Jan Philipp Reemtsma wird 70

Von Bernhard Sprengel, dpa

Hamburg (dpa) – Nach jahrzehntelanger Beschäftigung mit dem Thema Gewalt will sich der Hamburger Sozial- und Literaturwissenschaftler Jan Philipp Reemtsma nicht als Stammtischstratege für den Ukraine-Krieg hervortun.

Auf die Frage, ob es richtig sei, die Ukraine militärisch zu unterstützen, antwortet Reemtsma, der am Samstag (26. November) 70 Jahre alt wird: «Ja, gewiss, weil es richtig ist, ein völkerrechtswidrig angegriffenes Beinahe-Nachbarland zu unterstützen.» Die Debatte um das Ziel der militärischen Unterstützung führt nach seiner Ansicht jedoch zu fruchtlosen Diskussionen. Wörter wie «verteidigen», «siegen» oder «verlieren» seien Signalwörter, die anzeigten, wer in diesen Diskussionen wo stehe. Sie bedeuteten aber keine vernünftigen Aussagen zur Sache.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte im Mai erklärt: «Russland darf diesen Krieg nicht gewinnen.» Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte im Juni: «Natürlich darf Russland diesen Krieg nicht gewinnen, sondern muss ihn strategisch verlieren.»

Reemtsma will sich auch nicht dazu äußern, wie der Ukraine geholfen werden sollte. «Noch schlimmer sind die Antworten auf die “womit unterstützen”-Fragen, die bei den Befragten regelmäßig den inneren Stammtischstrategen hervorbringen. Daran beteilige ich mich nicht», sagt der frühere Leiter des von ihm gegründeten Hamburger Instituts für Sozialforschung. «Zudem bin ich kein Militärexperte, der ich sein müsste, wollte ich mich beteiligen.»

Das Institut für Sozialforschung hatte in den 90er Jahren mit einer Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg für heftige Debatten gesorgt. Die Schau befasste sich auch mit Kriegsschauplätzen in der Ukraine wie Kiew oder Charkiw. Nach Angaben des Historikers Bogdan Musial enthielt die Ausstellung zahlreiche gravierende Fehler und Manipulationen. Reemtsma selbst räumte später in einer Bilanz ein, dass etwa Fotos eines Pogroms in Ternopil auch Mordopfer des sowjetischen Geheimdienstes NKWD zeigten.

Über die Ursache von Gewalttaten im Krieg

Im November 1999 stoppte Reemtsma die Ausstellung und ließ eine neue Fassung erarbeiten. Im Rückblick bewertet er das Projekt trotz aller Kritik positiv: «Nach den beiden Ausstellungen über die Verbrechen der Wehrmacht wird kaum jemand so über die deutsche Wehrmacht sprechen, wie dies vor 1995 noch üblich war. Mehr kann man nicht erreichen.» Zu den aktuellen Kriegsverbrechen, die den russischen Truppen in Butscha und anderen Orten der Ukraine vorgeworfen werden, erklärt Reemtsma knapp: «Ursache solcher Gewalttaten sind stets die militärischen Führungen, die sie nicht verhindern – oder bewusst durch direkte oder ausdeutbare Befehle oder durch Gewährenlassen herbeiführen.»

Reemtsma, der mit 26 Jahren sein Erbe aus dem Tabakkonzern seines verstorbenen Vaters verkaufte, hat sich viele Jahre mit den Erscheinungsformen von Gewalt befasst und sich für Opfer von Verfolgung eingesetzt.

Am 25. März 1996 wurde der Multimillionär selbst Opfer von Gewalt. Entführer kidnappten ihn auf seinem Anwesen in Hamburg-Blankenese und hielten ihn 33 Tage lang in einem Kellerverlies bei Bremen gefangen. Nach Zahlung eines Lösegeldes von umgerechnet rund 15 Millionen Euro kam er in der Nacht zum 27. April 1996 frei.

Zwei Jahre danach wurde der Anführer der Bande, Thomas Drach, in Argentinien verhaftet und später in Hamburg zu über 14 Jahren Haft verurteilt. Zurzeit steht Drach wegen dreier Raubüberfälle in Köln erneut vor Gericht. Auf die Frage, ob er den Prozess verfolge oder von einem Prozessbeteiligten schon mal kontaktiert worden sei, antwortet Reemtsma: «Nein».

33 Tage in Todesangst

Über seine Entführung schrieb der Gewaltforscher das Buch «Im Keller». Eindringlich schildert er darin die 33 Tage, die er angekettet und in Todesangst verbrachte. Sein Sohn Johann Scheerer berichtete in zwei Büchern darüber, wie er als 13-Jähriger die Entführung seines Vaters und die folgenden Jahre erlebte. Zurzeit ist die Verfilmung des Buches «Wir sind dann wohl die Angehörigen» im Kino zu sehen. Was hält sein Vater von dem Werk? «Ich habe den Film nicht gesehen, werde ihn vermutlich auch nicht ansehen», sagt Reemtsma. Das solle aber nicht wie eine Distanzierung wirken. Die Angelegenheit sei für ihn nicht einfach.

Sehr intensiv widmet sich der Literaturwissenschaftler seit einigen Jahren antiken Mythen und der Weimarer Klassik. Sein Hauptinteresse gilt den Werken des Schriftstellers Christoph Martin Wieland (1733-1813). In Kürze erscheint eine Neuausgabe von Wielands Roman «Aristipp und einige seiner Zeitgenossen». Über das 1800 bis 1802 erschienene Werk, das bereits Thema seiner Doktorarbeit war, gerät Reemtsma ins Schwärmen: «Der zur Sokrates-Zeit spielende Briefroman ist ein philosophischer, ein politischer, ein psychologischer, ein erotischer Roman und vielerlei mehr: intellektuelle Poesie.» Während der Mäzen Reemtsma seine Idole hochleben lässt, steht er selbst wohl nicht gern im Mittelpunkt: «Ich feiere meine Geburtstage nie», beteuerte er vor seinem 70. Jubiläum.

Weiterlesen

Frank Schätzing stößt sich an «Schwarm»-Verfilmung

Berlin (dpa) – Bestsellerautor Frank Schätzing ist unzufrieden mit der ZDF-Verfilmung seines Buches «Der Schwarm». Im Interview der Wochenzeitung «Die Zeit» sagte der 65-Jährige auf die Frage, was ihn an der Serie störe: «Dass sie unter ihren Möglichkeiten bleibt. Manches ist kinoreif, anderes rühr- und redseliges Beziehungskisten-TV.» Schätzing zog einen Vergleich zur ZDF-Romantikfilmreihe Rosamunde Pilcher heran und sagte: «Es pilchert mehr, als es schwärmt.»

Schätzing sagte weiter: «Gute Schauspielerriege, aber unterfordert. Die globale Dimension der Bedrohung wird nicht spürbar, von Aktualität oder einer intelligenten Alien­Strategie ganz zu schweigen.» Weiterlesen

Clemens J. Setz erzählt von einem Exzentriker «Monde vor der Landung»

Von Taylan Gökalp, dpa

Berlin (dpa) – Die Mondlandung war eine Inszenierung aus Hollywood, die Corona-Pandemie eine Erfindung von Bill Gates. Elvis lebt heimlich weiter und Paul McCartney ist in Wirklichkeit schon seit Jahrzehnten tot. Verschwörungstheorien wie diese haben aberwitzig viele Anhänger, vor allem im Internet. Dass sie aber nicht erst seit der Erfindung von Facebook einen Reiz auf Menschen ausüben, kann man im neuesten Werk des Büchner-Preisträgers Clemens J. Setz (40, «Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes») nachlesen.

In dem Roman «Monde vor der Landung» gräbt der österreichische Autor die fast vergessene und wahre Geschichte von Peter Bender aus, einem hochbegabten, aber exzentrischen Träumer, der vor 100 Jahren in der rheinhessischen Lutherstadt Worms lebte. Die von Setz geschaffene literarische Version von Bender hält die Erde für eine Hohlkugel, gründet eine auf freier Liebe basierende Religionsgemeinschaft und gerät wegen «ketzerischer» Schriften regelmäßig in Konflikt mit den Behörden. Als die Nazis an die Macht kommen, sehen er, seine jüdische Ehefrau Charlotte und ihre beiden Kinder sich zunehmenden Anfeindungen ausgesetzt, die schließlich auf tragische Weise eskalieren.

