CDU siegt klar bei Berlin-Wahl, Regierungsbündnis noch offen

Von Lena Klimpel und Torsten Holtz, dpa

Berlin (dpa) – Nach dem Triumph der CDU bei der Berlin-Wahl und der historisch beispiellosen Schlappe für SPD-Regierungschefin Franziska Giffey ist offen, welche Parteien in der Hauptstadt künftig die Regierung bilden.

Nach Auszählung aller Wahlkreise kommt die CDU mit ihrem Spitzenkandidaten Kai Wegner auf 28,2 Prozent – ein Plus von gut zehn Punkten im Vergleich zur Wahl 2021, die wegen der damaligen Pannen nun wiederholt wurde. Die Sozialdemokraten schnitten mit 18,4 Prozent so schlecht ab wie nie seit 1950 (2021: 21,4). Die Grünen, die seit 2016 mit Linken und SPD regieren, erreichten ebenfalls 18,4 Prozent (18,9), lagen aber 105 Stimmen hinter den Sozialdemokraten. Die AfD legte auf 9,1 zu (8,0). Ein bitterer Wahlabend war es für die FDP, die mit 4,6 Prozent aus einem weiteren Landesparlament flog (7,1).

Die Berliner CDU fuhr das stärkste Ergebnis seit gut 20 Jahren ein und erhob den Anspruch, eine Regierung unter ihrer Führung zu bilden. Möglich wäre ein Zweierbündnis – entweder mit der SPD oder den Grünen. Doch könnten auch SPD, Grüne und Linke ihre bisherige Koalition fortsetzen. Weil die SPD nach Auszählung aller Stimmen knapp vor den Grünen liegt, könnte Giffey in diesem Fall Regierende Bürgermeisterin bleiben.

Nach Angaben des Landeswahlleiters gibt es 159 Sitze. Davon erhält die CDU 52. Die SPD und die Grünen bekommen je 34 Mandate. Die Linke kommt auf 22 Sitze, die AfD auf 17.

Wegner: Haben Regierungsauftrag

CDU-Spitzenkandidat Wegner Kai Wegner SPD und Grüne bereits an heute Abend zu Sondierungsgesprächen einladen. Ziel sei es, Gespräche noch in dieser oder Anfang kommender Woche zu führen, sagte Wegner der Deutschen Presse-Agentur. «Jetzt ist nicht die Zeit für Taktierer, jetzt ist die Zeit für Macher. Der Regierungsauftrag liegt klar bei uns», so Wegner. «Die Berlinerinnen und Berliner haben den Wechsel gewählt.»

Der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz schrieb auf Twitter: «Der klare Regierungsauftrag für die CDU ist der erste Schritt hin zu unserem Ziel, dass die Bundeshauptstadt besser funktioniert.»

Giffey: Es geht um stabile Mehrheiten in der Regierung

Giffey sprach von einem schweren Abend für ihre SPD – «daran gibt es nichts zu deuteln». Doch sei es kein Automatismus, dass nun die CDU den Regierungschef stelle. «Auch ein Herr Wegner wird politische Mehrheiten organisieren müssen.» Giffey weiter: «Wenn die SPD in der Lage ist, eine starke Regierung anzuführen, dann ist das für uns ein Punkt, den wir nicht einfach zur Seite schieben können», sagte sie Giffey im RBB-Inforadio. Selbstverständlich werde die SPD aber auch Gespräche mit dem Wahlsieger Wegner führen. «Am Ende geht es darum, wer eine stabile Mehrheit im Abgeordnetenhaus organisieren kann und wo gibt es die größten inhaltlichen Schnittmengen für einen Weg, den wir begonnen haben.» Angesicht des schlechten Abschneidens ihrer Partei seien aber Konsequenzen erforderlich, so Giffey. «Egal, in welcher Konstellation wir agieren: Es braucht Veränderungen in der Stadt und in der Zusammenarbeit in der Regierung – da ist schon einiges aufzuarbeiten.»

