Gemischte Gefühle in Berlin und Brüssel vor Frankreichwahl

Wahlen
Von Michael Evers, Ansgar Haase und Michael Fischer, dpa 

Paris (dpa) – Mit der französischen Präsidentschaftswahl steht nicht nur für Frankreich, sondern auch für Deutschland und Europa einiges auf dem Spiel.

Denn neben dem klar vorne liegenden Emmanuel Macron, der sich bei der in knapp einer Woche beginnenden Abstimmung um eine zweite Amtszeit bewirbt, rangieren in Umfragen bisher ausschließlich die rechte Marine Le Pen und Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon auf vorderen Plätzen. Sowohl für die deutsch-französische Achse als auch die EU, in der Macron sich als treibende Kraft zu profilieren versucht, wäre unter diesen Vorzeichen ein Machtwechsel in Paris kaum vorstellbar.

Noch aber hat Macron die Wahl, bei der mit dem Ukraine-Krieg die Kaufkraft zum Hauptthema geworden ist, nicht gewonnen. Sein Abstand zu seiner Hauptherausforderin Le Pen, die mit Instinkt ihren Fokus im Wahlkampf auf die Geldsorgen der Franzosen gelenkt hat, ist geschrumpft. Zudem ist Macron wegen seiner diplomatischen Bemühungen im Ukraine-Krieg spät in den Wahlkampf eingestiegen. Mit Hochdruck versucht er eine Wählerschaft zu mobilisieren, die teils denkt, die Wahl sei schon gelaufen. Bei seinem einzigen großen Wahlkampfauftritt vor der ersten Runde am Samstag legte Macron den Schwerpunkt auf konkrete Hilfen in der Krise und soziale Verbesserungen.

Keine uneingeschränkte Begeisterung 

In der EU und in der Nato wird der sich abzeichnende Wahlsieg Macrons vielerorts mit gemischten Gefühlen gesehen. Auf der einen Seite ist man fast überall froh, dass es der Mitte-Politiker bislang geschafft hat, rechte Herausforderer wie Le Pen und Éric Zemmour auf Abstand zu halten. Andererseits gibt es auch kaum jemanden, der einer weiteren Amtszeit Macrons mit uneingeschränkter Begeisterung entgegenblickt.

Ein Grund dafür ist, dass sich der 44-Jährige in der Öffentlichkeit gern als mustergültiger Pro-Europäer und Visionär präsentiert, hinter den Kulissen dann aber rücksichtslos Interessenpolitik für sich und sein Land betreibt.

So wird Macron beispielsweise vorgehalten, bei der geplanten EU-Erweiterung auf dem Westbalkan vor allem aus Sorge vor Widerständen aus der eigenen Bevölkerung auf der Bremse zu stehen, europäische Souveränität in erster Linie zugunsten der französischen Industrie anzustreben und aus wahltaktischen Gründen Verhandlungen über wichtige Klimaschutzvorschläge zu verzögern.

In der Nato ist unvergessen, dass Macron das Verteidigungsbündnis öffentlich als «hirntot» bezeichnete und bis zum Ukraine-Krieg keinen Zweifel daran ließ, dass er langfristig eher auf den Aufbau einer europäischen Verteidigungsunion als auf eine Stärkung der Nato setzt.

Verhältnis Deutschland-Frankreich bleibt interessant

Sollte Macron wie erwartet die Wahl gewinnen, dürfte es in den nächsten Monaten vor allem auch im Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich interessant werden. Er und seine Regierung haben zuletzt immer wieder betont, dass sie die strengen europäischen Fiskalregeln als überholt ansehen und sich weitere schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme nach dem Vorbild des Corona-Hilfspakets vorstellen können. Mit der bisherigen Positionierung der Regierung in Berlin sind diese Positionen nicht wirklich vereinbar.

Für die Ampel-Koalition gilt es dann zu beweisen, dass nicht jeder neue politische Wettstreit auf EU-Ebene so ausgeht wie der um die EU-Einstufung von Atomkraft als klimafreundliche Energiequelle. In dieser Auseinandersetzung hatte sich Frankreich zuletzt mit einer kompromisslosen Haltung klar gegen Deutschland durchgesetzt und erreicht, dass Entwickler von neuen Akw-Projekten auf eine günstige Finanzierung hoffen können.

Einen Sieg Le Pens will sich niemand ausmalen 

In Berlin ist die Wahl in Frankreich bisher kaum Thema. Das hat vor allem einen Grund: Der Krieg in der Ukraine lässt alle anderen auswärtigen Themen blass erscheinen. Außerdem ist die allgemeine Erwartung, dass die Wahl schon nichts verändern wird und Macron am Ruder bleibt. Einen Sieg Le Pens will man sich im Kanzleramt und in der Koalition erst gar nicht ausmalen. Eine rechtsnationale französische Präsidentin, die sich im Wahlkampf 2017 noch von Putin unterstützen ließ, wird gerade in der jetzigen Situation, in der die EU einig wie selten Russland die Stirn bietet, als ziemliches Katastrophenszenario gesehen.

Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) haben in den letzten Krisen-Wochen als Tandem an der Spitze Europas agiert – allerdings unter anderen Vorzeichen als früher. Als Angela Merkel (CDU) noch Kanzlerin war, hatte sie mit ihren 16 Amtsjahren eindeutig das Zepter in der Hand. Jetzt bringt Macron die größere Erfahrung mit und scheint Scholz bei diplomatischen Bemühungen oft einen Schritt voraus zu sein. Zumindest wirkt es so, weil Macron seine Aktivitäten deutlich offensiver kommuniziert als der zurückhaltende Kanzler. In Berlin führt das so mancher auf den Wahlkampf zurück. Bei einem Wahlsieg Macrons wird sich das Verhältnis zwischen den beiden wohl neu austarieren.

 

 

 

Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen
Eifelzeitung E-Paper Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen