EU-Kommission überprüft den Kammerzwang in Deutschland

Berlin, 25.10.2010. In einer Pressekonferenz in den Räumen der Parlamentarischen Gesellschaft in Berlin stellte der renommierte Rechtswissenschaftler der Universität Köln, Herr Prof. Dr. Bernhard Kempen, zusammen mit Vertretern des Bundesverbandes für freie Kammern (bffk) e. V. und der TechniSat Digital GmbH, die am 25.10.2010 bei der EU-Kommission in Brüssel eingereichte EU-Beschwerde vor.

„Die Industrie- und Handelskammern sind das mittelalterliche Zunftwesen in moderner Gestalt, das nicht mehr in die heutige Zeit passt“, so der Kölner Europarechtler Prof. Dr. Kempen. „Ich bin überzeugt, dass die derzeitige gesetzliche Ausgestaltung der Industrie- und Handelskammern das Europäische Demokratieprinzip verletzt“, so Prof. Dr. Kempen. „Die Industrie- und Handelskammern sind Träger öffentlicher Staatsgewalt, dennoch unterstehen sie keiner fachaufsichtlichen Kontrolle. Zudem werden die Vertreter zur IHK-Vollversammlung nach den Regeln des klassischen Zensuswahlrechtes gewählt. Damit fehlt den Industrie- und Handelskammern jegliche demokratische Legitimation“.

Ziel der Beschwerde ist es, darzustellen, dass die Regelungen des deutschen IHK Gesetzes zur Pflichtmitgliedschaft und der gewerbeertragsabhängigen Beitragslast in mehrfacher Hinsicht gegen Europarecht verstoßen. Kommt die EU-Kommission bei ihrer Prüfung zu diesem Ergebnis, wird sie gegen die Bundesrepublik Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten, das zur Abschaffung des Kammerzwangs führen wird.

„Jeder Handels- oder Industriebetrieb, der gewerbesteuerpflichtig ist“, so Prof. Dr. Kempen weiter, „ist per Gesetz verpflichtet, Mitglied in einer der 80 deutschen Industrie- und Handelskammern zu sein und jährliche Mitgliedsbeiträge an die Kammer zu zahlen, in deren Bezirk sie eine Niederlassung unterhält.  „Dadurch wird die europarechtliche Niederlassungsfreiheit und die Dienstleistungsfreiheit massiv beschränkt“, so Prof. Dr. Kempen, „ohne dass die gesetzlichen Aufgaben der IHKs diese Einschränkung rechtfertigen“.

Die gesetzliche Aufgabe der Industrie- und Handelskammer ist, das „Gesamtinteresse der Gewerbetreibenden“ wahrzunehmen. „Diese Aufgabenzuweisung ist völlig unspezifisch und zeitlich überholt“, so Frank Lasinski, 1. Vorsitzende des Bundesverbandes für freie Kammern (bffk), der die Position des bffk auf dem Podium vertrat. „Der bffk kämpft schon seit mehr als 10 Jahren für die Abschaffung der Zwangsmitgliedschaft“, so Lasinski weiter.

„Durch die Einreichung der EU-Beschwerde rechnen wir uns gute Chancen aus, die Pflichtmitgliedschaft in Deutschland abzuschaffen“. „Neben Deutschland gibt es nur in Österreich und Italien vergleichbare Zwangskammersysteme. In der weit überwiegenden Mehrheit der europäischen Staaten, wie auch in den wirtschaftlich erfolgreichen skandinavischen Staaten gibt es keinen Kammerzwang, sondern allenfalls freiwillige Wirtschaftsvereinigungen“, so Lasinksi. 

„In einem Europa mit freiem Waren- und Dienstleistungsverkehr sind Zwangskammern und Pflichtbeiträge eine massive unternehmerische Einschränkung“, so Irene Roth, Mitglied der Geschäftsleitung von TechniSat, die die Position der Beschwerdeführer auf der Pressekonferenz vertrat.