Jarasch: Schwarz-grüne Koalition nur bei CDU-Zugeständnissen

Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch hält eine schwarz-grüne Koalition nur bei starken Zugeständnissen der CDU für möglich. «Es gibt bei den Grünen kein Bündnis ohne Mobilitäts- und Wärmewende, ohne Berlin wirklich klimaneutral umzubauen und ohne echten Mieterschutz», sagte Jarasch im RBB-Inforadio. Die Grünen-Politiker betonte jedoch erneut, dass sie eine Fortsetzung der Koalition von SPD, Grüne und Linke favorisiere. Der Koalitionsvertrag sei dafür eine gute Grundlage. Angesichts des denkbar knappen Wahlergebnis erwarte sie allerdings einen «wirklich partnerschaftlichen» Umgang, betonte Jarasch.

Experte: «Der Ball liegt bei der Union»

Wahlforscher Thorsten Faas erwartet nun eine langwierige Regierungsbildung. Trotz der hohen Zugewinne der CDU sei es schwierig, aus dem Wahlergebnis ein «Regierungssignal» herauszulesen, sagte Faas der Deutschen Presse-Agentur. «Der Ball liegt bei der Union. Aber ob es ihr gelingt, eine Mehrheit zu bilden, ist mehr als offen.» Der bisherige Senat werde in der Zwischenzeit im Amt bleiben. «Sollte sich eine der beiden Parteien für einen Wechsel zur CDU entscheiden, dann wird es für Grün oder Rot ein schwieriger Gang, weil das eigentlich gefühlt der politische Gegner ist», sagte der Politikprofessor an der Freien Universität Berlin.

Nach Einschätzung anderer Experten profitierte die CDU unter Wegner bei der gerichtlich angeordneten Wiederholungswahl von der Unzufriedenheit mit dem rot-grün-roten Senat. Nur selten habe es für Regierungspolitik schlechtere Noten gegeben, hieß es gestern Abend in einer Analyse der Forschungsgruppe Wahlen. Mitverantwortlich für das gute CDU- und das schwache SPD-Ergebnis sei auch gewesen, dass Giffey wenig Zugkraft entfaltet habe. Hinzu komme die Schwäche der FDP und eine gute Mobilisierung der CDU bei älteren Wählern.

Den Wahlforschern zufolge punktete die CDU besonders beim Thema Innere Sicherheit. SPD und Grünen bescheinigte die Forschungsgruppe Wahlen Kompetenzverluste bei den Top-Themen der Wahl – dem Wohnungsmarkt und dem Verkehr.

Landeswahlleiter zieht positive Bilanz

Wegen schwerwiegender Wahlpannen hatte das Landesverfassungsgericht die Wahl des Landesparlaments vom September 2021 und die Bezirkswahlen für ungültig erklärt – und eine Wiederholung angeordnet. Damals hatten lange Warteschlangen vor Wahllokalen sowie fehlende, vertauschte oder kopierte Stimmzettel bundesweit Schlagzeilen gemacht. An diesem Wahlsonntag lief alles glatt, wie Landeswahlleiter Stephan Bröchler sagte: «Es freut mich sehr, dass sich diesmal alles im grünen Bereich bewegt hat.» Auch die Auszählung lief zügig: Kurz nach Mitternacht waren alle Wahlbezirke ausgezählt.

Wahlberechtigt zur Abgeordnetenhauswahl waren etwa 2,4 Millionen Menschen. Die Wahlbeteiligung lag bei 63,1 Prozent. 2021 waren es 75,4 Prozent, doch wurde in dem Jahr gleichzeitig auch der Bundestag gewählt.

