Macron blamiert sich bei Parlamentswahl in Frankreich

Von Michael Evers und Christian Böhmer  

Für Frankreichs Staatschef ist das Ergebnis der Parlamentswahl ein Debakel. Nach einem herben Sitzverlust kann er nur noch mit einfacher Mehrheit weiterregieren und muss bei anderen Parteien Unterstützung suchen. Zugleich trumpft die Rechte Le Pen mit ihrer Partei auf.

Paris (dpa) – Fast konnte man meinen, der Kalender auf internationaler Bühne ließe Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kaum Zeit für einen Heimatstopp für die Parlamentswahl. Gerade noch ein Truppenbesuch in Rumänien, Zwischenstopp in Moldau und dann der lange erwartete Besuch in Kiew, bevor es in wenigen Tagen zum EU-Gipfel nach Brüssel und dann zum G7-Treffen auf Schloss Elmau weitergeht.

Am Sonntag aber zur Wahl zur Nationalversammlung gab der Staatschef seine Stimme wie üblich im Badeort Le Touquet ab – um kurz darauf hart geerdet einer neuen Realität ins Auge zu sehen. Nachdem schon die erste Wahlrunde eng gewesen war, erzielte Macrons Mitte-Lager am Ende nur eine einfache Mehrheit mit dem Verlust vieler Sitze. Die radikale Linke und insbesondere auch das rechte Rassemblement National legten kräftig zu – eine regelrechte Blamage für den ambitionierten Staatschef.

Denn der gerade erst für eine zweite Amtszeit wiedergewählte Liberale muss sich nun auf eine Beschränkung seiner Machtfülle einstellen. Um seine Reformvorhaben in Frankreich und Europa voranzutreiben, braucht er fortan im Parlament die Unterstützung anderer Lager – und seine gestärkten Gegner werden keine Möglichkeit ungenutzt lassen, Einfluss zu gewinnen. Eine solche Regierung nur mit einfacher Mehrheit gab es in Frankreich zuletzt unter Präsident François Mitterrand (1988-1991).

Während der Wille des 44-Jährigen zur Modernisierung Frankreichs und Reformierung der EU ungebrochen scheint, ist der Enthusiasmus vieler Franzosen, der ihn 2017 beim Start in den Élyséepalast begleitete, längst verflogen. Nach der von Protesten, Corona-Einschränkungen und der Ukraine-Krise begleiteten ersten Amtszeit herrscht viel Enttäuschung mit dem als Überflieger gestarteten Jung-Präsidenten.

Abzulesen ist das im Wahlergebnis vom Sonntagabend. Nach vorläufigem amtlichen Endergebnis kassierte das Präsidentenlager herbe Verluste und kommt nur noch auf 245 der 577 Parlamentssitze. 289 wären für die absolute Mehrheit erforderlich gewesen. Das vom altlinken Populisten Jean-Luc Mélenchon in Rekordzeit geschmiedete Linksbündnis indes verbuchte mit 131 Sitzen tüchtigen Zuwachs und löst als stärkste Oppositionskraft die bürgerlich-konservativen Républicains ab. Diese verlieren stark und kommen mit Verbündeten auf 74 Sitze.

Spektakulär ist der Zuwachs des rechten Rassemblement National von Marine Le Pen, dass die Anzahl seiner Parlamentssitze auf 89 steigerte – gut elf Mal so viel wie bisher. Bislang hatte das Mehrheitswahlrecht die Partei ausgebremst: Nur wer einen Wahlkreis für sich gewinnt, bekommt auch ein Mandat, Zweitstimmen gibt es in Frankreich nicht. Nun wurde die rechte Partei in deutlich mehr Wahlkreisen stärkste Kraft. Die Wahlbeteiligung erreichte mit 46,23 Prozent einen Tiefpunkt.

Trotz deutlich gestutzter Mehrheit für den Proeuropäer Macron dürften Berlin und Brüssel auch künftig auf Frankreich bauen können. Denn die deutsch-französische Achse ist für den Präsidenten eine Priorität. Gerade in der Ukraine-Krise rückten er und Bundeskanzler Olaf Scholz zusammen, sichtbar zuletzt bei der gemeinsamen Kiew-Reise. Viele Anstöße gingen vom rastlosen Macron aus, zu humanitären Fragen, dem Abwenden einer Ernährungskrise und auch als Mittler hält der Franzose den Kontakt und eine diplomatische Brücke zu Kremlchef Wladimir Putin aufrecht. In der EU dürfte Macron der Treiber von Reformen zur Stärkung Europas bleiben, auch wenn manche seiner Visionen keine Mehrheit fand und nebenbei französische Interessen im Fokus hatte.

In Frankreich selbst, wo Macron sich bei seinem Antreten 2017 aufmachte, das verkrustete politische System zu reformieren und die Wirtschaft zu erneuern, fällt die Bilanz gemischt aus. Auf der Habenseite kann Macron verbuchen, dass die Wirtschaft auch nach der Corona-Krise wieder stark Fahrt aufgenommen und die Beschäftigung zugelegt hat. Die propagierte Reindustrialisierung zeigt erste Resultate und ausländische Investitionen in Frankreich, vor allem aus Deutschland, haben angezogen. Frankreich ist wieder da, heißt es nicht nur von Macron. Viele Menschen aber fühlen sich mit ihren Nöten nicht wahrgenommen, abgehängt und etliche Baustellen blieben offen.

Statt auf visionäre Reden hoffen viele Franzosen angesichts der steigenden Preise im Moment auf Unterstützung der Regierung. Obenan steht auch der Zustand der Schulen und des Gesundheitswesens. Ein weiterer Knackpunkt bleibt die Rente, Macron will das Eintrittsalter auf 65 Jahre anheben, Mélenchon auf 60 Jahre senken. Dieser Streit aber wird wohl nicht nur im Parlament, sondern auch auf der Straße ausgetragen werden.

 

 

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