Drohender Getreide-Stopp: Tauziehen zwischen Moskau und Kiew

Von Christiane Oelrich, Ulf Mauder, Andreas Stein, Anne Pollmann, dpa

Genf (dpa) – In vielen Ländern drohte eine Hungersnot, als Russland nach dem Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 die Schwarzmeerhäfen des Nachbarlandes und damit Getreideexporte blockierte.

Unter Vermittlung der Vereinten Nationen (UN) und der Türkei wurde eine Lösung gefunden. Russland droht aber, die Vereinbarung Ende nächster Woche auslaufen zu lassen. UN-Generalsekretär António Guterres versucht zu vermitteln.

Was ist die UN- Schwarzmeer-Getreide-Initiative?

Die Blockade der ukrainischen Ausfuhren und Sanktionen gegen Russland haben im vergangenen Jahr zu starken Preisanstiegen unter anderem bei Getreide und Dünger geführt. Russland und die Ukraine lieferten vor dem Krieg fast ein Viertel der Getreideexporte weltweit.

Im Juli 2022 kam die Schwarzmeer-Getreide-Initiative zwischen den UN, der Türkei, der Ukraine und Russland zustande. Sie erlaubt die kontrollierte Getreideausfuhr aus den Schwarzmeerhäfen Odessa, Tschornomorsk und Piwdennyj (Juschny). Die Schiffe werden inspiziert, bevor sie durch den Bosporus ins Marmara- und dann ins Mittelmeer fahren. Russland will so unter anderem Waffenlieferungen an Ukraine ausschließen.

Wie lange ist sie noch gültig?

Die Vereinbarung galt zunächst für 120 Tage bis November, und wurde dann nach zähen Verhandlungen um weitere vier Monate verlängert. Sie läuft nach UN-Angaben am 19. März aus.

Läuft das reibungslos?

Es läuft, aber nicht reibungslos. Die Absprachen unter den Inspektoren sind mühsam, Russland hat Kräfte abgezogen und die Zahl der Inspektorenteams damit reduziert, heißt es aus UN-Kreisen. Deshalb stauen sich Schiffe am Bosporus. Anfang März warteten laut dem Zentrum 33 Schiffe auf Inspektion.

Welche Teile der Vereinbarung nützen der Ukraine, welche Russland?

Für die Ukraine ist es wichtig, dass durch die Exporte Geld in die Kasse kommt. Sie konnte dank des Deals 2022 die Getreidespeicher leeren und damit eine neue Erntesaison vorbereiten. Russland braucht UN-Hilfe, um Getreide und Düngemittel exportieren zu können. Die westlichen Sanktionen schränken viele russische Geschäfte ein.

Zwar sind Getreide und Düngemittel nicht direkt betroffen, aber russische Akteuren haben es schwer, europäische Häfen anzulaufen, Zahlungen abzuwickeln und Schiffsversicherungen zu bekommen. Deshalb gehört zu eine separate Vereinbarung zwischen den UN und Russland. Darin versprechen die UN, alles für die Aufhebung der Hürden zu tun, die russische Getreide- und Düngemittelexporte erschweren.

Wie werden die Exporte kontrolliert?

Die Schiffe landen vor Istanbul in einer Kontrollzone und werden dort auf unautorisierte Ladung überprüft. In der Folge gibt das Kontrollteam eine Genehmigung weiter an das Zentrum – oder auch nicht. Die Schiffe dürfen nur Getreide, andere vom Zentrum genehmigte Lebensmittel oder Düngemittel transportieren.

Wie viele Getreide-Schiffe laufen tatsächlich aus?

Seit Beginn der Initiative haben rund 900 Schiffe Güter aus ukrainischen Häfen transportiert. Die tägliche Zahl der Schiffe kann mitunter stark variieren.

Wird die volle Kapazität ausgeschöpft?

Bis Anfang März wurden auf dieser Route gut 23 Millionen Tonnen Getreide exportiert. Zurzeit sind es drei bis vier Millionen Tonnen im Monat, das Potenzial wären aber sieben Millionen.

Was sind die russischen Beschwerden?

Russland beklagt, dass westliche Sanktionen seine Exporte weiter behindern. Außenminister Sergej Lawrow sagte seinem türkischen Kollegen Mevlüt Cavusoglu Anfang März, die Initiative könne nur fortgesetzt werden, wenn die Interessen der russischen Hersteller von Agrarprodukten und Düngemitteln besser berücksichtigt werden.

Moskau will wieder Ammoniak zur Produktion von Düngemitteln auf den Weltmarkt bringen. Das ging früher vor allem über eine Pipeline durch die Ukraine, die jetzt gesperrt ist. Russland wirft der Ukraine außerdem vor, das Getreide gelange kaum an arme Länder, sondern werde als Tierfutter für viel Geld an westliche Länder verkauft.