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SPD verliert Oberbürgermeisterwahl in Mainz

Mainz (dpa/lrs) – Die Landeshauptstadt Mainz hat erstmals seit 1949 keinen SPD-Oberbürgermeister mehr. Nach dem Wechsel des bisherigen Amtsinhabers Michael Ebling ins Innenministerium von Rheinland-Pfalz erhielt die SPD-Kandidatin Mareike von Jungenfeld bei der Wahl am Sonntag nach dem vorläufigen Endergebnis nur 13,3 Prozent der Stimmen und kam damit auf den vierten Platz der sieben Bewerberinnen und Bewerber. Die Entscheidung fällt nun in einer Stichwahl am 5. März zwischen dem parteilosen Bewerber Nino Haase und Christian Viering von den Grünen.

Haase erhielt 40,2 Prozent der Stimmen. Er sprach von einem «absoluten Erfolgsabend». Das Ergebnis sei für ihn unfassbar. Bei der vergangenen OB-Wahl im Jahr 2019 kam Haase mit Unterstützung der CDU im ersten Wahlgang auf 32,4 Prozent, ehe er in der Stichwahl Ebling unterlag. In Mainz wurde er vor allem bekannt, weil er 2018 zu den Sprechern einer Bürgerinitiative gehörte, die mit einem Bürgerentscheid den Bibelturm-Entwurf für einen Neubau des Gutenberg-Museums gekippt hatte. Weiterlesen

OB-Kandidat Viering ruft zu Mobilisierung für Stichwahl auf

Mainz (dpa/lrs) – Der grüne Kandidat für die Oberbürgermeisterwahl in Mainz, Christian Viering, hat zu einer verstärkten Mobilisierung für die Stichwahl am 5. März aufgerufen. «Ich bin sehr zufrieden und glücklich mit dem Ergebnis», sagte Viering am Sonntagabend der Deutschen Presse-Agentur. «Wir haben die Stichwahl erreicht und haben die Aufgabe, die Mobilisierung in den nächsten drei Wochen zu verstärken.» Weiterlesen

Stichwahl um Amt des Oberbürgermeisters von Kaiserslautern

Kaiserslautern (dpa/lrs) – In Kaiserslautern entscheidet am 26. Februar eine Stichwahl über das Amt des nächsten Oberbürgermeisters. Das ergab die erste Wahlrunde am Sonntag, wie die Verwaltung der pfälzischen Kommune auf ihrer Homepage mitteilte.

Nach Auszählung aller 62 Stimmbezirke erreichte die SPD-Kandidatin Beate Kimmel laut vorläufigen Ergebnissen 36,50 Prozent der Stimmen. Damit wäre sie sicher in der Stichwahl.

Dahinter war es am Abend knapp. Die CDU-Bewerberin Anja Pfeiffer erreichte laut vorläufigen Ergebnissen 19,76 Prozent und wäre damit ebenfalls in der Stichwahl – falls das Resultat amtlich wird. Weiterlesen

Mainzer OB-Kandidat Haase spricht von «tollem Etappenerfolg»

Mainz (dpa/lrs) – Der parteilose Kandidat bei der Oberbürgermeisterwahl in Mainz, Nino Haase, hat sein Ergebnis als einen «tollen Etappenerfolg» bezeichnet. «So wie es aussieht, landen wir bei 40 Prozent, was unfassbar ist», sagte der 39-Jährige am Sonntagabend. Seine Anhänger feierten ihn im Keller einer Brauereigaststätte mit lauten «Nino»-Sprechchören. Weiterlesen

CDU liegt kurz vor Wiederholungswahl in Berlin klar vorne

Berlin (dpa) – Kurz vor der Wiederholungswahl in Berlin an diesem Sonntag liegt die CDU nach einer neuen Umfrage weiter deutlich vor SPD und Grünen. In der am Donnerstag veröffentlichten repräsentativen Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Insa für «Bild» kommen die Christdemokraten auf 25 Prozent. Dahinter folgen die SPD mit 19 Prozent und die Grünen mit 18 Prozent. Die Linke landet in dieser Befragung bei 12 Prozent, die AfD bei 10 Prozent. Die FDP steht bei 6 Prozent. Sonstige Parteien kommen zusammen auf 10 Prozent.