Zwischen Genie und Wahnsinn

Setz, der ein Faible für skurrile Gestalten und Alltagsbeobachtungen hat, verlässt für sein neuestes Buch die bisherigen Pfade des Verstörend-Kafkaesken und erprobt sich in dem für ihn ungewohnten Feld des historischen Romans. Auf über 500 Seiten gewährt er Leserinnen und Lesern einen tiefen Einblick in die Gedankenwelt eines Menschen zwischen Genie und Wahnsinn, der in einer völlig anderen Realität lebt als seine Mitmenschen. Seinem Ruf als Ausnahmetalent der deutschsprachigen Literatur wird der vielfach preisgekrönte Schriftsteller auch in seinem neuesten Werk gerecht, was vor allem an der außergewöhnlich bildhaften Sprache deutlich wird. Jedoch zeigen sich hier und da auch kleinere Schwächen im Erzählfluss und in der nicht immer lückenlosen Figurenzeichnung.

Die Geschichte selbst lässt sich ohne Weiteres auf die heutige Zeit übertragen. Etwa das Streben der Hauptfigur danach, in einer von Krisen gebeutelten Gesellschaft eine möglichst große Gefolgschaft zu schaffen – oder wie man auf Neudeutsch sagen würde: Reichweite zu generieren. Der Roman ist deshalb nur auf den ersten Blick eine tragische Familiengeschichte am Vorabend des Holocausts. Denn vor allem lässt er sich als Parabel auf die Orientierungslosigkeit des Menschen lesen, der in jedem Zeitalter getrieben ist von der Suche nach charismatischen Erlöserfiguren.

– Clemens J. Setz, Monde vor der Landung, 528 Seiten, Suhrkamp Verlag, ISBN 978-3-518-43109-2.

Weiterlesen

Barbra Streisand kündigt ihre Memoiren für November an

Los Angeles (dpa) – Sängerin, Schauspielerin und Regisseurin Barbra Streisand (80) will ihre lang erwarteten Memoiren im November veröffentlichten. Der Hollywood-Star gab den Titel «My Name Is Barbra» und das Erscheinungsdatum (7. November) auf Twitter bekannt.

Nach Mitteilung des US-Verlags Viking Books erzählt Streisand darin «ihre eigene Geschichte über ihr Leben und ihre außergewöhnliche Karriere», von der Kindheit in Brooklyn, über ihre ersten Auftritte in New Yorker Nightclubs, den Durchbruch mit ihrer «Funny Girl»-Rolle und alle weiteren Erfolge. Weiterlesen

Grass-Haus stellt Manuskript von «Grimms Wörter» vor

Lübeck (dpa) – Das Lübecker Günter-Grass-Haus hat seine jüngste Neuerwerbung, das Manuskript zu «Grimms Wörter», vorgestellt. Zu dem Konvolut gehören neben den verschiedenen handschriftlichen Fassungen der neun Kapitel auch die Druckfahnen des 358 Seiten umfassenden Buches. «Das Werk “Grimms Wörter” ist eine Liebeserklärung an die deutsche Sprache und auch an Grass’ Ehefrau Ute, der das Werk auch gewidmet ist», sagte der Leiter des Grass-Hauses, Jörg-Philipp Thomsa, am Donnerstag. Weiterlesen

Bret Easton Ellis meldet sich mit «The Shards» zurück

Von Felix Schröder, dpa

Los Angeles (dpa) – Bret Easton Ellis ist nach mehr als 12 Jahren zurück. Und wie: Der Autor liefert mit dem 736 Seiten starken Roman «The Shards» – deutsch: «Scherben» – eine hedonistische, verrückte, düstere und tragisch-komische Geschichte, die im Los Angeles der 1980er-Jahre im elitären Zirkel mehrerer Jugendlicher spielt. Zuletzt hatte Ellis 2010 «Imperial Bedrooms» veröffentlicht.

Der Autor, der 1991 für sein Werk «American Psycho» viel Kritik einstecken musste, macht sich in der Geschichte selbst zum Erzähler und zur Hauptfigur – zumindest einen Teil von sich. Die Nähe zwischen der Romanfigur, dem Jugendlichen Bret, und dem Autor ist in der Autofiktion schwer auszumachen. Laut dem 58 Jahre alten Schriftsteller ist das aber auch gar nicht so entscheidend: «Die Wahrheit wird man niemals in so etwas wie einem Roman finden. Wird nicht passieren. Mich interessiert die Wahrheit nicht wirklich», sagte Ellis im Interview von «Zeit Online».

