Warnungen zum COP26-Auftakt: «Schaufeln unser eigenes Grab»

Glasgow (dpa) – Mit einem leidenschaftlichen Appell hat UN-Generalsekretär Antonio Guterres die Staaten der Welt zu viel mehr Ehrgeiz im Kampf gegen die Erderwärmung ermahnt.

Sämtliche bereits zugesagten Anstrengungen beim Klimaschutz reichten hinten und vorne nicht aus, um eine Katastrophe abzuwenden, warnte er beim feierlichen Auftakt der Weltklimakonferenz COP26 im schottischen Glasgow vor Dutzenden Staats- und Regierungschefs. «Wir schaufeln uns unser eigenes Grab»

Auch US-Präsident Joe Biden und die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel forderten in Reden mehr Tempo beim Klimaschutz. «Wir sind nicht da, wo wir hinmüssen», sagte Merkel. 

Regierungsvertreter aus rund 200 Staaten

Auf Einladung der Vereinten Nationen beraten in Schottland Regierungsvertreter aus rund 200 Staaten zwei Wochen lang, wie die die beschleunigte Erderhitzung noch auf ein erträgliches Maß eingedämmt werden kann. Ein Dämpfer war aber am Sonntag vom G20-Gipfel gekommen: Die Wirtschaftsmächte fassten nur vage Beschlüsse zum Klimaschutz und scheiterten aus Sicht der meisten Beobachter daran, ein starkes politisches Signal nach Glasgow zu senden.

Guterres verlangte, alle Regierungen müssten ihre Subventionen für fossile Brennstoffe wie Öl, Gas und Kohle abschaffen, aus der Kohle aussteigen und einen Preis für sämtliche Treibhausgas-Emissionen festlegen. «Es ist an der Zeit, zu sagen: Genug», sagte Guterres. «Genug brutale Angriffe auf die Artenvielfalt. Genug Selbstzerstörung durch Kohlenstoff. Genug davon, dass die Natur wie eine Toilette behandelt wird»

Merkel warnt vor «verheerenden Auswirkungen»

Merkel, die schon bei der allerersten UN-Klimakonferenz 1995 dabei war, warnte vor den «verheerenden Auswirkungen des Klimawandels». Beim Kampf gegen die Erderwärmung trügen besonders die Industrieländer Verantwortung. Es gehe um eine «umfassende Transformation» unseres Lebens, Arbeitens und Wirtschaftens. Dies funktioniere nur über einen Preis auf den Ausstoß von Kohlendioxid.

Biden sagte zu den versammelten Staatschefs: «Wir stehen an einem Wendepunkt der Weltgeschichte» Es bleibe nur noch ein kurzes Zeitfenster zum Handeln. «Glasgow muss der Startschuss für ein Jahrzehnt des Ehrgeizes und der Entschlossenheit sein», fügte er an. Die USA wollten mit gutem Beispiel vorangehen. «Ich weiß, dass das nicht der Fall war. Deshalb macht meine Regierung Überstunden, um zu zeigen, dass unser Engagement für den Klimaschutz aus Taten und nicht aus Worten besteht» Bidens Vorgänger Donald Trump hatte daran gezweifelt, ob der Klimawandel überhaupt menschengemacht ist – solche Zweifel sind wissenschaftlich klar widerlegt.

Johnson: «Es ist eine Minute vor Mitternacht»

Der Gastgeber der Konferenz, der britische Premierminister Boris Johnson, schwor die Weltgemeinschaft ebenfalls auf schnelles und ehrgeiziges Handeln ein. «Es ist eine Minute vor Mitternacht auf der Uhr des Weltuntergangs», sagte er. «Wir fühlen uns vielleicht nicht wie James Bond, und sehen vielleicht auch nicht so aus» Aber mit Blick auf den Film-Geheimagenten und die Gefahr der Erderhitzung sagte er: «Lasst uns diese Bombe entschärfen»

Der britische Thronfolger Prinz Charles erinnerte an die wichtige Rolle des Privatsektors für eine klimaneutrale Zukunft. Industrie und Banken hätten Billionen, um die Transformation voranzutreiben. «Wir wissen durch die (Corona)-Pandemie, dass der Privatsektor Fristen drastisch verkürzen kann, wenn sich alle auf die Dringlichkeit und Richtung einer Sache einigen»

Ähnlich äußerte sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. «Das ist unsere Chance, Geschichte zu schreiben. Mehr noch: Es ist unsere Pflicht, zu handeln», sagte die deutsche Politikerin.

Putin und Xi nicht persönlich anwesend 

Wie Russlands Staatschef Wladimir Putin nahm auch Chinas Präsident Xi Jinping nicht persönlich an der Konferenz teil. Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua veröffentlichte stattdessen ein Statement. «Taten sind die einzige Möglichkeit, Visionen in die Realität umzusetzen», hieß es darin. Nach den von Xinhua veröffentlichten Auszügen machte Xi zunächst keine konkreten neuen Zusagen, forderte jedoch alle Seiten auf, «ihre Versprechen einzuhalten». Kein Land produziert eine so große Menge klimaschädlicher Treibhausgase wie China.

Etwas konkreter wurde dagegen Indien: Premierminister Narendra Modi nannten vor dem Plenum erstmals ein Ziel für die Klimaneutralität seines Landes: Bis 2070 will das bevölkerungsreiche Land nur noch so viel klimaschädliche Emissionen ausstoßen, wie etwa in Senken wie Ozeanen und Wäldern aufgenommen werden können. Das ist das obere Limit, das der Weltklimarat (IPCC) für weltweite Klimaneutralität angegeben hat, damit das Leben auf dem Planeten Erde noch lebenswert bleibt. Viele Länder streben – so wie die EU – Klimaneutralität bis 2050 an, China hat 2060 ins Auge gefasst.

Die Erde hat sich im Vergleich zum vorindustriellen Niveau schon jetzt um etwa 1,1 Grad erwärmt; in Deutschland sind es bereits 1,6 Grad. In Paris hatte sich die Staatengemeinschaft vor sechs Jahren darauf geeinigt, die Erderwärmung möglichst auf maximal zwei Grad, besser 1,5 Grad, zu begrenzen. Bislang reichen die eingereichten Pläne der Staaten dazu aber bei weitem nicht aus.

Greta Thunberg auch anwesend

Unter den rund 28.000 Menschen, die in Glasgow erwartet werden, sind auch zahlreiche Aktivistinnen und Aktivisten, die auf den Straßen für eine ehrgeizigere Klimapolitik protestieren wollen – darunter die weltweit prominenteste Aktivistin, die 18-jährige Schwedin Greta Thunberg.

Ein offener Brief führender Aktivistinnen um Thunberg an die Staatenlenker der Erde fand in kurzer Zeit mehr als eine Million Unterstützer. Bis zum Montagnachmittag hatten den zum Start der Weltklimakonferenz veröffentlichten Aufruf fast 1,1 Millionen Menschen online mit ihrer E-Mail-Adresse unterzeichnet. In diesem fordern Thunberg, Vanessa Nakate aus Uganda, die Polin Dominika Lasota und Mitzi Tan von den Philippinen die Staats- und Regierungschefs auf, der Klimakrise endlich entscheidend und mit sofortigen und drastischen Maßnahmen zu begegnen.

 

 

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