Rechnerisch möglich wären demnach unterschiedliche Dreierbündnisse unter Führung der CDU. Allerdings hätte auch die aktuelle rot-grün-rote Koalition weiter eine Mehrheit der Sitze im Abgeordnetenhaus. Die jüngsten Wahlumfragen anderer Institute kamen zu ähnlichen Ergebnissen. Weiterlesen

Biden verteidigt Reaktion auf chinesischen Ballonflug

Washington (dpa) – US-Präsident Joe Biden hat seine Reaktion auf den Flug des mutmaßlich zu Spionagezwecken genutzten chinesischen Überwachungsballon über US-Territorium verteidigt.

«Ich habe das Militär angewiesen, ihn auf sicherem Wege abzuschießen», sagte Biden bei einem Interview in der Abendsendung «Newshour» des Senders PBC am Mittwoch (Ortszeit). Das Militär habe ihm mitgeteilt, dass es nicht sicher sei, den Ballon über Land abzuschießen, und dass man durch Beobachtung des Überflugs vieles lernen könne. «Sobald sie die Möglichkeit hatten, ihn über dem Wasser abzuschießen, taten sie das und bargen wichtige Teile davon», sagte Biden. Weiterlesen

«Berlin ist in einer Art Dauerpubertät»

Von Julia Kilian, dpa

Berlin (dpa) – Manchmal hat man das Gefühl, in Deutschland läuft eine Soap, bei der Millionen Menschen mitreden. Manchmal geht es um ausrangierte Matratzen am Straßenrand, manchmal um verkorkste Bauprojekte wie den BER. Immer ließe sich die Serie in einem Satz zusammenfassen: «In Berlin hat mal wieder jemand was verbockt.» Neuerdings geht es um die Frage, wie es passieren konnte, dass eine ganze Stadt wegen Pannen eine Wahl wiederholen muss.

Meist dauert es nicht lange, bis aus anderen Ecken der Republik dann Kommentare kommen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) gehört zu denen, die gerne einen markigen Satz parat haben. Nun weiß man, dass sich das Leben doch etwas komplexer gestaltet. Und wenn in Berlin so vieles schief läuft, warum ziehen dann trotzdem so viele Menschen dorthin?

«Man kann», sagt Mazda Adli, «die Frage eigentlich auch fast zur Antwort machen». Gerade das Unvollkommene mache Berlin durchaus auch attraktiv. Adli ist Chefarzt der Berliner Fliedner Klinik, Stressforscher an der Charité und leitet unter anderem die Forschungsgruppe Neurourbanistik, die sich mit dem Einfluss von Stadtleben auf die Psyche befasst.

Stablilisator «Regional-Bashing»

Dass aus anderen Regionen Deutschlands hämische Kommentare kommen, scheint ihn wenig zu überraschen. «Regional-Bashing ist ja in Deutschland ganz besonders beliebt», sagt Adli. Das diene auch dazu, den eigenen Selbstwert zu stabilisieren. Die meisten machten das auch mit einem Augenzwinkern. Und natürlich sei etwa eine Stadt wie Würzburg viel leichter zu verwalten als eine Multimillionenstadt.

Berlin sei schon immer eine Stadt gewesen, die etwas dysfunktional getickt habe. «Ich habe selber mal in einem Buch geschrieben: “Berlin ist in einer Art Dauerpubertät”», sagt Stressforscher Adli. «Ständig ändert sich was. Ständig muss sich auch neu erfunden werden. Und so anstrengend das ist, so attraktiv ist es für Menschen, die genau danach suchen.» Das Unvollkommene könne auch entlastend sein. «Man muss eben nicht perfekt sein, um hier was zu zählen.»