„Für das Jahr 2009 wird TechniSat Daun ca. 35.000 EUR Mitgliedsbeiträge an die IHK Trier zahlen, ohne dass wir dafür eine relevante Gegenleistung erhalten. Im Gegenteil, die Fortbildungsveranstaltungen und Prüfung der Auszubildenden zahlen wir zusätzlich“, so Roth weiter.

TechniSat verfolgt das Ziel, alle drei europäischen Institutionen mit der Frage des deutschen Kammerzwangs zu beschäftigen.

Bereits in den Verwaltungsrechtsklagen, die TechniSat gegen die IHK-Beitragsbescheide anhängig machte, war der Antrag gestellt worden, dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg im Wege des sogenannten  Vorabentscheidungsverfahrens die Frage zur Klärung vorzulegen. Mit der von Prof. Dr. Kempen verfassten Beschwerde zur Europäischen Kommission ist damit die zweite europäische Institution mit dem Thema „Pflichtmitgliedschaft in deutschen IHKs“ befasst. Zusammen mit dem Bundesverband für freie Kammern und Herrn Prof. Dr. Kempen wird TechniSat in den nächsten Wochen zusätzlich eine Petition zum Petitionsausschuss des Europäischen Parlamentes in die Wege leiten.
Als Pressevertreter waren u. a. Frankfurter Allgemeine Zeitung, Berliner Tagesspiegel, Berliner Zeitung und markt intern anwesend, die sich nach der Präsentation der EU-Beschwerde durch Prof. Dr. Kempen rege an der anschließenden Diskussion beteiligten.

„Wir sehen uns durch die IHK-Mitgliedschaft gegenüber unseren Mitbewerbern aus anderen EU-Staaten oder aus asiatischen Staaten klar benachteiligt“, sagt Peter Lepper, der Unternehmenschef von TechniSat. Die Unternehmensgruppe, die u. a. Produkte der Unterhaltungselektronik wie TV-Geräte und Digitalreceiver entwickelt und produziert, sei mit Beitragslasten belegt, die den Konkurrenten im Ausland erspart blieben. „Das ist schon schlimm genug.

Hinzu kommt aber, dass wir an eine IHK zahlen, die unsere Interessen überhaupt nicht vertritt, sondern uns im Gegenteil  schon seit Jahren das Leben schwer macht“, fährt Peter Lepper fort. Wegen der undemokratischen Binnenstruktur der Industrie- und Handelskammern bestünde keine realistische Möglichkeit, auf die Willensbildung in den Kammern Einfluss zu nehmen.

Beschwerde gegen Kammerzwang vor EU-Kommission

Zu der vom Bundesverband für freie Kammern bei der EU-Kommission eingereichten Beschwerde erklärte der Hamburger SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs:

„Im Kampf um die Aufhebung des Kammerzwangs ist das ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Nachdem sich auf nationaler Ebene seit Jahren kein Fortschritt erzielen lässt, bietet die Klage bei der EU-Kommission jetzt die Chance, dass dieser Missstand in Deutschland von außen aufgehoben wird.

Ich halte die von Prof. Dr. Bernhard Kempen (Universität Köln) erarbeitete Beschwerde für eine gute Möglichkeit, um endlich wieder Schwung in die Debatte um die Aufhebung des überflüssigen und antiquierten Zwangs in unserem Staat neu zu bringen. Der Zwang zur Mitgliedschaft in den Industrie- und Handelskammern behindert viele Unternehmen in ihrer Entwicklung und schwächt ihre Konkurrenzfähigkeit, ohne einen wirtschaftlichen Vorteil zu erbringen.
Ich hoffe, dass die vom Bundesverband für freie Kammern (bffk) koordinierte Klageeinreichung nur der erste Schritt auf dem Weg zu einer schnellen Abschaffung des Zwangs ist. Es wäre zu begrüßen, wenn die Kommission im Sinne der Beschwerdeführer urteilt – auch wenn dann wie so oft in Brüssel entschieden wird, was eigentlich in Berlin entschieden werden sollte.“

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