Drogen spielen eine große Rolle

Die Hauptfigur und ihre Freunde von der Buckley-Eliteschule, nahezu alle aus wohlhabenden Verhältnissen, sind Drogen-affin und lassen keine Möglichkeit aus, sich mit Kokain und Gras zu berauschen. Aus den Lautsprechern dröhnen Blondie, The Babys und Duran Duran.

Autor Ellis ist schwul. Protagonist Bret ist bisexuell und er betrügt seine Freundin Debbie mit Männern. Der Schriftsteller berichtete in einem Interview von einer Freundin in seiner Jugend, die er aus Alibi-Gründen hatte. Er beschreibt in vielen Passagen Brets sexuelle Gelüste und vor allem seine Freude am Experimentieren. Neben Bret und Debbie gibt es noch das typische Schulpärchen – bestehend aus dem beliebten Quarterback Thom und der Jahrgangsschönsten Susan im Freundeskreis.

Die heile College-Welt bekommt Risse

Das Werk liest sich zunächst unbeschwert – fast so «locker-leicht», wie Bret den kalifornischen Sommer beschreibt. Eigentlich sollte das letzte Schuljahr ein Traum werden – doch es kommt anders. Die unheilvollen Ereignisse geschehen im Jahr 1981, als der mysteriöse Robert Mallory zu der Gruppe stößt. Er ist ein Mädchenschwarm, der schon damit für Fragen sorgt, weil er im Abschlussjahr auf die Schule wechselt. Bret hält ihn seit der ersten Begegnung in der Schule für einen Lügner und versucht, dem Geheimnis des rätselhaften Mitschülers auf die Schliche zu kommen.

Doch im Gegensatz zu den anderen typischen College-Geschichten mit halb-dramatischen Beziehungsstreitigkeiten webt Ellis eine düstere und verstörende Erzählung in die sonst eher heile Welt der Eliteschüler hinein. Sie müssen sich mit dem schillernden, aber zugleich irgendwie bedrohlichen Los Angeles mit seinen eitlen Figuren, die alle ihre Schattenseiten haben, auseinandersetzen. Einer der Väter der Jugendlichen ist ein gut vernetzter und selbstgerechter Hollywood-Produzent, der aber insgeheim sexuelle Begierden zu viel zu jungen Schülern verspürt. Und dann gibt es noch den «Trawler», ein grausamer Serienmörder, der in der Stadt sein Unwesen treibt.

Verstörende Schilderungen

Ellis ist ein begnadeter Erzähler. Er platziert immer wieder geschickt Cliffhanger, um die Spannung hochzuhalten. Für ihn ist das aber auch einfach, weil der Erzähler der älter gewordene Bret ist, der als allwissender Beobachter den Ausgang der Story kennt. Ellis stattet auch belanglose Situationen mit packenden Dialogen und unerwarteten Wendungen aus. Der Detailreichtum des Werks ist enorm.

Hier liegen aber die Schwächen, denn einige Äußerungen sind nur schwer erträglich. Grausame Schilderungen von Tatorten, vulgäre Fantasien des Protagonisten: Das Buch ist stellenweise nichts für zartbesaitete Leser. Andererseits schreibt der Autor nicht für eine empfindsame Zielgruppe. Ellis wurde bereits in «American Psycho» für barbarische Details kritisiert. «Mag sein, dass ich Leser verstöre, aber ich tue es nicht vorsätzlich», sagte er in einem Interview der «Süddeutschen Zeitung». Die Rezeption der Leser scheint Ellis nicht wichtig zu sein. «Ich denke überhaupt nicht über den Leser nach», sagte er im Interview von «Zeit Online» und schob hinterher: «Der Leser hat nichts mit der Erschaffung eines Buchs zu tun, sorry!»

Bret Easton Ellis, The Shards, Kiepenheuer&Witsch, Köln, 736 Seiten, 28 Euro, ISBN 978-3-462-31151-8

Weiterlesen

Literaturpreis von Rheinland-Pfalz für Nino Haratischwili

Mainz (dpa/lrs) – Mit einem leidenschaftlichen Hilfsappell für die Menschen in der Ukraine hat die Schriftstellerin Nino Haratischwili am Mittwoch die Carl-Zuckmayer-Medaille des Landes Rheinland-Pfalz entgegengenommen. Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) würdigte sie als sprachmächtige Autorin, die Haltung mit dem Mut zum großen Erzählen verbinde. «In ihren Büchern und Theaterstücken entfaltet sich das ganze Panorama menschlicher Freude und menschlichen Leids.» Bildstark und schonungslos zeige sie, wie Menschen lebten und überlebten.