Wenn man in Berlin lebt, kann man – sagen wir mal – allerhand Interessantes beobachten. Im U-Bahnhof stellt sich nicht selten die Frage, wer da wieder hingekotzt hat. Erwachsene Männer tragen manchmal lilafarbene Schneeanzüge. Moderatorin Bettina Rust postete bei Instagram neulich ein Bild von einem öffentlichen Mülleimer, in dem Pflanzen steckten: «In Berlin nennen wir es Vase.»

Berlin ist die Stadt der Oberschenkeltattoos, des glasierten Endiviensalats und der beleuchteten Imbissbuden. Von seinen Nachbarn kann man lernen, was «Blech rauchen» bedeutet – nämlich dann, wenn im Treppenhaus jemand Drogen auf einer Alufolie geraucht hat. Im Café bekommt man Lavendel-Earl-Grey «with oatmilk» (Hafermilch). Und am Tresen unter der Kaufhausrolltreppe ein kleines Bier für 2,30 Euro.

Wenn an der S-Bahn Lady Gaga tönt

Berlin ist eine Stadt, in der Menschen ihre Kleingärten pflegen und den See lieben. An den Stadträndern leben Leute in Einfamilienhäusern und in der rbb-«Abendschau» erzählen manche engagiert, warum dringend etwas gegen eine nervige Umleitung getan werden müsse. In einem Nachbarschaftsportal fragt jemand nach einem Knäuel Wolle, um etwas fertig zu stricken. Und mittags sieht man auch mal Leute am S-Bahnsteig, die laut Lady Gaga hören: «Just dance!»

Vor allem ist Berlin aber eine Stadt, in der fast vier Millionen Menschen irgendeine Form von Alltag verbringen. Arbeiten, essen, schlafen. Sich um Familie und Freunde kümmern. Mit dem Hund rausgehen. Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) zeigt bei Facebook oft ein bürgerliches Bild von sich. Giffey im Fußballstadion. Giffey beim Bürgergespräch. Giffey beim Marmeladekochen.

Mit dem pauschalen Draufhauen von außen wird man der Stadt nicht gerecht. Und gleichzeitig haben auch Menschen in Berlin das Gefühl, dass Dinge im Argen liegen. In Gesprächen geht es dann etwa um marode Infrastruktur und ausgefallene Bahnen, um die Ausstattung von Schulen und steigende Mieten, um umstrittene Verkehrsprojekte und die Frage, wer sich die Stadt auf Dauer wird leisten können.

Nicht jeder darf kritisieren

Dass das pauschale Image «Pannenstadt» die Dinge selten trifft, heißt nicht, dass sich die Menschen in Berlin selbst keine Gedanken machen. Schauspieler Ulrich Matthes findet dafür ein schönes Bild. «Das ist ja wie mit der Familie», sagt Matthes. Man selber könne an den Eltern rummeckern. «Aber wenn die Klassenkameraden das tun, wirft man sich sofort vor die Eltern und sagt den anderen: “Du spinnst wohl.”»

«Genauso werfe ich mich vor das Berlin-Bashing von außen, bin aber selber doch zunehmend ein kritischer Berliner», sagt Matthes, der am Deutschen Theater arbeitet und Präsident der Deutschen Filmakademie war. «Ich als gebürtiger Berliner habe mich dabei ertappt, dass ich im Vorfeld dieser Wahlen zum ersten Mal in meinem Leben dachte: “Diesmal weißt du wirklich nicht, wen du wählen sollst.”»

Wenn man tiefer eintauchen möchte in die Frage, warum in Berlin manches schief läuft, kann man sich zum Beispiel mit der Geschichte der Stadt befassen und mit ihrer eigenwilligen Struktur. Neben dem Roten Rathaus gibt es die Bezirke, jeder so groß wie eine Stadt und jeder mit eigener Bürgermeisterin oder eigenem Bürgermeister. Über Reformen dieser Struktur wird seit Langem diskutiert. Manche glauben, dass es auch beim politischen Personal mitunter hapert. Eine These: Die Stadt Berlin steht in Konkurrenz mit der Bundespolitik in Berlin.