Wie steht Kiew dazu?

Eine Öffnung der Ammoniakpipeline vom russischen Toljatti in die südukrainische Hafenstadt Odessa ist politisch brisant. Kiew hat als Gegenleistung die Freilassung ukrainischer Kriegsgefangener ins Spiel gebracht. Gefangenenaustausche finden inzwischen regelmäßig statt, aber über Fortschritte bei der Öffnung der Pipeline ist bisher nichts bekannt.

Kiew seinerseits will erreichen, dass auch anderen Häfen genutzt werden können, insbesondere Mykolajiw. Ziel sei es, bis Juli weitere 25 Millionen Tonnen Getreide zu exportieren.

Wie beurteilen das die Vereinten Nationen?

UN-Vertreter räumen ein, dass es bei den russischen Exporten hakt. «Es ist kein Geheimnis, dass es eine Reihe von Herausforderungen regulatorischer und anderer Natur gibt, die überwunden werden müssen», sagte UN-Sprecher Stephane Dujarric. Monatelang hingen wegen westlicher Sanktionen mehr als 250.000 Tonnen russischer Düngemittel in Lettland und anderen europäischen Transithäfen fest, die vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine ausgeführt worden waren.

Die UN haben im November eine erste Lieferung russischer Düngemittel aus den Niederlanden nach Malawi ermöglicht, ähnliche Lieferungen sind in andere afrikanische Länder geplant. In Bezug auf die Ammoniak-Pipeline hoffen UN-Vertreter auf ein Einlenken Kiews.

Erreichen die Exporte tatsächlich vom Hunger bedrohte Länder?

Unter den Empfängerländern listen die UN unter anderem Afghanistan, Äthiopien, den Irak und den Jemen. Dahin gehen aber nur kleine Mengen von wenigen zehn- oder hunderttausend Tonnen. Der Großteil wurde bislang nach China geliefert: 4,9 Millionen Tonnen, gefolgt von Spanien mit 4 Millionen Tonnen und der Türkei mit 2,7 Millionen Tonnen. Das sagt noch nichts über die Endziele der Lieferungen aus. In Deutschland kamen bis Anfang März gut 350.000 Tonnen an.

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«Foodsharing»: Essen aus Telefonzelle

Coburg (dpa) – Mit einer «Foodsharing-Telefonzelle» in der Altstadt will Coburg der Verschwendung von Lebensmitteln entgegenwirken. Aus dem gelben ehemaligen Fernsprecher könne jeder vor dem Wegwerfen gerettetes Essen herausnehmen, sagte ein Sprecher der Stadt Coburg in Oberfranken. Beim «Foodsharing» («Essen teilen») werden genießbare Lebensmittel, die ansonsten im Müll gelandet wären, an Menschen verteilt, die sie gebrauchen können.

Anders als bei den Tafeln müssen beim Foodsharing die Empfänger der Lebensmittel nicht unbedingt ein geringes Einkommen haben. Das Angebot steht allen offen. Über eine Internetplattform teilen Foodsharing-Aktivisten mit, welche Lebensmittel an welchem Standort (den sogenannten Fairteilern) abgeholt werden können. Weiterlesen

Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Kiew (dpa) – Die Ukraine kann im Streit um das russisch besetzte Atomkraftwerk Saporischschja auf die breite Unterstützung westlicher Staaten zählen. 42 Länder und die EU veröffentlichten in Wien eine Erklärung, in der sie den sofortigen Abzug der russischen Truppen von dem Kraftwerk und eine Rückgabe der Kontrolle an die Ukraine forderten.

In der Stadt Enerhodar, die direkt an dem AKW liegt, schlugen wieder Artilleriegeschosse ein. Die Ukraine und Russland werfen sich seit Wochen gegenseitig vor, Europas größtes Kernkraftwerk zu beschießen und damit eine atomare Katastrophe heraufzubeschwören. Weiterlesen

Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage

Kiew (dpa) – Im Ringen um die Sicherheit des beschossenen ukrainischen Atomkraftwerks (AKW) Saporischschja sieht Moskau die Vereinten Nationen am Zug. Aufgabe des UN-Sekretariats sei es, «grünes Licht zu geben für einen Besuch des AKW von Experten und Expertinnen der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA), sagte der russische Diplomat Michail Uljanow in einem Interview der russischen staatlichen Nachrichtenagentur Tass.

Die Ukraine ihrerseits fordert Sanktionen gegen die russische Atomindustrie. Bei den Gefechten gelingen Kiew nach eigenen Angaben immer wieder Teil-Erfolge. Allerdings habe Moskau im Süden des Donbass «kolossale Kräfte» zusammengezogen, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj. Weiterlesen

NGO: Afghanistan erlebt «Kinderrechtskatastrophe»

Kabul (dpa) – Ein Jahr nach Machtübernahme der Taliban erlebt Afghanistan die wohl schwerste humanitäre Katastrophe des Landes. Das beschreibt ein am Mittwoch erschienener Bericht der Hilfsorganisation Save the Children.

