Wie Ankara von den Russland-Sanktionen profitiert

Von Anne Pollmann und Ulf Mauder, dpa

Istanbul (dpa) – In einem Luxus-Einkaufszentrum in der westtürkischen Hafenstadt Bodrum werben Schilder mit russischer Aufschrift um Kunden. Dass in dortigen Häfen auch die Jachten russischer, vom Westen mit Sanktionen belegter Oligarchen andocken, ist kein Geheimnis. Das Nato-Land Türkei hat seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine beiden Partnern die Treue versprochen und sich nicht an Sanktionen gegen Russland beteiligt.

Für die Türkei zahlt sich das aus. Importe aus und Exporte nach Russland haben sich innerhalb eines Jahres verdoppelt. Russland wird 2022 der größte Handelspartner der Türkei und löst damit Deutschland ab, heißt es von der Deutsch-Türkischen Industrie- und Handelskammer (AHK Türkei) in Istanbul. Auch deutsche Unternehmer in Moskau müssen zuschauen, wie nach dem Abzug westlicher Firmen unter anderem türkische und chinesische Unternehmen die Lücken füllen. Die Türkei hat Deutschland beim Verkauf von Maschinen und Ausrüstung an Russland überholt, wie das Moskauer Wirtschaftsportal rbc.ru unlängst meldete.

Galoppierende Inflation im Wahljahr

Die Türkei hat die Situation in vielerlei Hinsicht zu ihrem Vorteil gewendet. «Seit Beginn des Krieges kann die Türkei billiger Energieträger importieren», sagt Erdal Yalcin, Professor für Internationale Wirtschaftsbeziehungen an die Hochschule Konstanz und Forschungsmitglied am IfW Kiel zum Thema Internationaler Handel. Öl und Gas kamen schon vor dem russischen Angriffskrieg maßgeblich aus Russland. Nun haben sich die Ölimporte 2022 in etwa verdreifacht, wie aus Daten des Statistikamtes hervorgeht. Vor dem Hintergrund einer Währungskrise und galoppierender Inflation dürfte das der Regierung in Ankara im Wahljahr 2023 gelegen kommen.

Aber auch in Russland ist die Türkei präsenter denn je: Russische Medien berichten, dass türkische Modegeschäfte – die Marke Koton zum Beispiel ersetzte Marks & Spencer – und Restaurants eröffnen.

Die Vertiefung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Türkei und Russland gebe «Anlass zu großer Sorge», hieß es in einem Schreiben des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell. Ankara dürfe Russland keine Umgehungslösungen für Sanktionen anbieten. Eine etwas verquere Warnung, findet Yalcin: «Die Türkei importiert Rohöl aus Russland, bereitet es in seinen Raffinerien auf und verkauft es dann – als türkisches Produkt – nach Europa. Das ist eine Umgehung der Sanktionen in legaler Form.» Der EU als Abnehmerin könne man insofern genauso wie der Türkei einen Vorwurf machen, so Yalcin.

Türkei als wichtigstes Urlaubsland für Russen

Auch das Geschäft mit Halbleitern aus der EU ist ein Beispiel für eine Umgehung der Sanktionen in legaler Form. Die Ausfuhren der Chips von dort nach Russland seien seit zehn Monaten deutlich zurückgegangen. Gleichzeitig steige der Export der Chips in die Türkei und von dort weiter nach Russland, sagt Yalcin. «Wenn die Abnehmerin eine 100-prozentige türkische Firma ist, ist es legal.» Die Firma müsse am Produkt nur marginale Änderungen vornehmen, ein Sticker reiche.

Für Russland ist die Türkei die Retterin in der Not: Wer nach Europa will, fliegt mit großer Wahrscheinlichkeit über die Türkei – oder bleibt gleich dort. Die Türkei ist wegen der Reisebeschränkungen in der EU das wichtigste Urlaubsland für Russen. Die Immobilienkäufe von Russen in der Türkei – die ab 500.000 Dollar gleich die türkische Staatsangehörigkeit beinhalten – sind enorm gestiegen. Von Januar bis November wurden 14.000 Immobilien an Russen verkauft. 2019 waren es 2900 Käufe.

Dass mehr Russen im Land sind, macht sich vielerorts bemerkbar. In den ersten elf Monaten 2022 wurden laut türkischer Handelskammer TOBB insgesamt 131 russische AGs und 1077 russische GmbHs in der Türkei gegründet. Zum Vergleich: Im Vor-Corona-Jahr 2019 waren es 17 AGs und 95 GmbHs. Die Türkei profitiere auch von russischem Kapital, das verstärkt in das Land fließe. Die türkische Leistungsbilanz weise auf hohe Kapitalzuflüsse hin, dessen Ursprung nicht vollends geklärt werden kann. «Also meist Geld, das im Koffer in ein Land gebracht wird», sagt Yalcin.