Mehr Verantwortlichkeit nötig

Wenn es um die Frage geht, wie gut die Politikerinnen und Politiker auf Berliner Landesebene sind, zitiert Matthes einen Spruch seiner Oma: «Da schweigt des Sängers Höflichkeit.» Er sieht die Menschen auch selbst in der Pflicht: «Ich habe das Gefühl, jeder Berliner, jede Berlinerin müsste sich – das denke ich schon seit Jahren – einfach verantwortlicher fühlen für das Gelingen dieser Stadt.» Das gelte für Verkehr, Sauberkeit und Umgangston in der Stadt.

«Was mich zum Beispiel, um kurz anekdotisch zu werden, wirklich geradezu verstört hat: Nachdem die Stadtreinigung bei mir die blauen Papiertonnen abgeholt hatte, war ein riesiger Pappendeckel vor meiner Haustür aus der Mülltonne gefallen», erzählt Matthes am Telefon. «Und diesen Pappendeckel habe ich aufgehoben, um ihn dann in die geleerten blauen Tonnen zu schmeißen.» Er habe einfach gedacht: «Na ja, warum soll ich denn das nicht machen?»

«Und in dem Moment gingen zwei ungefähr 40-jährige Frauen vorbei, lachten sich darüber halb tot. Und die eine sagte zur anderen: «Ah, jetzt gibt’s wohl auch in Berlin schon die Kehrwoche», erzählt Matthes. Für ihn sei das aber eine Selbstverständlichkeit gewesen. «Irgendjemand wird sich danach bücken müssen. Also was kostet es mich, das selber zu machen?»

In der Schlafanzughose zum Wochenmarkt

Gelassenheit kann in Gleichgültigkeit kippen. Und dann kann es passieren, dass Systeme sich gegenseitig verstärken. Nehmen wir ein harmloses Beispiel – die Schlafanzughose. Man kann damit in Berlin wunderbar zum Wochenmarkt gehen, es wird keiner gucken. «Genau», sagt Adli. «Aber es ist eben auch etwas Ambivalentes daran.» Denn wenn man grundsätzlich auch in Schlafanzughose rausgehen kann, dann tun Menschen es eben auch.

Seiner Meinung nach schafft es Berlin gut, Unterschiedlichkeiten auszuhalten, das «Nebeneinander von sehr bürgerlicher Seite bis hin zur autonomen Szene». «Die Stadt zerfällt nicht zwischen ihren vielen Communitys, Szenen und sozialen Gruppen. Sondern sie ist trotz aller Unterschiede ein Ganzes.» Das sei schon eine Leistung, die andere Städte nicht so leicht nachmachen könnten. «Das kann man vielleicht noch von New York sagen.»

Wenn man Adli fragt, was ihn an Berlin nervt, dann fällt ihm ein konkretes Beispiel ein. «Mich nervt, dass der Gendarmenmarkt jetzt für zwei Jahre umgebuddelt wird», sagt er. «Das nervt mich, weil ich denke: “Mensch, der angeblich schönste Platz Europas, der so viele Touristen anzieht und von dem wir alle auch leben, der ist – wie neulich jemand schrieb – zum größten Sandkasten der Stadt geworden.” Und kein Mensch weiß, warum das so lange dauern muss.»

Wann ist eine Stadt eine Stadt?

Auch scheinbar unkoordinierte Absperrungen könnten stören. «Das ist natürlich auch ein schlimmes 0815-Lamento, über eine Straßensperrung zu jammern», sagt Adli. Dass einen auch mal etwas stört, gehört seiner Meinung nach dazu, wenn man in einer Stadt lebt. «Eine Stadt, die nicht nervt, eine Stadt, die uns nicht auch mal unter Stress setzt, ist eben auch keine Stadt.»

