Berlin und Brüssel blicken mit gemischten Gefühlen auf Frankreichwahl

Paris (dpa) – Mit der französischen Präsidentschaftswahl steht nicht nur für Frankreich, sondern auch für Deutschland und Europa einiges auf dem Spiel. Denn neben dem klar vorne liegenden Emmanuel Macron, der sich bei der am Sonntag beginnenden Abstimmung um eine zweite Amtszeit bewirbt, rangieren in Umfragen ausschließlich die rechte Marine Le Pen und Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon auf vorderen Plätzen. Sowohl für die deutsch-französische Achse als auch die EU, in der Macron sich als treibende Kraft zu profilieren versucht, wäre unter diesen Vorzeichen ein Machtwechsel in Paris kaum vorstellbar.

Noch aber hat der 44-Jährige die Wahl, bei der mit dem Ukraine-Krieg die Kaufkraft zum Hauptthema geworden ist, nicht gewonnen. Der Abstand zur Hauptherausforderin Le Pen, die ihren Fokus im Wahlkampf auf die Geldsorgen der Franzosen gelenkt hat, ist geschrumpft. Zudem ist Macron wegen seiner diplomatischen Bemühungen im Ukraine-Krieg spät in den Wahlkampf eingestiegen. Mit Hochdruck versucht er eine Wählerschaft zu mobilisieren, die teils denkt, die Wahl sei schon gelaufen. Beim einzigen großen Wahlkampfauftritt vor der ersten Runde am Samstag legte Macron den Schwerpunkt auf konkrete Hilfen in der Krise und soziale Verbesserungen.

In der EU und in der Nato wird der sich abzeichnende Wahlsieg Macrons mit gemischten Gefühlen gesehen. Auf der einen Seite ist man fast überall froh, dass es der Mitte-Politiker bislang geschafft hat, rechte Herausforderer wie Le Pen und Éric Zemmour auf Abstand zu halten. Andererseits gibt es kaum jemanden, der einer weiteren Amtszeit Macrons mit uneingeschränkter Begeisterung entgegenblickt. Ein Grund dafür ist, dass sich der 44-Jährige gern als mustergültiger Pro-Europäer und Visionär präsentiert, hinter den Kulissen aber rücksichtslos Interessenpolitik für sich und sein Land betreibt.

So wird Macron beispielsweise vorgehalten, bei der geplanten EU-Erweiterung auf dem Westbalkan vor allem aus Sorge vor Widerständen aus der eigenen Bevölkerung auf der Bremse zu stehen, europäische Souveränität in erster Linie zugunsten der französischen Industrie anzustreben und aus wahltaktischen Gründen Verhandlungen über wichtige Klimaschutzvorschläge zu verzögern.

In der Nato ist unvergessen, dass Macron das Verteidigungsbündnis als «hirntot» bezeichnete und bis zum Ukraine-Krieg keinen Zweifel daran ließ, dass er langfristig eher auf den Aufbau einer europäischen Verteidigungsunion als auf eine Stärkung der Nato setzt.

Sollte Macron gewinnen, dürfte es in den nächsten Monaten auch im Verhältnis zu Deutschland interessant werden. Er und seine Regierung haben zuletzt immer wieder betont, dass sie die strengen europäischen Fiskalregeln als überholt ansehen und sich weitere schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme nach dem Vorbild des Corona-Hilfspakets vorstellen können. Mit der bisherigen Positionierung der Bundesregierung ist dies nicht wirklich vereinbar.

Für die Ampel-Koalition gilt es dann zu beweisen, dass nicht jeder neue politische Wettstreit auf EU-Ebene so ausgeht wie der um die EU-Einstufung von Atomkraft als klimafreundliche Energiequelle. In dieser Auseinandersetzung hatte sich Frankreich mit einer kompromisslosen Haltung klar gegen Deutschland durchgesetzt und erreicht, dass Entwickler von neuen Akw-Projekten auf eine günstige Finanzierung hoffen können.

In Berlin ist die Wahl in Frankreich bisher kaum Thema. Der Krieg in der Ukraine lässt alle anderen auswärtigen Themen blass erscheinen. Außerdem ist die allgemeine Erwartung, dass Macron am Ruder bleibt. Einen Sieg Le Pens will man sich im Kanzleramt und in der Koalition gar nicht ausmalen. Eine rechtsnationale französische Präsidentin, die sich im Wahlkampf 2017 noch von Putin unterstützen ließ, wird gerade jetzt, da die EU einig wie selten Russland die Stirn bietet, als Katastrophenszenario gesehen.

Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) haben in den letzten Wochen als Tandem an der Spitze Europas agiert – allerdings unter anderen Vorzeichen als früher. Als Angela Merkel noch Kanzlerin war, hatte sie aufgrund ihrer vielen Amtsjahre das Zepter in der Hand.Jetzt bringt Macron die größere Erfahrung mit und scheint Scholz in der Diplomatie oft einen Schritt voraus. Zumindest wirkt es so, weil der Präsident seine Aktivitäten offensiver kommuniziert als der zurückhaltende Kanzler. In Berlin führt das so mancher auf den Wahlkampf zurück. Bei einem Wahlsieg Macrons wird sich das Verhältnis zwischen den beiden wohl neu austarieren.

 

 

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