Aber auch für den Westen hat sich das türkische Dazwischen stellenweise als profitabel erwiesen: Die Türkei ist bemüht, zwischen Moskau und Kiew zu vermitteln. Nicht zuletzt gilt der gute Draht des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogans zu Kremlchef Wladimir Putin als gewichtiger Grund die Fortsetzung des für die Welternährung so wichtigen Getreidedeals. Erdogans Nähe zu Putin und die gemeinsamen Treffen mit ihm sind für den türkischen Staatschef dabei innenpolitisch kaum riskant – anders als für westliche Staatschefs.

Neue Kernkraftwerke für die Türkei

Bis Ende 2030 wollen Russland und die Türkei ihr Handelsvolumen auf 100 Milliarden Dollar erhöhen. Russland will außerdem den größten europäischen Gasknotenpunkt in der Türkei errichten, ein Handelsplatz für Energie der Energiegroßmacht – und gleichzeitig ein langgehegter Traum Erdogans. Unter russischer Ägide entsteht zudem derzeit ein erstes, 20 Milliarden US-Dollar teures Kernkraftwerk in der Türkei, zwei weitere sind in Planung.

Verliert der Westen also gerade die Türkei als engen Handelspartner? «Kurzfristig hat die Orientierung gen Russland für die Türkei Vorzüge. Langfristig ist es aber nicht nachhaltig», meint Yalcin. Es sei der Handel mit Europa, der der Türkei langfristig die meisten Arbeitsplätze verspricht. Auch Thilo Pahl von der AHK Türkei sagt: «Deutschland ist und bleibt weiterhin der wichtigste Exportmarkt für türkische Unternehmen.»

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Deutsche Gasspeicher zu 89,3 Prozent gefüllt

Brüssel/Bonn (dpa) – Die aktuell kälteren Temperaturen sorgen in den deutschen Gasspeichern wieder für sinkende Füllstände. Den zweiten Tag in Folge sanken sie um jeweils mehr als einen halben Prozentpunkt, wie am Donnerstag aus vorläufigen Daten des europäischen Gasspeicherverbandes GIE hervorging.

Am Mittwochmorgen lag der Füllstand bei 89,3 Prozent. Der größte deutsche Speicher im niedersächsischen Rehden verzeichnete zuletzt einen Füllstand von 90,3 Prozent. EU-weit lag der Füllstand zuletzt bei 80,6 Prozent, knapp 0,5 Prozentpunkte weniger als am Vortag. Weiterlesen

Moskau: Gas- und Öleinnahmen 2022 um 28 Prozent gestiegen

Moskau (dpa) – Russlands Einnahmen aus dem Verkauf von Gas und Öl sind nach Moskauer Regierungsangaben trotz westlicher Sanktionen im vergangenen Jahr um knapp ein Drittel gestiegen. Die entsprechenden Haushaltseinnahmen seien 2022 um 28 Prozent beziehungsweise um 2,5 Billionen Rubel (Ende 2022 etwa 31,6 Milliarden Euro) im Vergleich zum Vorjahr gewachsen, sagte Russlands Vize-Regierungschef Alexander Nowak am Montag der Agentur Interfax zufolge. Weiterlesen

Gasverbrauch stark gesunken – Lage stabilisiert sich weiter

Bonn (dpa) – Die Gasversorgungslage in Deutschland hat sich aus Sicht der Bundesnetzagentur weiter stabilisiert. Der Verbrauch habe in der ersten Kalenderwoche 38 Prozent unter dem durchschnittlichen Verbrauch der Jahre 2018 bis 2021 gelegen, teilte die Behörde am Donnerstag mit. Dies ist der höchste Reduktionswert seit Beginn der veröffentlichten Messreihe Ende März 2022.

Die Industrie verbrauchte 34 Prozent und Haushalte und Gewerbe 42 Prozent weniger. Behördenpräsident Klaus Müller äußerte sich erfreut. In einem Tweet schrieb er unter die jüngsten Verbrauchsdaten: «Vielen Dank!»

Eine wichtige Rolle spielte das Wetter. «Die Temperaturen waren 5,1 Grad Celsius wärmer als in den Vorjahren», hieß es. Auch temperaturbereinigt ging der Verbrauch zurück. In der 52. und 1. Kalenderwoche habe er insgesamt 25 Prozent unter dem Referenzwert der vergangenen vier Jahre gelegen. Er befinde sich damit wieder im stabilen Bereich. Weiterlesen

500-Kilo-Blindgänger auf Deponiegelände entschärft

Ludwigshafen (dpa/lrs) – Experten des Kampfmittelräumdienstes haben auf einem Deponiegelände in Ludwigshafen eine Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg entschärft. Der 500 Kilogramm schwere Sprengkörper aus US-amerikanischer Produktion war bei Baggerarbeiten im Stadtteil Rheingönheim entdeckt worden, wie die Stadt mitteilte. Da sich in der Nähe zum Fundort keine Wohnhäuser befinden, mussten keine Anwohner in Sicherheit gebracht werden.

Gasspeicher könnten zum Winterende gut gefüllt sein

Berlin (dpa) – Deutschlands Gasspeicher werden im restlichen Winter einer Branchenschätzung zufolge längst nicht so stark geleert werden wie in den Vorjahren. Der Gasspeicher-Verband Ines legte am Dienstag in Berlin eine Modellrechnung vor, der zufolge der Füllstand Ende März und Ende April jeweils 65 Prozent betragen wird. Ein Jahr zuvor lagen diese Werte bei nur 26 beziehungsweise 35 Prozent, 2021 waren sie ähnlich niedrig.