Nino Haratischwili sei eine Stimme Osteuropas, die dringend gehört werden müsse, sagte Dreyer. Ihr Werk fordere dazu auf, die Perspektive osteuropäischer Länder verstehen zu lernen. Für alles finde die Preisträgerin Worte, auch für Macht in all ihren Färbungen. Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs in der Ukraine seien ihre Romane erschreckend aktuell. Dabei finde Nino Haratischwili zu einer eigenen Sprache für Menschlichkeit. Weiterlesen

«Es war schwer, für das Buch so tief zu gehen»

Von Weronika Peneshko, dpa

Haifa (dpa) – Überleben. Und dann Überlebende sein. Das ist Rachel Hanan etwa seit ihrem 16. Lebensjahr.

Ein Jahr zuvor, ziemlich genau an ihrem 15. Geburtstag, war sie ins Vernichtungslager Auschwitz gekommen. An diesem Tag verlor sie ihre Mutter Ethel und ihren Vater Fivish, ihre Brüder Zvi und Yehuda. An welchem Tag auch ihre Schwester Chaya und deren Tochter Etia getötet wurden, ist nicht bekannt. Damals wusste sie das alles aber noch nicht. Sie wusste nicht, was nach der Selektionsrampe kommt. Und sie wusste auch noch nicht, dass ein ganz bestimmter Geruch wie von verbrannten Hühnerknochen sie an diese Zeit erinnern wird. Fast 80 Jahre später weiß Hanan, dass Auschwitz sie immer wieder in ihren Alpträumen heimgesucht hat.

50 Jahre hat Rachel Hanan geschwiegen und ihre Erlebnisse weitgehend für sich behalten. In ihren am 18. Januar erschienenen Memoiren «Ich habe Wut und Hass besiegt» veröffentlichte sie die Geschichte ihrer Gefühle erstmals in Buchform. «In der Vergangenheit wollte ich mich auf die positiven Gefühle in meinem Leben fokussieren, das war wichtig, um mich zu heilen und zu entwickeln und um das zu erreichen, was ich erreichen wollte», sagt sie in Retrospektive. Nicht einmal mit ihrem Mann hatte sie darüber gesprochen, auch wenn er sie Nacht für Nacht in den Armen hielt, wenn sie im Schlaf schrie.

«Es war schwer, für das Buch so tief zu gehen. Sogar schwerer, als wenn man als Teil einer Delegation zurück nach Auschwitz reist», sagt sie im Gespräch der Deutschen Presse-Agentur. «Während der Arbeit am Buch habe ich über Wochen tief in meinen Gefühlen gegraben, es war psychische und körperliche Anstrengung und dementsprechend nicht leicht.»

In erster Linie wurde ihre Geschichte für ihre eigenen Nachkommen und Freunde aufgeschrieben. Das Buch, das zunächst nur auf Deutsch erscheint, später auch ins Englische und Hebräische übersetzt werden soll, sei hier als Mahnung an junge Menschen gerichtet. «Nirgendwo auf der Welt sollen solche oder ähnliche schreckliche Dinge jemals wieder geschehen.»

Ein Stück Brot wird zur letzten Hoffnung

Die mittlerweile 93 Jahre alte Rachel Hanan kommt ursprünglich aus dem heute rumänischen Unterwischau. Damals war die Region von Ungarn besetzt – einem Verbündeten der Nationalsozialisten. In ihrem Buch beschreibt sie die Tage vor der Deportation – und wie unbekümmert sie noch war. Sie erzählt von ihrer in Auschwitz stressbedingt ausgefallenen Menstruation und der Angst, niemals Kinder bekommen zu können. Sie erzählt auch, wie sie sich beim Todesmarsch ins Konzentrationslager Theresienstadt – bloß noch ein Skelett und 25 Kilogramm leicht – an ein Stück Brot klammerte und es ihre letzte Hoffnung war. Bis heute wirft sie niemals Brot weg, auch wenn sie Jahrzehnte später und Tausende Kilometer entfernt in der nordisraelischen Stadt Haifa lebt.