Demnach hätten 97 Prozent aller afghanischen Familien Schwierigkeiten, genug Essen für ihre Kinder aufzutreiben. Vor allem Haushalte, die von Frauen geführt werden, litten unter Armut. Genau in diesen seien Mädchen nun auch besonders stark von Kinderheirat bedroht. «Kinder werden ihrer Kindheit beraubt», fasst Inger Ashing von Save the Children die Situation in dem Land zusammen. «Eltern sehen ihre Kinder sterben.» Der wirtschaftliche Kollaps werde durch Sanktionen gegen die Taliban noch verstärkt. Weiterlesen

Umfrage: Inflation bleibt größte Sorge – weit vor Corona

Düsseldorf (dpa) – Die schnell steigenden Preise in fast allen Lebensbereichen machen den Menschen in Deutschland zurzeit größere Sorgen als alles andere. Selbst der Krieg in der Ukraine kann da nicht mithalten, erst recht nicht die Corona-Pandemie. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage der Unternehmensberatung McKinsey hervor.

Rund 48 Prozent der gut 1000 Befragten gaben bei der Umfrage Mitte Juni an, ihre größte Sorge sei aktuell die Inflation – ein deutlicher Zuwachs gegenüber dem April. Damals hatten 40 Prozent der Befragten die Preissteigerungen als Hauptsorge genannt. «Die Sorge der Konsumenten vor weiteren Preissteigerungen verfestigt sich», sagte der McKinsey-Experte Marcus Jacob.

Die Angst vor dem Ukraine-Krieg ist dagegen in den vergangenen Monaten geringer geworden. Hatte noch im April jeder dritte Befragte (34 Prozent) die Invasion der Ukraine als größte Sorge bezeichnet, so tat dies im Juni nur noch jeder Vierte (24 Prozent). Trotz der aktuell hohen Infektionszahlen nannte nicht einmal jeder Zwanzigste (4 Prozent) die Corona-Pandemie als seine größte Sorge.

Immer mehr Verbraucher schauen auf die Preise

Die steigenden Preise haben der Umfrage zufolge bereits spürbare Auswirkungen auf den Alltag vieler Menschen. «Die große Mehrheit – 73 Prozent – hat das Einkaufsverhalten bereits verändert, um zu sparen», berichtete Jacob. Statt teurer Markenartikel landen häufiger die Eigenmarken der Handelsketten in den Einkaufswagen. Statt im Supermarkt oder im Fachgeschäft wird häufiger beim Discounter eingekauft. «Dieser Trend beschleunigt sich», sagte Jacob.

Weil mehr Geld für Benzin und Lebensmittel ausgegeben werden muss, wird McKinsey zufolge außerdem bei den Ausgaben für Bekleidung und Schuhen, aber auch für Möbel oder Elektronik gespart. Und es wird weniger auf die hohe Kante gelegt. Immerhin 59 Prozent der Befragten gaben bei der Umfrage an, sie würden inzwischen genauer auf den Energieverbrauch in den eigenen vier Wänden achten.

 

 

 

Jede Minute ist ein weiteres Kind schwer mangelernährt

Köln (dpa) – Vor dem G7-Gipfel auf Schloss Elmau warnt das UN-Kinderhilfswerk Unicef, dass die Zahl der von akuter schwerer Mangelernährung bedrohten Kinder von Minute zu Minute steigt.

Fast acht Millionen Kinder unter fünf Jahren in 15 Krisenländern seien dadurch vom Tod bedroht, teilte Unicef Deutschland in Köln mit. Die sich weltweit zuspitzende Ernährungskrise habe dazu geführt, dass in diesen besonders gefährdeten Ländern seit Beginn des Jahres die Zahl der Kinder mit schwerer akuter Mangelernährung um 260.000 Mädchen und Jungen gestiegen sei. Sie müssten sofort therapeutische Nahrung und medizinische Hilfe erhalten. Weiterlesen

Welthungerhilfe rechnet mit mehr Flüchtlingen

Düsseldorf (dpa) – Die Lebensmittelkrise als Folge des Ukraine-Kriegs wird nach Einschätzung der Welthungerhilfe zu neuen Flüchtlingsbewegungen aus ärmeren Ländern führen.

«Wir sehen ganz real in den Ländern, in denen wir arbeiten, wie dramatisch die Lage ist. Die Menschen werden keine andere Möglichkeit für sich sehen, als sich auf den Weg zu machen», sagte der Generalsekretär der Deutschen Welthungerhilfe, Mathias Mogge, der Düsseldorfer «Rheinischen Post». Weiterlesen

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