Grund für die in diesem Jahr hohen Werte sind zusätzliche Importe, Energieeinsparungen und milde Temperaturen, wodurch die Gasheizung auch mal aus bleibt. In der Modellrechnung wurde davon ausgegangen, dass sich die verbliebene Winterzeit 2022 in der EU wie im Jahr 2016 entwickelt – also «normal». Weiterlesen

Gasspeicher verbuchen leichtes Plus

Brüssel/Bonn (dpa) – Erstmals seit knapp vier Wochen ist der Füllstand der deutschen Gasspeicher insgesamt wieder leicht gestiegen. Wie am Freitag aus Daten des europäischen Gasspeicherverband GIE hervorging, waren die Speicher am Ende des Gastags Mittwoch zu 87,3 Prozent gefüllt. Der Füllstand lag damit 0,1 Prozentpunkte über dem Vortageswert.

Hauptursache dürfte die vergleichsweise milde Witterung gewesen sein. Weil dadurch die Verbräuche zurückgingen und gleichzeitig die Importe weiterliefen, speicherten Gashändler unterm Strich mehr Gas ein als entnommen wurde. Die Durchschnittstemperatur lag nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes am Dienstag bei 5,4 Grad und am Mittwoch bei 6,2 Grad. Die Beobachtung deckt sich mit früheren Angaben des Speicherverbandes Initiative Energien Speichern (Ines), wonach die Gasnachfrage bei Mitteltemperaturen von sechs Grad oder weniger anzieht. Weiterlesen

Kälte ließ Gasverbrauch stark steigen

Bonn (dpa) – Die Winterkälte hat in der vergangenen Woche die Gasverbräuche in die Höhe schnellen lassen. Wie die Bundesnetzagentur am Donnerstag mitteilte, lag der Gasverbrauch in der 50. Kalenderwoche insgesamt 12 Prozent über dem durchschnittlichen Verbrauch der Jahre 2018 bis 2021. Gegenüber der Vorwoche stieg er um 20 Prozent. Das Sparziel von 20 Prozent weniger sei deutlich verfehlt worden, teilte die Behörde mit. Die Temperaturen lagen 7,9 Grad unter dem Mittelwert der Vorjahre.

Temperaturbereinigt habe der Verbrauch in der 49. und 50. Kalenderwoche 12 Prozent unter dem Referenzwert gelegen. Doch auch dieser Wert liegt laut Netzagentur noch im kritischen Bereich. Für die laufende Woche rechnet die Behörde wegen der deutlich höheren Temperaturen mit einem Rückgang des Gasverbrauchs. Weiterlesen

Teilrückzieher bei Gasprojekt in der Nordsee

Borkum/Hannover (dpa/lni) – Das niederländisch-britische Konsortium, das die umstrittene Förderung von Erdgas vor der Nordseeinsel Borkum prüft, verabschiedet sich von einem Teil der beantragten Flächen. Nach Angaben des für die Genehmigung und Aufsicht zuständigen Landesamts für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) in Niedersachsen gaben die Firmen One-Dyas und Hansa Hydrocarbons ein über 880 Quadratkilometer großes sogenanntes Erlaubnisfeld zurück. Sie hatten geprüft, ob sich eine Gasförderung in dem Hochsee-Areal gut 70 Kilometer nordwestlich der ostfriesischen Inseln lohnen würde.

Dies ist laut ihrer Einschätzung nach der «Aufsuchung» von Gas oder Öl offenbar nicht der Fall. «Als Begründung nannten die Unternehmen fehlendes Kohlenwasserstoff-Potenzial innerhalb dieses Gebietes», erklärte das LBEG am Donnerstag in Hannover. Bereits im Oktober sei der Antrag auf Rückgabe gestellt worden, inzwischen sei er wirksam. Weiterlesen

Lubminer LNG-Terminal erhält Genehmigung für Testbetrieb

Lubmin (dpa) – Die Betreiber des Terminals für Flüssigerdgas (LNG) in Lubmin dürfen zumindest testweise Gas einspeisen. Das zuständige Schweriner Umweltministerium teilte am Mittwoch mit, dass die Genehmigung für einen Testbetrieb vorliege. «Bei der Anlage in Lubmin geht es um hochkomplexe technische Abläufe, die vor einem Dauerbetrieb getestet werden müssen», wurde Minister Till Backhaus (SPD) zitiert. Er betonte, dass es sich noch nicht um eine endgültige Genehmigung handele.

«Unsere Fachleute arbeiten unter Hochdruck an der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung. Ich gehe davon aus, dass wir im Januar 2023 mit einem Ergebnis der Prüfung rechnen können», hieß es weiter. Nach früheren Angaben des Ministeriums darf im Rahmen des Testbetriebs für vier Stunden am Tag das mit Schiffen transportierte LNG wieder in Gas umgewandelt und in das Netz eingespeist werden. Weiterlesen

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