Adli nennt in der Debatte übrigens einen wichtigen Punkt: «Die Leute stimmen am Ende mit ihrem Verhalten über Berlin ab. Nämlich damit, dass mehr Leute nach Berlin ziehen als von Berlin weg.» Die Stadt wachse. Manche meckern und mosern seit Jahren über Berlin, wohnen aber immer noch hier. «Und das zeigt vor allem eins: Dass es hier – anders als aus Bayern behauptet – eben ganz gut ist wie es ist.»

Fragt man Ulrich Matthes, was Berlin für ihn ist, dann antwortet er, Berlin sei seine Heimat. «Ich bin ja sogar gerührt, wenn ich zufällig aus den 50er Jahren das Lied höre “Der Insulaner verliert die Ruhe nicht”. Kennen Sie das?», fragt Matthes und beginnt zu singen. «Das ist ein Westberliner Lied, ein klassisches Lied aus dem Kalten Krieg. Wenn ich dieses Lied höre, dann denke ich: Ja, das ist eine typische Berliner Eigenschaft. Der Berliner verliert die Ruhe nicht.»

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Hohes Interesse an Briefwahl für OB-Entscheidung in Mainz

Mainz (dpa/lrs) – Gut eine Woche vor der Oberbürgermeisterwahl in Mainz zeichnet sich ein hohes Interesse an der Stimmabgabe im Wohnzimmer ab. «Wir merken, dass die Briefwahlbeteiligung nochmal extrem gestiegen ist», sagte am Freitag der Leiter des Bürgeramts, Andreas Drubba. Bislang wurden 43.343 Wahlscheine für die Briefwahl ausgestellt; mehr als 20.000 Bürgerinnen und Bürger haben bereits gewählt.

Bei der letzten OB-Wahl im Jahr 2019 waren es insgesamt 31.000 Wahlscheine. Die Wahlbeteiligung erreichte damals im ersten Wahlgang 45,8 Prozent; bei der Stichwahl waren es 40,2 Prozent. Wahlberechtigt sind diesmal rund 162.000 Mainzerinnen und Mainzer. Weiterlesen

Klimaaktivistin Neubauer kritisiert Verkehrsminister Wissing

Berlin (dpa) – Vor neuen Protesten der Klimabewegung Fridays for Future am heutigen Freitag hat die Aktivistin Luisa Neubauer Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) kritisiert. «Es gibt keinen Minister in Deutschland, der seine Klimaziele so torpediert wie Verkehrsminister Volker Wissing», sagte Neubauer dem «Tagesspiegel» aus Berlin. Weiterlesen

FBI ermittelt gegen US-Abgeordneten George Santos

Washington (dpa) – In die Affäre um den republikanischen Abgeordneten George Santos, der wegen seines gefälschten Lebenslaufes unter Druck steht, hat sich nun auch das FBI eingeschaltet. Die Ermittler gehen nach übereinstimmenden Berichten mehrerer US-Medien Vorwürfen nach, wonach Santos Geld veruntreut haben soll, das er für den kranken Hund eines Marine-Veteranen im Internet gesammelt hatte. Der Veteran, Richard Osthoff, habe US-Medien gesagt, er habe dem FBI Informationen übergeben, die in Bezug zu dem Geld stünden. Darunter seien etwa auch Textnachrichten gewesen, die Osthoff mit Santos ausgetauscht habe.

Es geht um rund 3000 Dollar (knapp 2800 Euro), die Santos 2016 für den damals obdachlosen Osthoff online gesammelt habe, um damit eine lebensrettende Operation für dessen todkranken Hund zu bezahlen. Den Vorwürfen zufolge soll sich Santos aber mit dem Geld aus dem Staub gemacht haben, statt es an Osthoff zu übergeben. Weiterlesen

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