das Gebäude kauft oder ob es im Interesse der Stadt liegen muss, selbst zu kaufen, um damit neben der Post auch die Gestaltung des Bahnhofs- und Postgeländes in eigener Hand zu behalten.

EAZ: Nach der verlorenen Wahl sind Sie wieder ganz unauffällig in den Hintergrund getreten. Ihre Partei haben Sie verlassen. Haben Sie jetzt der Politik endgültig den Rücken gekehrt – oder?
Wichmann: Nein, ein Leben ohne Politik ist für mich schlechterdings nicht vorstellbar. Nach wie vor bin ich interessiert an meiner Kommune, dem Land, dem Bund und der Welt. Und ich habe zu den Dingen des Lebens und des Miteinanders auf allen Ebenen nach wie vor meine Meinung und Ansichten. Gerne teile ich diese mit anderen, die sich gleichsam interessieren und engagieren wollen. Ich bedauere, dass mir dabei meine in die Wiege gelegte „Heimat SPD“ die Gemeinsamkeit der sozialen Verantwortung aufgekündigt hat – vor Ort wie auch überregional. Politik sehe ich als Aufgabe und Arbeit für die Allgemeinheit, nicht für Einzelne, nicht als Selbstzweck! Und gerade die Stadtbürgermeisterwahl hat mir, was Parteipolitik hier in Gerolstein anbelangt, klar vor Augen geführt, dass die etablierten Parteien den ihnen zugesprochenen (und deswegen staatlich finanzierten) Auftrag nicht mehr erfüllen, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken.

Ganz erschreckend dabei war für mich, dass bei der letzten Jahreshauptversammlung der Gerolsteiner SPD (Dezember 2010), an der ich teilnahm, einem langjährigen Mitglied schon fast verübelt wurde, dass es die Meinungsbildung im Wege von Mitgliederversammlungen einforderte. „Der Vorstand müsse bei der Meinungsbildung berücksichtigen, dass man doch mit den anderen zurecht kommen müsse und weil fast alle Vorstandsmitglieder ja auch Ratsmitglieder in Stadt, Verband und Kreis wären, könne man Parteimeinung nicht so frei von Rücksichtnahmen bilden“, zitiere ich jetzt mal frei aber sinngemäß. Grund genug, mich aus diesen Reihen zu verabschieden. Der Bürgerunion Vulkaneifel, Regionalgruppe Gerolstein habe ich mich zu Jahresbeginn angeschlossen. Dort genieße ich, über die anstehenden Themen zu diskutieren und Meinungsbildung zu betreiben. Und oftmals habe ich den Eindruck, dass Kritik an der BUV sich mit dem Neid begründet, nicht so frei seine Meinung und Ansichten einbringen zu können, wie es hier der Fall ist.

EAZ: Herr Wichmann, wir bedanken uns für die offenen Worte und wünschen Ihnen bei Ihrer politischen Arbeit wie auch im privaten Bereich alles Gute.

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