Gisela Anton aus Bullay, Professorin für Experimentalphysik

Die 1955 in Bullay geborene Top-Physikerin Gisela Anton ist eine Tochter des aus Grefrath (Niederrhein) stammenden Lehrers Paul Glasmachers (1918-2019) und dessen Ehefrau Josefine Neidhöfer (1920-2014) aus Merl, die im Kriegsjahr 1942 geheiratet hatten. Nach ersten Nachkriegsstationen in Alf und Löffelscheid unterrichtete Paul Glasmachers von 1950 bis 1970 im Nachbarort Merl, ehe die Familie von Bullay nach Sinzig umzog. Das familiäre Klima im Elternhaus scheint für technisch-naturwissenschaftliche Begabung besonders förderlich gewesen zu sein. Jedenfalls verblüfft die akademische Bilanz dieser Lehrerfamilie. Alle vier Kinder von Paul und Josefine studierten; Giselas Brüder Prof. Dr.-Ing. Gisbert und Prof. Dr.-Ing. Albrecht Glasmachers wurden Wissenschaftler, ihre Schwester Hildegard Lehrerin. Die Familie dürfte wesentlich dazu beigetragen haben, der Tochter Gisela jene Begeisterung für Physik einzuprägen, die für ihren Lebensweg kennzeichnend ist.

Gisela Anton aus Bullay
Professorin für Experimentalphysik

Dass sie nach dem Abitur am Bonner Heinrich-Hertz-Gymnasium in der damaligen Bundeshauptstadt Physik studierte, war also keine Überraschung. Und dass sie es mit ihrer Begabung weit bringen könnte, deutete bereits ihr 2. Platz beim Bundeswettbewerb Mathematik an, den sie als 16-Jährige erreichte. Ein weiteres markantes Signal in dieser Richtung war der Sieg 1975 auf Bundesebene im Fach Physik beim Wettbewerb „Jugend forscht“. Bundessieger im Fachbereich Technik wurde im gleichen Jahr ihr Freund Frank Anton. Das Jungphysiker-Paar heiratete 1979; aus der Ehe gingen drei Kinder hervor, bei deren Erziehung die Eltern von Gisela Anton eine entscheidende Hilfe waren.

Als Studentin spezialisierte sich Gisela Anton auf Teilchenphysik. Dieser faszinierende Forschungsbereich bestimmte auch ihre Arbeit als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Physikalischen Institut der Uni Bonn (1984-1995) und bei der nachfolgenden Dissertation (1983) und Habilitation (1993). Gisela Anton arbeitete während dieser Jahre sehr eng mit dem Team des von der Bonner Universität betriebenen Teilchenbeschleunigers ELSA zusammen. Die junge Physikerin wurde mit der Aufgabe betraut, einen Detektor zur exakteren Erforschung der subatomaren Eta-Mesonen zu entwickeln. Diese höchst anspruchsvolle Aufgabe löste sie mit der Konzeption des Detektors AMADEUS so exzellent, dass ihr 1994 der hoch renommierte Leibniz-Preis und ein Jahr später das Bundesverdienstkreuz verliehen wurden. Die Leibniz-Preissumme von drei Millionen Mark nutzte sie zur erfolgreichen Entwicklung neuer Detektoren, die sowohl für die Grundlagenforschung als auch für die Anwendung etwa im Medizinbereich, z. B. bei neuen Methoden für die Röntgenbildgebung, zu erheblichen Fortschritten führten. 1995 wurde sie auf den Lehrstuhl für Experimentalphysik (Teilchen- und Astrophysik) an der Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) berufen, 2008 wurde sie dort Gründungsdirektorin des inzwischen international sehr angesehenen Erlangen Centre for Astroparticle Physics (ECAP). Zu den wichtigsten astrophysikalischen Teilchen in der Forschungsarbeit Antons zählen die rätselhaften Neutrinos, deren ungewöhnlichen Eigenschaften sie bei ihrer maßgeblichen Mitarbeit an global ausgreifenden Großexperimenten nachspürt. In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass mit der Moselanerin Anton und der aus Minderlittgen stammenden Professorin Kathrin Valerius (Jg. 1980) zwei herausragende Neutrino-Expertinnen eifelmoselanische Wurzeln haben. Wie sehr man sich im Bundesland ihres universitären Wirkungsorts FAU der wissenschaftlichen Spitzenleistung Antons bewusst ist, dokumentierte 2010 ihre Ehrung mit der höchsten bayerischen Auszeichnung, dem Maximiliansorden für Wissenschaft und Kunst.

Als Physikprofessorin gehört Gisela Anton in ihrem zahlenmäßig von Männern dominierten Fach zu einer Minderheit. Kein Wunder, dass sie oft auf die alte Problematik der Vereinbarkeit von Beruf und Familie angesprochen wird. Für Gisela Anton ist klar, dass Gesellschaft und Politik für Frauen und Männer sicherstellen sollten, dass beides möglich ist: Kinder zu haben und zugleich den sehr hohen Anforderungen im Beruf gerecht zu werden. Wenn sich dabei am Ende herausstellt, dass es bei gewährleisteter Chancengleichheit trotzdem zu keiner Zahlengleichheit der Geschlechter in naturwissenschaftlichen oder anderen Berufen kommt, so ist das für sie kein grundsätzliches Problem, dem man mit Quotenregelungen zu Leibe rücken muss. Von der Meinung, man solle Mädchen und Jungen separat unterrichten, weil dadurch angeblich Hemmungen von Mädchen gegenüber naturwissenschaftlich-technischen Fächern verringert würden, hält sie aufgrund eigener Erfahrungen nicht viel.

Generell ist der einstigen „Jugend forscht“-Siegerin die wissenschaftliche Nachwuchsförderung ein sehr wichtiges Anliegen. Ob als Jury-Mitglied für Preise im Nachwuchsbereich, als Professorin bei der intensiven Betreuung zahlreicher Dissertations- und Habilitationsvorhaben oder als Initiatorin von Projekten wie dem 2009 von ihr gegründeten Schülerforschungszentrum: Nachwuchsförderung sieht sie weder als Luxus noch als überflüssige Last an. Förderung begabter und begeisterter Talente ist ihrer Ansicht nach unerlässlich für den Fortschritt der Wissenschaft. Oft seien es gerade sehr junge Leute, die neue – vielleicht anfangs sogar verrückt erscheinende – Ideen entwickelten. Gisela Anton hofft, dass es auch in Zukunft gelingt, möglichst viele ideenreiche junge Menschen für die „solide Wissenschaft“ so zu begeistern, wie es auch bei ihr der Fall war.

Verfasser: Gregor Brand

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