Der jüdische Staat habe der langjährigen Sozialarbeiterin bei der Heilung geholfen. «Dass das jüdische Leben zurückkommt, ist das Allerwichtigste. Ich freue mich seit meinem ersten Tag in Israel über jeden Erfolg, jedes Gebäude, das gebaut wird, und über jeden Baum, der auf dem Land wächst, über Kinder, die im Kindergarten spielen und nicht gewaltsam in Vernichtungslager gebracht werden. Auch wenn ich manches kritisch sehe, was in meinem Land geschieht, bin ich sehr froh darüber, dass meine Kinder hier in Israel leben, und nicht irgendwo anders in der Welt.»

Aufklärungsarbeit für junge Menschen in Auschwitz

Trotz allem ist sie in der Vergangenheit immer wieder nach Auschwitz zurückgekehrt, um jungen Menschen nahezubringen, was sie in dem Vernichtungslager erlebt hat. Ihre Memoiren sollen diese Arbeit weiterführen, wenn sie irgendwann nicht mehr ist. Ihre Hoffnung für die Gegenwart und Zukunft ist, dass jedermann sich wie «a mentsch» verhält. So bezeichnet man im Jiddischen jemanden, der voller Integrität und Ehre ist.

Im Penguin Verlag sind am Mittwoch außerdem die Memoiren der Holocaust-Überlebenden Tova Friedman erschienen. Sie war als Vierjährige nach Auschwitz deportiert worden und wurde mit sechseinhalb Jahren gemeinsam mit ihrer Mutter befreit. Heute ist sie gemeinsam mit ihrem Enkel auf Tiktok unterwegs – dort klären sie über die Gräuel des Holocausts auf. Die beiden Bücher erscheinen zeitlich sehr nah an einem wichtigen Gedenktag – dem 27. Januar, als Auschwitz von der sowjetischen Armee befreit wurde.

Dreyer ehrt Regisseurin Nino Haratischwili mit Medaille

Mainz (dpa/lrs) – Die Romanautorin, Dramatikerin und Theaterregisseurin Nino Haratischwili erhält an diesem Mittwoch (19.00 Uhr) die Carl-Zuckmayer-Medaille des Landes Rheinland-Pfalz. Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) übergibt die Bronze-Medaille im Staatstheater Mainz am Todestag des in Rheinhessen geborenen Schriftstellers Carl Zuckmayer (1896-1977). Zu der Auszeichnung gehört auch ein 30-Liter-Fass mit Nackenheimer Wein. Weiterlesen

Harrys Memoiren stürmt auch deutsche Buch-Charts

Baden-Baden (dpa) – Die Memoiren von Prinz Harry stürmen die deutschen Buch-Charts. Wenige Tage nach dem Erscheinen steuert der Titel «Spare» (dt. Titel «Reserve») auf die Zahl von 100.000 verkauften Exemplaren zu, wie Media Control am Freitag mitteilte. Allein am ersten Verkaufstag am Dienstag (10.1.) wurden demnach 40.000 Exemplare in Deutschland verkauft. Weiterlesen

Prinz Harry rutscht auf Beliebtheitsskala nach unten

London (dpa) – Der britische Prinz Harry (38) ist nach Veröffentlichung seiner Memoiren auf der Beliebtheitsskala der Royals in Großbritannien weiter abgesackt. Wie eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov ergab, haben inzwischen zwei Drittel der Erwachsenen im Vereinigten Königreich ein negatives Bild von dem Royal. Ein Viertel der am 10. und 11. Januar Befragten sieht ihn dagegen in einem positiven Licht.

Bei älteren Menschen ist Harry noch unbeliebter als der wegen seiner Verwicklung in den Missbrauchsskandal um den verstorbenen US-Multimillionär Jeffrey Epstein in Verruf geratene Prinz Andrew (62). Demnach gaben 73 Prozent der Menschen im Rentenalter an, ein «sehr schlechtes» Bild von Harry zu haben. Dasselbe sagten laut der Umfrage 60 Prozent dieser Altersgruppe über den Bruder von König Charles III., Prinz Andrew. Weiterlesen

Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen
Eifelzeitung E-Paper Aktuelle Ausgabe kostenfrei als E-Paper lesen